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Die Untersuchungen führte ein Spezial-Labor der Bundeswehr durch.

© Tobias Hase/dpa

Mordversuch an russischem Oppositionspolitiker: Wie der Nervenkampfstoff Nowitschok wirkt

Das Gift wurde ab den 1970er-Jahren in der Sowjetunion entwickelt. Mit dem Nervenkampfstoff wurde 2018 auch der russische Doppelspions Sergej Skripal vergiftet.

Der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny ist Untersuchungen eines Spezial-Labors zufolge der Bundeswehr mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet worden. Die Labortests hätten den „zweifelsfreien Nachweis“ darüber erbracht, teilte die Bundesregierung am Mittwoch mit.

Nowitschok ist eine Gruppe stark wirksamer Nervengifte und -kampfstoffe der vierten Generation, die ab den 1970er-Jahren in der Sowjetunion entwickelt und mindestens bis in die 1990er-Jahre in Russland weiter erforscht wurden. Es handelt sich teilweise um Kampfstoffe, deren Existenz der Öffentlichkeit bis zum Oktober 1991 unbekannt war. Im weiteren Sinn werden auch zahlreiche weitere hochtoxische, ebenso in Russland entwickelte Varianten als vom „Nowitschok“-Typ bezeichnet. Gemeinsam ist ihnen, dass sie die Acetylcholinesterase hemmen.

Cholinesterase ist ein Enzym, das der Körper braucht, um eine sehr wichtige Substanz bearbeiten zu können: das Acetylcholin. Es ist vor allem für die Übertragung von Signalen von Nerven- zu anderen Nervenzellen, aber auch zu Muskelzellen nötig und wird von der Cholinesterase nach jedem übertragenen Reiz gewissermaßen „reaktiviert“.

Wird das Enzym an dieser Aufgabe gehindert, weil es durch Hemmstoffe (Cholinesterase-Hemmer) blockiert wird, dann funktioniert die Reizübertragung nicht mehr – die Muskeln krampfen, was bei Befall der Atem- oder Herzmuskulatur bis zum Tod führen kann.

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Nachweisen lässt sich die Hemmung der Enzyme vergleichsweise einfach, indem man die Cholinesterase-Enzyme, vorzugsweise jene im Blutplasma, auf ihre Aktivität hin testet. Funktionieren sie nicht mehr oder kaum noch, müssen sie gehemmt worden sein.

Zu den Stoffen, die Cholinesterasen hemmen können, gehören „die wichtigsten chemischen Kampfstoffe – Nervengase wie Sarin, VX, Soman, Tabu, Cyclosarin – aber auch bestimmte Pestizide – E605, Chlorpyrifos“, sagte Thomas Hartung, Toxikologe an der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität.

Der russische Regimekritiker Alexej Nawalny.
Der russische Regimekritiker Alexej Nawalny.

© Pavel Golovkin/AP/dpa

Erste Symptome der Opfer sind in der Regel verkleinerte Pupillen, erhöhter Speichelfluss und starkes Schwitzen, Spasmen, Krämpfe, Lähmungen, Atemprobleme und schließlich Herzversagen – je nachdem, wie das Gift in den Körper gelangt. „Die Aussichten der Behandlung hängen davon ab, wie viel von welcher Substanz verabreicht wurde und wie schnell die richtige Therapie eingeleitet wurde“, sagt Hartung.

Zu Nowitschok sind nur wenige Details bekannt. Vermutlich besteht es aus zwei an sich ungiftigen Komponenten, die ihre tödliche Gefahr erst beim Mischen entfalten. Das Relikt aus dem Kalten Krieg soll fünf bis zehn Mal stärker wirken als der chemische Kampfstoff VX. Mit diesem war im Februar 2017 der Halbbruder des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong Un in Malaysia ermordet worden. Nowitschok, das oft in Form eines extrem feinen Pulvers Verwendung findet, gelangt über Haut oder Atemwege in den Körper.

Ein Nervengift der Nowitschok-Gruppe wurde auch bei der Vergiftung des ehemaligen russischen Doppelspions Sergej Skripal und seiner Tochter Julia im britischen Salisbury 2018 verwendet. Die beiden überlebten nur knapp. „Ich habe damals gesagt, die Russen hätten auch eine Visitenkarte am Tatort liegen lassen können, da die Substanzen so klar zugeordnet werden können“, sagte Hartung. (Tsp, dpa)

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