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Flüchtlinge im Sudan. Die große Armut in Afrika zwingt Menschen, an medizinischer Forschung teilzunehmen.

© AFP

Nachdenken über Afrika: Opferland, Sehnsuchtsland

Die Konferenz „Herrschaft, Wissen und Öffentlichkeit in Afrika“ - ein gelungener Testlauf für das Humboldt-Forum. So politisch aktuell war Wissenschaft selten.

In Susanne Biers gerade mit dem Auslandsoscar ausgezeichnetem Film „In einer besseren Welt“ arbeitet ein dänischer Arzt in einem afrikanischen Flüchtlingscamp. Großartige Bergpanoramen, staubige Straßen, fröhlich spielende Kinder, malariakranke Erwachsene und ein finsterer Warlord, der schwangeren Frauen bei lebendigem Leib das Kind aus dem Bauch schneidet. Welches Land genau das sein soll, erfährt man nicht. Oder Ulrich Köhlers auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichneter Film „Schlafkrankheit“. Da zieht es deutsche und französische Ärzte nach Kamerun, korrupte Polizei- und Grenzbeamte gibt es, profitgierige Europäer, man lebt in gated communities, und das Hilfsprojekt gegen Schlafkrankheit entpuppt sich am Ende als Subventionsbetrug.

Afrika, das Opferland, der dunkle Kontinent, der höchstens mit Krieg, Völkermord, Armut und humanitären Katastrophen von sich reden macht. Oder das Sehnsuchtsland großartiger Natur und einfachen Lebens. Sehr viel weiter reicht die Vorstellung selbst hochprämierter Filme offenbar nicht. Ein randständiges Gebiet, aus dem die immergleichen Horrormeldungen dringen, das war Afrika in westlicher Wahrnehmung lange genug. Und plötzlich ist alles anders. Durch die Ereignisse in Nordafrika steht das Fenster derzeit so offen wie lange nicht mehr.

Ist Afrika für Problemlösungen auf Experten von außen angewiesen?

Jetzt interessieren wir uns dringend für Fragen wie: Darf sich der Westen in die Entwicklungen vor Ort einmischen, muss er es sogar? Ist Afrika für Problemlösungen auf Experten von außen angewiesen? Ist es ein Forschungslabor, in dem sich unter herabgesetzten moralischen Schranken medizinische, wirtschaftliche und juristische Entwicklungen testen lassen, mit beschränkter Haftung? Oder ist es die Bühne, auf der von Ökologie über Datentechnologie bis zu Stadtplanung Themen verhandelt werden, die künftig die ganze Welt betreffen?

Um solche Fragen ging es auch auf der diesjährigen Dahlem Konferenz „Herrschaft, Wissen und Öffentlichkeit in Afrika“, die die FU gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung Halle ausrichtet – wohl wissend, dass „Afrika“ eigentlich eine unzulässige Verkürzung und Pauschalisierung höchst heterogener Problemstellungen ist. Es sind auch Fragen, die Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, für sein künftiges Humboldt-Forum reklamieren möchte. Veranstaltungen wie diese FU-Konferenz, die seit 1974 einmal jährlich Mediziner, Juristen, Kulturwissenschaftler, Ethnologen, Politologen, Soziologen und Historiker zusammenführt, sind genau das, was er sich künftig für die Agora des Humboldt-Forums auf dem Schlossplatz wünscht. Weshalb Parzinger die Teilnehmer dieses Jahr zu einem öffentlichen Diskussionsabend in der Rotunde des Alten Museums geladen hat, sozusagen als Testlauf für künftige Aktivitäten.

Ein Thema für die Agora auf dem Schlossplatz, findet der Stiftungschef

Der Testlauf ist gelungen: So politisch aktuell war Wissenschaft selten. Da erklärt der Verfassungsrechtler Aziz Rana von der Cornell University am Beispiel von Kenia, wie Gesetze sowohl dazu dienen können, aufkommende Konflikte zu befrieden, wie auch autokratische Strukturen zu verfestigen. Kenia hatte, nach heftigen Unruhen, einen Expertenrat einberufen, der eine neue Verfassung ausarbeiten soll, und ausdrücklich keine westlichen Verfassungsrechtler, sondern Experten aus dem eigenen Kontinent gewählt. Nicht nur, um spätkoloniale Einflüsse zu vermeiden, sondern auch, weil Juristen etwa aus Südafrika schon ganz andere Erfahrungen gemacht haben mit Fragen, die auch Kenia betreffen. Die Verfassung ist seit 2010 in Kraft.

Ganz anders verläuft derzeit der Prozess in Ägypten, sagt Rana. Auch dort sollte ein Expertenrat eine neue Verfassung mit weitreichenden Änderungen ausarbeiten, doch im Ergebnis kam nach zehn Tagen Beratungszeit nur eine Beschränkung der Regierungszeit auf zwei Mal vier Jahre zustande. Eine neue Verfassung ist so nicht entstanden.

Vinh-Kim Nguyen, Arzt und Sozialmediziner aus Kanada, passt am ehesten noch in das Bild, wie es Filme wie „Schlafkrankheit“ und „In einer besseren Welt“ vermitteln. Nguyen, der seit Jahren mit Aids-Forschung beschäftigt ist, muss sich fragen lassen, wie freiwillig seine Probanden in Afrika tatsächlich an den medizinischen Experimenten teilnehmen. Wo Armut und medizinische Unterversorgung dazu führt, dass solche Testreihen oft die einzige Möglichkeit sind, teure Medikamente zu bekommen, ist es mit der Selbstbestimmung nicht weit her, da beginnt die Grauzone ethnischer Verantwortung.

Der kulturelle Austausch ist längst im Gange

Führt das dazu, dass die Probanden wie Meerschweinchen Versuchsobjekte im globalen Labor sind, wie die Historikerin Sandra Greene von der Cornell Universität polemisiert? Dass im Medizinbereich Rettung in Form von Forschung oft tatsächlich nur von außen kommt, bestätigt Nguyen. Ebenso wie den Nutzen für die westliche Welt: Inzwischen diskutiert man in Kanada und der Schweiz, wie man die Ergebnisse aus der Aids-Forschung in Afrika übernehmen kann.

Der kulturelle Austausch ist längst im Gange. In Nigeria, gespalten in einen christlichen Teil im Süden und einen muslimischen im Norden, dominiert im Süden das Hollywood-Kino, im Norden das indische Bollywood-Kino. Aus den Bollywood-Filmen wiederum generierten sich eigene Mischformen, die auch auf die Nachbarländer wirken. Von einem amüsanten Fall kreativer Transformation berichtet der Kulturwissenschaftler Abdalla Adamu: Da trat unlängst ein Sänger auf, der Verse des Propheten Mohammed auf Hindu im Bollywood-Stil vortrug – der Fall gelangte bis in die indischen Medien. Eine Art kultureller Re-Import. Das global zugängliche Kino ist nicht umsonst der beste Seismograf für kulturelle Veränderungen – so wie es auch der beste Spiegel für Klischees ist.

Solche Themen also sollen künftig auf dem Schlossplatz diskutiert werden, wünscht sich Hermann Parzinger. Am Wochenende befasste sich auch das Haus der Kulturen der Welt mit der Wende in der arabischen Welt. Alle solche Aktivitäten zusammengenommen, existiert ein Humboldt-Forum längst in Berlin.

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