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Nanotechnik: Europas Lichtmaschine

In Hamburg wird ein milliardenschwerer Röntgenlaser gebaut – für Einblicke in Medizin und Nanotechnik.

Laser tasten CDs ab, sie werden von Augenärzten als Skalpelle und von Zahnärzten zur Behandlung von Karies benutzt. Mit größeren, stärkeren Lasern schneidet man Bleche und schweißt Fahrzeuge zusammen. Wozu aber braucht man eine Laserapparatur, die mehr als drei Kilometer lang ist?

In Norddeutschland wird seit dem 1. Juli der Tunnel für eine solche Maschine gebaut. Mit Lichtblitzen von extrem kurzer Dauer soll der Röntgenlaser Schnappschüsse von Viren, Zellen und molekularen Clustern ermöglichen. Die Kosten für die vielseitige Forschungsanlage, den europäischen Freie-Elektronen-Laser (kurz: XFEL), werden auf etwa 1,1 Milliarden Euro geschätzt. Davon übernimmt Deutschland 54 Prozent und Russland knapp ein Viertel, den Rest steuern weitere elf Partnerländer bei.

An diesem Sommermorgen weist im schleswig-holsteinischen Schenefeld noch wenig auf das Blitzlichtgewitter hin, das hier in vier Jahren eintreffen soll. Kräne senken sich über Baugruben, die nackten Betonwände der fächerartig angeordneten Labors stehen unter Wasser. In den unterirdischen Labors soll das Röntgenlicht auf mehrere Messplätze verteilt werden, damit Materialforscher und Chemiker Korrosions- oder Katalyseprozesse auf Metalloberflächen im Detail studieren können. Selbst Kunsthistoriker wollen hier ein neues Licht auf ihre Objekte werfen.

In der Richtung, aus der der Laser einstrahlen wird, türmen sich Abraumhalden auf dem Feld. Einige hundert Meter weiter öffnet sich der nächste Schacht. Der Blick in die Tiefe fällt auf eine Tunnelbaumaschine, einen 30 Meter langen, computergesteuerten Maulwurf. Sein blaues Schneidrad ist bereit, sich in die Erde zu bohren: unter Bäumen und Wohnhäusern hindurch bis zum Forschungsgelände des Deutschen Elektronensynchrotrons (Desy) in Hamburg, wo der Eingang zum Lasertunnel liegen wird.

In Hamburg hat man sich längst an derart riesige Labors gewöhnt. Sie tragen Namen wie „Doris“, „Petra“ oder „Hera“. In den ringförmigen Maschinen wurden seit Mitte der 60er Jahre Elektronen auf höchste Geschwindigkeiten beschleunigt, um Atomkerne zu zertrümmern.

Physiker erhaschten so einen Blick auf die kleinsten Bestandteile der Materie, die Quarks, und entdeckten den Klebstoff (Gluonen), der die Quarks miteinander verbindet. Inzwischen wurde „Hera“ stillgelegt, die anderen Maschinen haben sich in Röntgenlampen verwandelt. Dabei war das Licht, das beschleunigte Partikel aussenden, zunächst nicht gerne gesehen. Elektronen beginnen zu strahlen, sobald sie sich in die Kurve legen. Und je schneller sie sind, umso größer ist dieser Energieverlust. Nähert sich ihr Tempo schließlich der Lichtgeschwindigkeit, tritt in jeder Biegung eines Ringbeschleunigers hochenergetisches Röntgenlicht aus.

Dieses Licht hat sich für Nanotechnik oder molekulare Medizin als unentbehrlich erwiesen. Die neue Beschleunigeranlage wird ausschließlich zu diesem Zweck gebaut. Und zwar nicht mehr als Ring, sondern schnurgerade.

„In einem Ring kommen die Elektronenpakete immer wieder an Ablenkmagneten vorbei“, sagt XFEL-Geschäftsführer Massimo Altarelli. „Dadurch wird ihre Bahn gestört.“ Der Elektronenstrahl wird in die Länge gezogen und weitet sich. Das schränkt die Qualität des emittierten Röntgenlichts ein. „Bei einem geradlinigen Beschleuniger gibt es nur einen Durchlauf für die Elektronen, sie bleiben enger zusammen.“ Ein solcher Linearbeschleuniger eigne sich daher besonders für extrem kurze und gut fokussierte Lichtblitze.

Doch die Herausforderungen an die Technik sind hoch: Statt in einem Ring immer wieder aufs Neue beschleunigt zu werden, müssen Elektronen im Linearbeschleuniger auf einer vergleichsweise kurzen Rennstrecke annähernd Lichtgeschwindigkeit erreichen. Anschließend werden sie auf einen engen Slalomkurs geführt, damit sie Röntgenstrahlung aussenden. Beides schien lange Zeit unmöglich.

Hans Weise koordiniert die Konstruktion des Beschleunigers. „Kommen Sie“, sagt der 48-jährige Physiker, durchquert mehrere Flure, geht durch den Sommerregen an Werkstätten vorbei, öffnet die Tür einer Halle und hält vor einer 1,30 Meter langen Metallkette, dem Herzstück der Maschine.

„In diesem Hohlkörper werden elektrische Wellen angeregt“, erläutert Weise. Auf den Wellen surfen Elektronen wie auf dem Kamm einer Meereswoge. Die Elektronen durchlaufen nacheinander 640 solche auf minus 271 Grad Celsius gekühlte Metallkammern. So folgt eine Welle der anderen, die Partikel kommen schneller und schneller voran. „Hier drüben können sie sehen, wie man die supraleitenden Kammern zu größeren Modulen zusammenbaut.“ Der Physiker steuert auf eine Glaswand zu. Dahinter tummelt sich eine Gruppe Franzosen in hellblauen Schutzanzügen. „Die Luft in dem Reinraum ist so sauber, da könnte man auch Computerchips herstellen.“

Auf der gegenüberliegenden Seite der Halle, hinter einer Mauer, läuft eine bereits fertige Pilotanlage. Am Ende der 260 Meter langen Teststrecke trifft Laserlicht (siehe Kasten) in winzigen Zeitabständen auf Moleküle und Atome.

Der XFEL soll in jeder Sekunde 30 000 Mal Röntgenblitze von extrem kurzer Dauer und noch höherer Energie erzeugen. Damit wollen Forscher Proteinstrukturen entschlüsseln oder das Wachstum organischer Schichten verfolgen.

Fällt ein Lichtblitz auf eine Probe, wird so viel Energie übertragen, dass sich die Materie in ein heißes Plasma verwandelt. „Obwohl ein Lichtpuls die Probe in die Luft sprengt, kann man ein Bild von ihr aufnehmen“, sagt Thomas Tschentscher, wissenschaftlicher Direktor für den XFEL. Denn die Dauer der Blitze sei so kurz, dass sich die Schäden erst nach der Belichtung bemerkbar machten.

„Mit dem XFEL können wir filmen, wie Prozesse auf atomarer Ebene ablaufen“, sagt der 46-jährige Materialforscher. Zum Beispiel jene chemischen Reaktionen, die bei der Photosynthese stattfinden.

Um das geeignete Röntgenlicht zu erzeugen, braucht man die Energie eines ganzen Kraftwerks. Pure Verschwendung? In Berlin-Adlershof jedenfalls möchte das Helmholtz-Zentrum nachweisen, dass sich die Energie der einmal beschleunigten und dann nicht mehr benötigten Elektronen zurückgewinnen lässt. Über das zukunftsweisende Projekt wird vermutlich im Herbst entschieden.

Mehr Licht für Nanoforschung – und was wird aus der Teilchenphysik? Ist sie mit ihren immer größeren Ringbeschleunigern in eine Sackgasse geraten? 27 Kilometer misst der milliardenschwere Large Hadron Collider des europäischen Kernforschungszentrums Cern bei Genf. Wird er demnächst der einzige seiner Art sein?

Das Desy in Hamburg hat sich in ein Lichtlabor verwandelt, einen ähnlichen Weg hat das amerikanische Beschleunigerzentrum in Stanford eingeschlagen. „Das sind zwei Einrichtungen mit derselben Entwicklung“, sagt Altarelli. Dagegen hat sich die Suche nach den Grundbausteinen der Materie und den Ursprüngen des Universums mehr und mehr auf einen Ort konzentriert: Genf. „Wenn die Rasse irgendwann aussterben sollte, wird das Cern sicherlich das letzte Labor für Teilchenphysik sein.“

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