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Erzwungen. Wehrmachtssoldaten eines Exekutionskommandos lassen sowjetische Partisanen im Zweiten Weltkrieg ihr eigenes Grab ausheben. An den Massenverbrechen des NS-Regimes in der Sowjetunion waren auch einige Verschwörer des 20. Juli beteiligt. 

© picture-alliance / akg-images

Nationalsozialismus: Falsche Helden

Die Ausstellung der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand beschönigt die Biografien einiger Militärs. Ihre Überarbeitung ist überfällig, fordert unser Autor.

Der im Herbst vergangenen Jahres ausgestrahlte ARD-Fernsehfilm „Rommel“ hat eine neue Diskussion ausgelöst über den Widerstand gegen den NS-Staat und seine Darstellung in heutiger Zeit. Was hat Rommel unternommen, um die Verschwörer zu unterstützen? Eine konkrete Unterstützung der Attentäter lässt sich nicht belegen. Obwohl Rommel wahrscheinlich über das geplante Attentat auf Hitler informiert war, konnte er zu keinem Zeitpunkt für den Widerstand definitiv gewonnen werden.

Für Rommel ist die Verwicklung in Kriegsverbrechen allerdings nicht belegt. Zwar stand im Sommer 1942 ein SS-Mordkommando unter Leitung des Erfinders der mobilen Gaswagen, SS-Obersturmbannführer Walther Rauff, für Palästina bereit. In Nordafrika hatte Rauff offenbar auch Kontakt zum Stab Rommels, wahrscheinlich aber nicht mit Rommel selbst.

Angesichts der Debatte über Rommel lohnt sich ein genauerer Blick auf die politische Bildungsarbeit – und insbesondere die Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Eine prominente Stellung hat die Gedenkstätte Deutscher Widerstand (GDW) in Berlin, deren Dauerausstellung den „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“ porträtiert. Bei einem Besuch dieser Ausstellung fallen vor allem zwei Mängel ins Auge: Die schiefe Gewichtung der verschiedenen Themenbereiche der Ausstellung und die fehlende Kontextualisierung der Teilnahme einiger Militärs am Widerstand.

Es ist durchaus merkwürdig, dass dem gescheiterten Attentat der Militäropposition vom 20. Juli 1944 wesentlich mehr Platz in den 26 Bereichen der Dauerausstellung gewidmet wird als etwa dem gescheiterten Attentat vom 8. November 1939, obwohl letzteres schon kurz nach Kriegsanfang stattfand und der Attentäter, Georg Elser, ganz allein agierte. Liegt die schiefe Gewichtung vielleicht daran, dass sich die GDW im sogenannten Bendlerblock im ehemaligen Oberkommando des Heeres befindet? Das diente als Zentrum des Umsturzversuchs gegen das nationalsozialistische Regime am 20. Juli und war auch der Schauplatz für die Erschießung einiger am Umsturzversuch beteiligten Offiziere.

Diese Tatsache dürfte aber keine zentrale Rolle spielen, da die GDW mit „der umfassenden Dokumentation und Darstellung der ganzen Breite und Vielfalt des deutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus“ beauftragt ist. Sie ist also zur Erinnerung an den gesamten Widerstand gegen den Nationalsozialismus verpflichtet.

Im Hinblick auf die fehlende Kontextualisierung der Teilnahme einiger Militärs am Widerstand kann aus der GDW-Biografie des Generalquartiermeisters des Heeres, General der Artillerie, Eduard Wagner, zitiert werden: „Seit 1943 teilt Wagner die Sorge der Verschwörer um den Ausgang des Krieges und unterstützt deshalb die Vorbereitung eines Anschlags auf Hitler durch die verschiedenen Gruppen der Militäropposition.“ Diese Einstellung gilt für viele der am Attentat vom 20. Juli beteiligten Militärs. Sie haben sich beteiligt, weil sie eine deutsche Kriegsniederlage verhindern wollten, und nicht, weil sie grundsätzlich dem verbrecherischen NS-Regime feindlich gesinnt waren. Dieses Phänomen wird in der Ausstellung aber kaum thematisiert.

General Georg Thomas setzte die Hungerpolitik durch

Darüber hinaus wird die Beteiligung einiger Verschwörer an den Massenverbrechen des Regimes, vor allem in der Sowjetunion, mit keinem Wort erwähnt. General der Infanterie, Georg Thomas, Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes im Oberkommando der Wehrmacht, wurde vor dem Angriff auf die Sowjetunion mit dem Aufbau des für die rücksichtslose wirtschaftliche Ausbeutung der sowjetischen Gebiete zuständigen Wirtschaftsstabes Ost beauftragt. Er gehörte zu den Hauptexponenten der Hungerpolitik gegen die sowjetische Zivilbevölkerung. Diese Hungerpolitik basierte auf der Formel, dass der Krieg nur weiterzuführen sei, wenn die gesamte Wehrmacht aus der Sowjetunion ernährt wurde. „Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Lande herausgeholt wird“, heißt es in einer Aktennotiz Thomas’ über das Ergebnis einer Besprechung am 2. Mai 1941. Die GDW-Biografie zu General Thomas verliert kein einziges Wort zu dessen tragender Rolle beim geplanten Hungertod vieler zig Millionen Menschen in den besetzten Gebieten der Sowjetunion.

Generaloberst Erich Hoepner war Befehlshaber der Panzergruppe 4 im Feldzug gegen die Sowjetunion. In seiner GDW-Biografie erfährt man immerhin, dass er bis Januar 1942 „den Überfall auf die Sowjetunion befürwortet hat“. Allerdings fehlt eine Erläuterung, wie diese „Befürwortung“ des Überfalls konkret aussah. Am 2. Mai 1941 formulierte Hoepner seine Ansichten zum kommenden Krieg folgendermaßen:

„Der Krieg gegen Rußland ist ein wesentlicher Abschnitt im Daseinskampf des deutschen Volkes. Es ist der Kampf der Germanen gegen das Slawentum, die Abwehr des jüdischen Bolschewismus. Dieser Kampf muß die Zertrümmerung des heutigen Rußland zum Ziele haben und deshalb mit unerhörter Härte geführt werden. Jede Kampfhandlung muß in Anlage und Durchführung von dem eisernen Willen zur erbarmungslosen, völligen Vernichtung des Feindes geleitet sein. Insbesondere gibt es keine Schonung für die Träger des heutigen russisch-bolschewistischen Systems.“

Die berüchtigten „Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare“ vom 6. Juni 1941 verpflichteten die deutschen Fronteinheiten zur systematischen Tötung regulärer Kriegsgefangener, nämlich aller in deutsche Kriegsgefangenschaft geratenen sowjetischen Politoffiziere. Manche Truppenführer gingen aber noch weiter, wie etwa Generaloberst Hoepner. Bei einer Befehlsausgabe am 12. Juni 1941, zehn Tage vor dem Einmarsch, erhielten die Vertreter der ihm unterstellten Verbände nicht nur den Auftrag zur „Erschießung russischer Kommissare in Uniform“. Sie wurden ebenfalls auf „die gleiche Behandlung von Zivilkommissaren“ verpflichtet. Dabei hatte der Kommissarbefehl die unterschiedslose Tötung der sowjetischen Partei- und Verwaltungsfunktionäre gar nicht verlangt. Hoepner befürwortete also nicht nur den Überfall auf die Sowjetunion als militärischen Feldzug, sondern durchaus als rassenideologischen Vernichtungskrieg.

"Mitverantwortlich für die Besatzungspolitik hinter der Front"

Im Fall des Generalquartiermeisters des Heeres, Wagner, der für die Versorgung des Heeres wie für das Kriegsgefangenenwesen im Operationsgebiet zuständig war, weist seine GDW-Biografie immerhin auf seine Verwicklung in NS- und Kriegsverbrechen hin:

„In dieser Funktion verhandelt er im Frühjahr 1941 über die Kompetenzen der ’Einsatzgruppen des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD’, die als spezielle Mordkommandos ab Juni 1941 an der Front eingesetzt werden. Als Generalquartiermeister ist er aber auch mitverantwortlich für die Besatzungspolitik hinter der Front, vor allem auch für die völlig unzureichende Ernährung der sowjetischen Kriegsgefangenen, die im Winter 1941/42 zu Hunderttausenden sterben.“

Tatsächlich waren aber bis Februar 1942 nicht „Hunderttausende“ sowjetische Kriegsgefangene gestorben – sondern 2,2 Millionen, der Großteil an Hunger und Unterernährung, wie der Historiker Christian Streit schon vor fast 35 Jahren nachgewiesen hat. Für die brutale militärische Besatzungspolitik in der Sowjetunion nahm Wagner eine zentrale Stellung ein. Trotz alledem werden Wagner, Thomas und Hoepner in der Dauerausstellung der GDW als Helden und gar Opfer des Nationalsozialismus geehrt. Sie werden sogar Seite an Seite mit Georg Elser, Julius Leber, Sophie Scholl und anderen echten NS-Gegnern abgebildet.

Mitte Februar 2012 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben für die Neugestaltung der Dauerausstellung der GDW. Vor einiger Zeit bestätigte der Leiter der Einrichtung, Johannes Tuchel, dass „im Moment gerade diverse Überarbeitungen“ vorbereitet werden. Die Dauerausstellung muss in der Tat dringend überarbeitet werden. Es ist zu hoffen, dass die beschönigenden Biografien zu Erich Hoepner und vor allem Georg Thomas inhaltlich angemessen modifiziert, die Teilnahme einiger Militärs am Widerstand ausreichend kontextualisiert sowie deren tragende Rolle bei den Massenverbrechen im Osten angemessen thematisiert werden. Ihre – sehr späte – Beteiligung am Widerstand darf nicht isoliert dargestellt werden.

Der Autor ist Historiker mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus. Er promovierte zur NS-Hungerpolitik gegen die sowjetische Bevölkerung.

Alex J. Kay

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