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Ist das Herz verletzt, entwickeln sich Herzmuskelzellen (rot) erst in einen weniger spezialisierten Zustand zurück, bevor sie neues Gewebe bilden – bei Lurchen wachsen auf diese Weise sogar ganze Herzen nach. Beim Menschen ist der Prozess unterdrückt, aber vielleicht reaktivierbar.

© MPG

Nachwachsende Organe: Ein Herz, das lässt sich reparieren

Molche und Fische können ein kaputtes Pumporgan erneuern – das könnte in Zukunft auch beim Menschen gelingen.

Zebrafische erneuern ganze Schwanzflossen, Wassermolchen wachsen abgetrennte Beine binnen weniger Monate nach, und Fische und Lurche ersetzen sogar komplette Herzen. Von solchen Selbstheilungskräften können Menschen nur träumen. Wenige Organe in unserem Körper sind in der Lage, sich zu regenerieren. Dazu zählen die Leber und die Skelettmuskulatur, aber auch das Blut, dessen Zellen sich laufend erneuern. Sterben jedoch die Muskelzellen des Herzens ab – etwa nach einem Infarkt – bildet sich vor allem Narbengewebe, das nicht an der Muskelarbeit des Herzens mitwirkt. Ob das Herz über ein Reservoir an Stammzellen verfügt, aus dem sich neue Herzmuskelzellen entwickeln könnten, ist zwar umstritten, jedenfalls reichen sie mitnichten, um ein Herz nachwachsen zu lassen. Dennoch sind Forscher zuversichtlich, eines Tages die Selbstheilung des Herzens bei Infarktpatienten ankurbeln zu können, seit sie die Mechanismen der Regeneration bei Zebrafischen und Molchen zu verstehen beginnen.

Von Fischen lernen

Natürlich lässt sich die Biologie dieser Tiere nicht einfach auf den Menschen übertragen. „Aber wenn Fische wissen, wie das geht, können sie uns auch etwas darüber lehren“, sagt Aitor Aguirre, der am Salk Institute im kalifornischen La Jolla an Regenerationsmechanismen forscht. Säugetiere mögen die Regenerationsfähigkeit im Laufe ihrer Evolution verloren haben. Doch möglicherweise schlummert die entscheidende Information dafür noch immer in unseren Zellen und lässt sich mit ein paar Tricks wieder wecken.

Die erste wichtige Lektion, die Wissenschaftler von Fisch und Lurch gelernt haben: Stammzellen sind für eine erfolgreiche Selbstheilung möglicherweise gar nicht vonnöten. „Kammmolche regenerieren defektes Gewebe oder amputierte Gliedmaßen nicht aus Stammzellen“, sagt Thomas Braun, Leiter der Abteilung Entwicklung und Umbau des Herzens am Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim. „Vielmehr entwickeln sich bereits spezialisierte Zellen zurück, so dass sie sich ganz ähnlich wie Stammzellen verhalten.“ Dedifferenzierung nennen Forscher diesen Vorgang. Im Falle des Herzens entwickeln sich also Herzmuskelzellen zurück und verlieren ihre Spezialisierung. Dann beginnen sie sich zu teilen bis ausreichend zellulärer Nachschub entstanden ist, aus dem schließlich wieder neue Herzmuskelzellen heranreifen.

Die Bremse lösen, die das Nachwachsen verhindert

Beim Zebrafisch passiert Ähnliches. Und möglicherweise legen auch Zellen im menschlichen Herzen nach Schädigung den Rückwärtsgang ein – wenn auch in sehr eingeschränktem Maße. Tatsächlich finden Wissenschaftler nach einem akuten Infarkt oder bei einer chronischen Mangeldurchblutung dedifferenzierte Zellen im Herzmuskel. Das sind allerdings viel zu wenige um ausreichend zelluläres Material für die Reparatur bereitzustellen. Was also, wenn man die Dedifferenzierung im Säugerherzen ankurbeln und so das Selbstheilungspotenzial erhöhen könnte?

Das fragte sich das Forscherteam um Aitor Aguierre und Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute. Sie entdeckten beim Zebrafisch einen Mechanismus, der die Rückentwicklung anstößt und somit auch die Herzreparatur. Solange der Fisch gesund ist, blockieren bestimmte Moleküle, kleine RNS-Schnipsel, bei erwachsenen Fischen die Schaltstellen für Dedifferenzierung und Regeneration in den Zellen. Sobald das Fischherz geschädigt wird (die Forscher amputierten die Herzspitze), verschwinden die RNS-Stücke, die Schaltstellen werden freigeben und die Reparatur wird gestartet.

Sowohl RNS-Schnipsel als auch Schaltstellen finden sich in ganz ähnlicher Ausführung auch bei Mäusen und Menschen. Aber bei Mäusen, denen die Forscher im Labor einen Infarkt zufügten, blieben die kritischen RNS-Stücke erhalten. Rückentwicklung und Reparaturmechanismen blieben stumm gestellt.

Um die Blockade zu umgehen, schleusten Aguierre und Belmonte Moleküle in die Herzzellen ihrer Versuchstiere ein, die die blockierenden RNS-Schnipsel aus dem Verkehr ziehen und die Schaltstellen freigeben konnten. Tatsächlich beobachteten sie daraufhin Dedifferenzierung, Zellvermehrung und Regeneration von Herzmuskelgewebe und sogar eine verbesserte Herzfunktion.

Botenstoffe regen die Regeneration an

„Das bestätigt unsere Hypothese“, sagt Jochen Pöling. „Im Säugerherzen findet zu wenig Dedifferenzierung und Zellvermehrung statt, um die Reparaturmechanismen in ausreichendem Ausmaß zu bewerkstelligen.“ Pöling ist Chirurg im Herzzentrum der Schüchtermann-Klinik im niedersächsischen Bad Rothenfelde und erforscht am Max-Planck-Institut in Bad Nauheim die Dedifferenzierung von Herzmuskelzellen. Dabei interessiert ihn unter anderem die Tatsache, dass nach einem Infarkt Entzündungszellen in das Herz einwandern. Ein Phänomen, das man auch beim Molch kennt und das bei diesem eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass sich der Organismus schnell erholt und sich verletzte Körperteile erneuern. Könnte hier ebenfalls ein Schlüssel zur Selbstheilung liegen? Setzen die eingewanderten Zellen eine Substanz frei, die die Dedifferenzierung anstößt?

Narben statt Nachwuchs

„Wir haben nach Botenstoffen gefahndet, die von den Entzündungszellen ausgeschüttet werden, und die möglicherweise für die Dedifferenzierung eine Rolle spielen“, sagt Pöling. Einen Kandidaten hat er bereits entdeckt: Einen Botenstoff namens Onkostatin M, der kurz nach einem Infarkt im geschädigten Gewebe auftaucht und die Dedifferenzierung ankurbelt. Bei genetisch veränderten Mäusen ohne funktionstüchtiges Onkostatin M fallen nach einem Infarkt weniger Herzmuskelzellen in den ursprünglichen Zustand zurück. Mehr noch: Die Tiere sterben häufiger an den Folgen des Infarkts.

Theoretisch könnten höhere Onkostatin-M-Werte also die Rückentwicklung von Herzzellen anregen und so die Reparaturmechanismen verstärken. Doch so einfach ist es leider nicht. Beim Menschen heftet sich Onkostatin-M zusätzlich an einen weiteren Rezeptor, was unter anderem zu einer erhöhten Gerinnungsbereitschaft des Blutes führt – eher ein Nachteil bei Infarktpatienten.

Aber die Max-Planck-Forscher haben einen möglicherweise entscheidenden Unterschied zwischen dem Molch- und dem Säugerherzen ausgemacht: Während beim Molch aus den dedifferenzierten Zellen vor allem neue Herzmuskelzellen entstehen, bildet sich bei Mäusen und Menschen in erster Linie Narbengewebe. Doch weshalb hat die Evolution das überhaupt zugelassen? Weshalb führt die Dedifferenzierung beim Menschen zu funktionslosem Narbengewebe, während niedere Wirbeltiere daraus neue gesunde Zellen und sogar ganze Organe und Gliedmaßen sprießen lassen?

Besser vernarbt als tot

Möglicherweise ist das Narbengewebe gar nicht so nutzlos, wie es auf den ersten Blick erscheint. Es könnte dem Herzen Stabilität verleihen. „Der Molch fährt während der Regeneration seinen gesamten Stoffwechsel runter, ebenso seinen Blutdruck“, sagt Max-Planck-Direktor Thomas Braun. „Der kann an seinem Herzen herumbauen, ohne dass es platzt.“ Das menschliche Herz muss hingegen viel mehr Pumparbeit leisten. Bei allzu umfassenden Reparaturarbeiten würde es seine Stabilität verlieren und könnte dem Druck nicht mehr standhalten. Deshalb sind auch die Ergebnisse der kalifornischen Forscher mit Vorsicht zu genießen. Im Laufe der Evolution wurde die Regenerationsfähigkeit möglicherweise anderen Funktionen geopfert, etwa einer höheren Stabilität.

Vermutlich reicht es auch nicht, die Dedifferenzierung und Zellvermehrung anzukurbeln, um beim Menschen Herzgewebe zu regenerieren. Pöling und Braun glauben, dass es vor allem auf das richtige Timing ankommt. In der Frühphase nach einem Infarkt könnte eine verstärkte Dedifferenzierung die Herzmuskelzellen schützen und die zellbiologischen Aufräumarbeiten unterstützen. Und, wenn sich die Ergebnisse der Kalifornier bestätigen, lässt sich vielleicht eines Tages sogar die Regeneration vorantreiben. Doch zu einer späteren Phase scheint es notwendig, die fortschreitende Differenzierung zu blockieren und Narbenbildung zu verhindern, sagt Braun: „Vielleicht ist nach einem Infarkt alles eine Frage der richtigen Balance zwischen Notfallreparatur und dem langsam fortschreitenden Funktionsverlust des Herzens.“ Wer dieses Gleichgewicht findet, wird nicht nur Herzen, sondern die Herzmedizin erneuern.

Stefanie Reinberger

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