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Die will bloß naschen. Stechmücken brauchen Eiweiß, um Eier zu produzieren. Das finden sie unter anderem im Blut des Menschen.

© picture alliance / dpa

Mückenplage nach dem Hochwasser: Die Brut aus der Flut

Die Nässe und das warme Wetter begünstigen Stechmücken. Über die Tiere ist jedoch relativ wenig bekannt, da sie wissenschaftlich lange vernachlässigt wurden. Jetzt arbeiten Forscher an einem Atlas der stechenden Insekten.

Das Wasser verschwindet, nun kommen die Mücken. Entlang von Donau und Elbe wachsen dieser Tage unzählige der Insekten heran, die auf den überfluteten Äckern und Wiesen hervorragende Brutstätten finden. Natürliche Feinde wie Fische gibt es dort kaum, obendrein soll es weiterhin sommerlich warm bis heiß sein. „Das sind ideale Bedingungen für die Tiere“, sagt der Mückenspezialist Heinz Mehlhorn von der Universität Düsseldorf. In zwei bis drei Wochen, schätzt er, werde die Plage da sein.

Denn so lange dauert es, bis aus den jetzt abgelegten Eiern über mehrere Entwicklungsschritte schließlich flug- und stechfähige Tiere werden. „Bei kühlem Wetter kann das etwa 40 Tage dauern“, sagt Mehlhorn. Ist es warm, entsprechend kürzer. Das heißt, umso früher ist der Nachwuchs selbst in der Lage, sich fortzupflanzen, was über den gesamten Sommer gerechnet die Erfolgsquote der Vermehrung spürbar steigert. Um die 300 Eier kann ein Weibchen im Laufe eines Lebens legen, sagt der Mückenexperte. „Je nach Art sind es 20 bis 60 Eier am Stück – eine gewaltige Leistung“, findet er.

Um Eier zu bilden, benötigen die Mückenweibchen Eiweiß. Das suchen und finden sie im Blut von Vögeln, Nagern, Rindern, Wildschweinen, Rehen und nicht zuletzt beim Menschen. Welche „Blutspender“ herhalten müssen, hänge von der jeweiligen Mückenart ab, sagt Doreen Werner vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) im brandenburgischen Müncheberg. Immerhin 50 Stechmückenarten seien in Deutschland bekannt.

In den Hochwassergebieten sieht die Biologin nun ein doppeltes Mückenproblem: „Das viele Wasser und die Wärme nutzen natürlich den gewöhnlichen Hausmücken Culex pipines, die ohnehin fast überall vorkommen“, sagt sie. Zudem würden sich jetzt aber auch „Überflutungsmücken“ massenhaft vermehren. Damit meint sie jene Arten, die ihre Eier bevorzugt in kleine Vertiefungen ablegen, die beispielsweise nach der Schneeschmelze mit Wasser gefüllt werden, was wiederum die Larvenentwicklung anstößt. Das Hochwasser habe die gleiche Wirkung, sagt Werner. „Allerdings sind diese Überflutungsmücken besonders aggressiv, die stechen sofort.“ Sie haben einfach keine Zeit für langes Schwirren. Um den Fortbestand ihrer Art zu sichern, müssen sie jede Chance zur Vermehrung nutzen. Und dafür brauchen sie Blut.

Für die Wissenschaftler sind Überflutungsmücken aber auch aus einem anderen Grund interessant. Sie fragen sich: Woher wissen die Tiere vor der Eiablage, was potenziell nasse Flächen sind und was trocken bleibt? „Sie haben eine Art Sensor für Feuchtigkeit“, sagt die Mückenforscherin aus Müncheberg. Wie dieser genau funktioniere, könne bisher keiner erklären.

Erst langsam gewinne ihr Fachgebiet wieder Auftrieb, nachdem es jahrzehntelang vernachlässigt worden war. „Seit dem Verschwinden der Malaria aus Deutschland Mitte des 20. Jahrhunderts gab es einen Einbruch“, sagt sie. „Das änderte sich erst, als 2006 der Erreger der Blauzungenkrankheit hierherkam.“ Das Virus kann vor allem Rindern und Schafen gefährlich werden – und wird von blutsaugenden Insekten, den Gnitzen, übertragen. Diese gehören definitionsgemäß zwar nicht zu den Stechmücken, doch sei durch den Krankheitsausbruch klar geworden, welche Gefahr von Insekten ausgehen könne, sagt Werner. Die öffentliche Aufmerksamkeit wurde umso größer, als in Süddeutschland die Asiatische Tigermücke nachgewiesen wurde. Diese Art kann verschiedene Viren übertragen, die auch dem Menschen gefährlich werden können, etwa das Dengue-Fieber, das Chikungunya-Fieber und das West-Nil-Virus.

Mittlerweile arbeiten Forscher des Zalf in Müncheberg sowie des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit (FLI) in Greifswald gemeinsam an einem Insektenatlas, der zunächst klären soll, wo in Deutschland welche Stechmückenart vorkommt und ob sich das Verbreitungsgebiet infolge des Klimawandels ändert. Um ein flächendeckendes Bild zu erhalten, sind auch Laien aufgerufen, gefangene Stechmücken zur Bestimmung an die Forscher zu schicken.

Weiterhin wird untersucht, welche Krankheitserreger die jeweiligen Stechmückenarten übertragen können und ob die Tiere bereits davon befallen sind. Das scheint bisher kein Problem zu sein. „Bisher haben wir rund 10 000 Stechmücken aus Fallen aus ganz Deutschland molekularbiologisch untersucht“, sagt Helge Kampen vom FLI. „Wir haben zwar einzelne Viren gefunden, aber keine, die Mensch oder Tier gefährlich werden könnten.“ Womit nicht gesagt ist, dass das immer so bleibt.

Darum beobachten die Wissenschaftler vor allem die Asiatische Tigermücke intensiv. Bislang haben sich die wärmeliebenden Tiere, die wahrscheinlich als blinde Passagiere mit Autos aus Norditalien kommen, noch nicht in Deutschland etabliert, sagt die Zalf-Biologin Werner. „Sie überstehen den Winter hier nicht.“ Allerdings sei es jenseits der Alpen winters auch nicht gerade warm, fügt sie hinzu. Und es kämen ständig neue Mücken hier an. „Wir verfolgen die Entwicklung sehr aufmerksam“, sagt sie.

Für die Flutgebiete, denen jetzt eine Insektenplage bevorsteht, gibt es wenigstens einen Lichtblick. Die Gefahr von Krankheiten, die durch Mücken übertragen werden, sei vermutlich noch etwas geringer als üblich, sagt der FLI-Forscher Kampen. „Die Viren sind ja nicht per se in den Insekten drin, die müssen sich erst selbst infizieren, bevor sie zur Gefahr werden.“ Doch Wirtstiere wie Nager dürften durch die Flut sogar noch dezimiert worden sein, was das Infektionsrisiko nochmals senkt.

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