zum Hauptinhalt
Immerhin die Hälfte der Lehrenden sieht in der Coronakrise auch eine Chance, die digitale Lehre voranzutreiben.

© imago images / Westend61

Nach Unischließungen wegen des Coronavirus: Digitale Lehre - viele Dozierende fühlen sich gewappnet

Viele Dozierende könnten auf online-basierte Lehrkonzepte umstellen. Akzeptanz und Organisation bereiten größere Probleme als die Technik, zeigt eine Studie.

Wie gut sind Lehrende an deutschen Hochschulen darauf vorbereitet, im Zuge der Coronavirus-Krise auf Fernlehre umzustellen? Immerhin ein Viertel sieht sich in der Lage, das Lehrprogramm umgehend digital weiterzuführen.

Etwa 20 Prozent halten die Umstellung auf online-basierte Lehrkonzepte binnen eines Monats für umsetzbar. Zehn Prozent erachten den Semesterstart als realistischen Fixpunkt - bis zu diesem dauerte es zum Zeitpunkt der Umfrage noch etwas länger. Nur vier Prozent erklären, überhaupt nicht umstellen zu können.

Das geht aus einer laufenden Studie des Berliner Weizenbaum-Instituts für die vernetzte Gesellschaft hervor. Die Leiterin der WI-Forschungsgruppe „Bildung und Weiterbildung in der digitalen Gesellschaft“, Gergana Vladova, hat Professorinnen und Dozenten an mehr als 100 deutschen Unis zu den Online-Kompetenzen ihrer Lehrstühle befragt.

"Chance für nachhaltige Digitalisierung der Lehre"

Die Ergebnisse sind dabei noch mit Vorsicht zu genießen – zum einen ist die Umfrage bislang nicht vollständig ausgewertet, zum anderen sind die verschiedenen Fächer in der Studie nicht gleichmäßig abgebildet. Trotzdem könne man einen ersten Einblick in die Web-Kompetenzen der Hochschulen geben.

„Mehr als die Hälfte der Befragten sieht in der Corona-Krise auch die Chance für eine nachhaltige Digitalisierung der Hochschullehre“, sagt Gergana Vladova.

Ergänzend zur Studie des Weizenbaum-Instituts hat die Wirtschaftsinformatikerin auch mit zahlreichen Schul- und Hochschullehrern im Ausland gesprochen, nicht zuletzt mit Kolleginnen und Kollegen aus der von Covid-19 besonders geplagten chinesischen Provinz Hubei. Dort müssen sich die Lehrenden an Schulen und Universitäten schon länger mit der diffizilen Frage befassen, wie Unterricht digitalisiert werden kann.

Herausforderung: die psychologische Komponente der Heimarbeit

Gleiches gilt etwa für Hong Kong, wo bereits im Zuge der Proteste gegen die chinesische Zentralregierung vermehrt digitale Substitute zur klassischen Präsenzlehre erprobt wurden. Dabei habe sich gezeigt, dass weniger die technische Machbarkeit, als vielmehr die soziale und psychologische Komponente das Hauptproblem des digitalen Unterrichts ist.

Hintergrund über das Coronavirus:

So stellt die technische Entwicklung nicht nur die Möglichkeit einer Übertragung von Vorlesungen und Frontalunterricht per Livestream oder Videoaufzeichnung bereit. Auch auf Beteiligung angelegte Veranstaltungen wie Seminare und Schulstunden lassen sich durchaus digital durchführen.

Es sei aber ein eklatanter Unterschied, ob man im physischen Kontakt mit anderen lerne, oder stundenlang allein vor dem Bildschirm hocke, meint Vladova. „Die soziale Interaktion ist für das Lernen extrem wichtig, vor allem bei Kindern und Jugendlichen.“  Auch die Sinne würden anderes beansprucht, wenn man nur am Computer lerne.

Es fehlt an Schulungen für Lehrkräfte

Vladovas Einschätzung spiegelt sich in den Antworten aus der aktuellen Weizenbaum-Studie. Denn weniger als 30 Prozent der Befragten sehen die Technik als größte Herausforderung an – weit mehr als die Hälfte hingegen hält die Akzeptanz der Lehrenden für die digitale Uni und deren zentrale Organisation für das derzeitige Hauptproblem.

Vor allem fehle es an Schulungen für Lehrkräfte. Zudem beklagen die Befragten, dass es bislang vorwiegend Insellösungen gebe, die je nach Fach und Hochschule variieren.

Vor allem für Schulen braucht es eine gemeinsame Digitalstrategie

Mehr noch als für die Universitäten, brauche es aber für die Schulen eine gemeinsame Digitalstrategie, da Studierende mehr als Schüler bereit sind, auch eigenständig zu arbeiten, sagt Vladova. Wie eine solche aussehen kann und umzusetzen ist, will sie zusammen mit ihrem Kollegen André Renz in den kommenden Monaten erforschen. „Was nicht funktioniert, ist dass wir die gängigen didaktischen Konzepte und Methoden eins-zu-eins ins Digitale übertragen“.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Die Bildungsforschung müsse den Umstellungsprozess daher wissenschaftlich umfassend begleiten. „Mit der Corona-Krise befinden wir uns in einem Live-Experiment, dass uns dazu nötigt, neue Methoden in der Bildung zu entwickeln“, sagt Vladova.

Rein online-basierte Konzepte sind eine Notlösung

Dabei könne die reine Umstellung auf online-basierte Konzepte nur eine Corona-bedingte, und somit hoffentlich vorübergehende Notlösung sein. Ob in China oder Deutschland – bei aller Akzeptanz für den technologischen Wandel wünsche sich niemand ein ausschließlich digitales Lehrprogramm, meint die Wissenschaftlerin.

Denn schulische und universitäre Lehre seien in ihrer gegenwärtigen Form auch kulturelle Errungenschaften, bei denen es nicht bloß um Informationsvermittlung gehe, sondern darum, im Miteinander Werte zu entwickeln. So sieht Vladova denn auch eine langfristige Tendenz zum „blended learning“, einer Mischung aus Online- und Präsenzunterricht. „Wie die richtige Balance aus digitaler und analoger Lehre aussieht, müssen wir gemeinsam herausfinden.“ 

Zur Startseite