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Wissen: „Mühsam zusammenführen“

Günter Stock über Pläne zu einer Deutschen Akademie der Wissenschaften

Herr Stock, bekommt Deutschland nun wirklich eine nationale Akademie – nach 15-jähriger Diskussion? Aus Politik und Wissenschaft heißt es, dass es jetzt eine Einigung gebe.

Ich glaube, dass wir eine realistische Chance haben, bei der Sitzung der Bund-Länder-Kommission am 21. Juni doch ein positives Votum für diese Deutsche Akademie der Wissenschaften (DAW) zu bekommen.

Wird die deutsche Wissenschaft jetzt endlich im Ausland mit einer Stimme sprechen, wie andere Länder es auch tun?

Sie wird hoffentlich in die gleiche Richtung argumentieren, aber nicht notwendigerweise mit einer physischen Stimme. Bei internationalen Treffen, an denen vorwiegend forschungsfördernde Organisationen beteiligt sind, werden weiterhin die Deutsche Forschungsgemeinschaft und auch die Max-Planck-Gesellschaft ihre Stimme erheben müssen. Es sollte in Zukunft aber präzisere Abstimmungen über eine gemeinsame Strategie geben, wie wir als deutsche Wissenschaft auftreten. Das Wort von der „einen Stimme“ war möglicherweise in der Vergangenheit nicht sehr hilfreich.

Wie wird die DAW arbeiten?

Das eine ist die Politikberatung: Dort wird die Wissenschaft in Arbeitsgruppen versuchen, Antworten auf Fragen zu finden, die für unsere Gesellschaft, aber auch weltweit existenziell sind, etwa zu Themen wie Gesundheit, Ernährung, Klima oder Energie. Diese Empfehlungen werden in einem Konzil abgestimmt, dem die drei Gründerinnen der DAW angehören, und das sind die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften, die Akademie der Technikwissenschaften – Acatech – und die Deutsche Akademie der Naturforscher, Leopoldina. Das Votum der Gesamtakademie DAW wird dann in die Politik und die Gesellschaft vermittelt. Über diesen Teil gibt es wenig Streit …

… umstritten ist die Frage der Vertretung der deutschen Wissenschaft im Ausland. Gelingt es einzelnen Wissenschaftsorganisationen nicht, ihre Egoismen zu überwinden und sich der DAW anzuschließen?

Erstens geht es ja darum, dass es überall dort, wo die internationalen Akademien sich treffen, eine erkennbare deutsche Vertretung gibt, und zwar durch die DAW. Bei solchen Treffen ist die deutsche Wissenschaft bislang kaum vertreten. Dort wollen die Max-Planck-Gesellschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft auch gar nicht unbedingt mit am Tisch sitzen. Auch über Gremien, in denen DFG und Max Planck heute schon vertreten sind, gibt es keinen Streit, niemand will sie dort herausdrängen. Es geht eigentlich nur darum, dass man sich im Rahmen der DAW vorher abstimmen sollte, wer wo vertreten ist. Nehmen Sie den neuen European Research Council: Da geht es um Millionen Euro für die Forschungsförderung in allen Disziplinen, und da sollten alle deutschen Wissenschaftsorganisationen einschließlich der Akademien mit einer abgestimmten Strategie hineingehen.

Nun ist ja die Versäulung der deutschen Wissenschaft, das Nebeneinander von universitären und außeruniversitären Einrichtungen und von Akademien und Forschungsförderern, europaweit ein Unikum. Sollte nicht die DAW ein gemeinsames Dach zumindest für die außeruniversitären Institutionen werden?

Sie können das komplexe deutsche System nicht über Nacht per Ordre de Mufti auflösen. Wir müssen aber mehr als bisher die Vorteile dieses Systems herausarbeiten und uns nicht den Nachteilen ausliefern. Die Einigung unter dem Dach der DAW wird sich prozesshaft über ein bis zwei Jahre entwickeln. Wir haben die Säulen mit ihrer Kraft und ihrer Leistungsfähigkeit, und wir haben das föderale System: Das alles muss mühsam zusammengeführt werden.

Können „Strategiegespräche“ zu mehr führen als zu einem virtuellen Dach?

Durchaus, denn die DAW wird ja eigene Mitglieder haben: 75 Prozent werden von den drei Gründerinnen delegiert, 25 Prozent aus dem Konzil der DAW heraus kooptiert. Die Mitglieder bilden dann einen eigenen Akademiekörper, der regelmäßig tagen wird. Und sie bilden Arbeitsgruppen, die sich mit Empfehlungen zu Wort melden. Die DAW soll ihre Geschäftsstelle in Berlin haben. Ich spreche mich weiterhin dafür aus, dass wir sie im Humboldtforum auf dem Schlossplatz ansiedeln, da würden wir dann als Berlin-Brandenburgische Akademie Nachbarschaftshilfe leisten.

Was kostet eine solche DAW – eine Million Euro im Jahr, wie sie die Bund-Länder-Kommission der Acatech zugesprochen hat?

Die Acatech hat ja ganz andere Möglichkeiten, Mittel aus der Industrie hereinzuholen. Das könnte die DAW nicht, sie müsste den Verdacht vermeiden, dass hier Interessen vermittelt werden. Deshalb ist eine höhere staatliche Mithilfe nötig. Drei bis vier Millionen müssen wir schon haben, damit wir die Arbeitsgruppen seriös ausstatten und innerhalb kurzer Zeit antwortfähig werden können.

Auch heute schon geben die Akademien Empfehlungen ab. Wie erfolgreich sind die Berliner denn bei der Politik?

Unsere Empfehlungen werden zumindest von den Fachleuten sorgfältig gelesen. Wir haben aus verschiedenen Parteien zu unseren Vorschlägen zur Gesundheitsreform sehr positive Reaktionen bekommen, wurden aber darauf hingewiesen, dass im Kompromiss nicht alles erreichbar war. Bei der Stammzellregelung haben wir mit dem gleitenden Stichtag eine hilfreiche Position eingenommen, die jetzt ernsthaft diskutiert wurde. Wie nun der Bundestag damit umgeht, muss man sehen. Demnächst werden wir Empfehlungen zur Politikberatung herausbringen. Da gibt es Wildwuchs sondergleichen, deshalb wollen wir klare Leitlinien ausarbeiten.

Die Leopoldina der Naturforscher ist aber schon weiter: Sie berät gemeinsam mit anderen internationalen Akademien die G -8-Staaten. Laut Wissenschaftsrat soll sie diese Rolle weiterhin spielen, die DAW werde als Forum der Geisteswissenschaften gebraucht. Reicht Ihnen das?

Die Leopoldina wurde ja folgendermaßen zur G-8-Beraterin: Als es 2006 um die Infektionskrankheiten ging, wurde ihr Präsident Volker ter Meulen als Spezialist gefragt. Jetzt war eine Stellungnahme zum Klima gefragt, und die Leopoldina ist aufgrund ihrer Erfahrungen vom Vorjahr wieder zum Zuge gekommen. Um solche Fragen der internationalen Vertretung künftig zu klären, brauchen wir die DAW. Dass der Vorsitzende des Wissenschaftsrats eine Aufgabenteilung zwischen Leopoldina und DAW vorgeschlagen haben soll, kann ich nicht glauben. Niemand mit Sinn und Verstand kann sich wünschen, dass wir eine naturwissenschaftlich-technische Positionierung bekommen und dann eine nachlaufende geisteswissenschaftliche Zusatzposition. Das ist nicht die Idee der nationalen Akademie.

Wollen Sie Präsident der DAW werden?

(Lacht.) Ich möchte gerne Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie sein, das ist momentan die Erfüllung meines Lebens. Und später möchte ich vielleicht einmal ein großer Angler am Lago Maggiore werden.

Das Gespräch führte Amory Burchard.

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