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Wissen: Müll – die Masse macht’s

Forscher der Technischen Universität suchen neue Verfahren, um die Abfallmengen der Zukunft zu prognostizieren

Droht uns der Müllnotstand? Ab 2005 dürfen Siedlungsabfälle, sprich: Haushaltsmüll, nicht mehr ohne Vorbehandlung deponiert werden. Die Technische Anleitung (TA) Siedlungsabfall, eine gesetzliche Vorschrift des Bundes, schreibt dann vor, alle anfallenden Arten von Müll stofflich zu verwerten oder sie zu verbrennen.

„Das Problem ist, dass kein Mensch zuverlässige Zahlen hat, wie sich das Müllaufkommen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten entwickeln wird“, sagt Vassilios Karavezyris, Wissenschaftler am Fachgebiet Mensch-Maschine-System der Technischen Universität Berlin und Mitglied der Arbeitsgruppe Umweltstatistik (ARGUS). Schon seit Jahren beschäftigt er sich mit Verfahren, um künftig anfallende Abfallmengen sowie die erforderlichen Entsorgungskapazitäten zu prognostizieren.

„Bisherige Vorhersagen waren sehr grobe Schätzungen“, sagt Karavezyris. Für den Bau neuer Verwertungszentren oder Müllverbrennungsanlagen braucht man jedoch genaue Daten, um diese Anlagen wirtschaftlich zu planen und zu betreiben. So wurden die Mengen für Berliner Gewerbeabfall Anfang der neunziger Jahre viel zu hoch angesetzt. Die Zahlen dienten zur Planung neuer Müllverbrennungsanlagen. Der Neubau konnte aber rechtzeitig gestoppt werden. In Augsburg steht heute eine Anlage, die viel zu große Kapazitäten bietet. Das ist teuer. Für die Verluste steht die Kommune gerade.

Der Müll der Metropole

In Berlin gibt es eine große Müllverbrennungsanlage in Ruhleben, die im Jahr rund 520 000 Tonnen Siedlungsabfälle verwerten kann. Zurück bleibt Schlacke, die auf die Deponie geht. Schon vor Jahren hatte Vassilios Karavezyris in verschiedenen Szenarien berechnet, wie sich das Müllaufkommen der Metropole entwickeln wird. Er prognostizierte zwischen 900 000 Tonnen und mehr als einer Million.

Die Entwicklung scheint ihm Recht zu geben: Unlängst schrieb die Berliner Stadtreinigung (BSR) ab Juni 2005 weitere 463 000 Tonnen Restmüll pro Jahr zur Entsorgung aus. Der private Entsorger Alba legte Anfang Oktober in Reinickendorf den Grundstein für ein neues Müllverwertungszentrum, das 160 000 Tonnen verarbeiten kann. 93 Prozent davon werden verwertet. Höhe der Investition: 38 Millionen Euro.

Aus der Erfahrung zurückliegender Jahrzehnte verfügen die Experten natürlich über Zahlen, mit denen man die Müllberge abschätzen kann. „Weiche Faktoren wie das Umweltverhalten der Bevölkerung, rechtliche Bedingungen oder der technische Fortschritt bei der Verwertung von Müll lassen sich damit nicht erfassen“, meint Vassilios Karavezyris. „Wir haben deshalb eine Methode entwickelt, quantitative und qualitative Faktoren in die Prognose einfließen zu lassen.“

Als Ausgangspunkt seiner Forschungen nutzte er Verfahren aus der Systemtechnik. Das sind mathematische Modelle, die seit ungefähr dreißig Jahren entwickelt werden. Der berühmte Bericht zu den Grenzen des Wachstums, den der Club of Rome zu Beginn der Siebzigerjahre vorstellte, war eine solche Prognose, die harte Zahlen und weiche Einflüsse miteinander verwebt.

„Es ist noch nicht einmal bekannt, auf welche Weise sich das Umweltbewusstsein der Bevölkerung oder rechtliche Bedingungen in den künftigen Abfallströmen niederschlagen“, sagt Karavezyris. „Wir mussten erst einmal die grundsätzlichen Zusammenhänge klären.“ Das mehrjährige Forschungsprojekt wurde von der Volkswagen-Stiftung in Hannover gefördert.

Die Bundesregierung hat es sich zum politischen Leitbild gesetzt, dass bis 2020 aller Müll vollständig verwertet wird. Neue Deponien sind dann nicht mehr nötig. Bei einer Umfrage der TU-Wissenschaftler unter Müllexperten, Umweltpolitikern und Forschern glaubten etwas mehr als die Hälfte der Befragten, dass dieses Ziel unmöglich erreicht werden kann. Eine kleinere Gruppe war optimistischer. „Die Skeptiker haben vor allem mit physikalischen und ökonomischen Begründungen operiert. Sie meinen, dass es immer Restmüll geben wird, der irgendwo gelagert werden muss“, analysiert Vassilios Karavezyris. Zudem seien vollständig geschlossene Kreisläufe in der Industrie nicht möglich, weil die Produktion dann unwirtschaftlich wird.

Besser oder schlechter verwertet?

Dieser Meinung widersprechen die Optimisten vehement: „Sie argumentieren vor allem damit, dass die Verwertung von Müll durch technische Neuerungen immer besser gelingt. Sie sagen, dass bei entsprechenden politischen Weichenstellungen ein solch ehrgeiziges Ziel machbar ist.“ Es sind also die weichen Einflussfaktoren, an denen sich die Geister scheiden. „Die Abfallwirtschaft ist längst nicht mehr nur Verfahrenstechnik“, meint Vassilios Karavezyris. „Es ist eine Synthese aus Technik, Ökonomie und Psychologie. Das müssen wir bei der Prognose berücksichtigen.“

Karavezyris will sein Wissen künftig besser verwerten. Er wird für die Beratungsfirma Green Delta TC arbeiten, die den Kommunen und Entsorgern künftig Software zur Prognose von Müll und Abfall anbietet. „Wir schreiben nicht nur Gutachten oder Berichte, sondern es geht um zuverlässige Modelle zur Simulation des Aufkommens und der Zusammensetzung der Abfälle“, sagt er. „Wir profitieren von diesen Projekten mit der Entsorgungswirtschaft, denn dadurch werden unsere Prognosemodelle immer präziser und genauer.“

Wo der Müll entsteht

Auch will der Wissenschaftler dem Müll dort zu Leibe rücken, wo er tatsächlich entsteht: „Die Debatte um Wiederverwertung wird oft aus der Sicht der Bürger und Kommunen betrachtet“, kritisiert er. „Ein entscheidender Faktor ist die Herstellung der Waren. Um Abfälle zu vermeiden, müssen die Produzenten umweltbewusster werden. Auf diesem Gebiet gibt es noch erheblichen Forschungsbedarf. Wir werden unser Augenmerk darauf richten, welchen Spielraum die Manager und Ingenieure bei ihren Entscheidungen nutzen.“

Nähere Informationen: Dr.-Ing. Vassilios Karavezyris, TU Berlin, Institut für Arbeitswissenschaften, Mensch-Maschine-System, Jebensstraße 1, 10623 Berlin, Telefonnummer: 030/314-79525, oder Fax: 030/314-72581, E-Mail: vka@mms.tu -berlin.de

Informationen im Internet:

www.mms.tu -berlin.de

Heiko Schwarzburger

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