zum Hauptinhalt

Naturkundemuseum: Jurassic Park in Berlin-Mitte

Wie der größte Saurier in die Stadt kam. Das Naturkundemuseum hat das Skelett neu zusammengesetzt.

Am Anfang war da ein riesiger Knochen, halb verborgen im Boden, oberflächlich frei gespült vom letzten starken Regen. Nur zufällig stieß der deutsche Bergbauingenieur Bernhard Sattler, der für eine Schürfgesellschaft Granate suchte, 1906 am Fuße des Tendaguru auf die fossilen Überreste riesiger Reptilien. Er ahnte nicht, dass sich der unbedeutende Hügel im Südosten Tansanias als eine der weltweit reichsten Lagerstätten für Dinosaurierfossilien erweisen sollte. Bis heute ist Tendaguru die einzige gut bearbeitete Fundstelle aus dem Oberen Jura der Südhalbkugel, die vom Leben verschiedener Dinosaurierarten vor rund 150 Millionen Jahren zeugt.

Wenn Besucher die neuen Ausstellungen im Berliner Museum für Naturkunde besichtigen, die kommenden Freitag unter dem Titel „Eva – Evolution in Aktion“ eröffnen, werden sie ehrfürchtig vor dem Skelett des Brachiosaurus brancai aus Tendaguru stehen. Mit 13,27 Metern ist es das höchste je in einem Museum aufgestellte Skelett eines Dinosauriers. Und es ist weltweit einmalig – anders als etwa der Urvogel Archaeopteryx, dessen Berliner Exemplar jetzt ebenfalls im Original zu sehen ist, von dem es aber mehrere Stücke auf der Welt gibt.

Der knapp 50 Tonnen schwere und mehr als 15 Meter lange Brachiosaurus mit seiner giraffenähnlichen Gestalt gehört zu den größten Landwirbeltieren, die je auf der Erde lebten. Zusammen mit anderen vegetarischen Riesensauriern – darunter die in der Ausstellung gezeigten Dicraeosaurus hansemanni, Kentrosaurus aethiopicus und Dysalotosaurus lettowvorbecki – war die Armechse Brachiosaurus brancai in der späten Jura- und frühen Kreidezeit Jahren im östlichen Afrika verbreitet. Dort lebte damals auch der Raubsaurier Elaphrosaurus bambergi, ein Verwandter des nordamerikanischen Allosaurus, der die Besucher gleich am Eingang empfängt.

Während die Landechsen die urzeitlichen Wälder beherrschten, kreisten vor 150 Millionen Jahren Flugsaurier am Himmel, und das Meer war bevölkert von tropischen Fischen, Meeresreptilien, Muscheln, Seeigeln, Armfüßern und Korallen – eine Lebensgemeinsschaft, die im Museum jetzt komplett zu sehen ist.

Die Umstände, unter denen die zum Teil sensationellen Funde einst am Tendaguru gemacht wurden, waren abenteuerlich. Das Land stand damals als „Deutsch-Ostafrika“ unter der Verwaltung deutscher Kolonialbehörden. Von Sattler informiert, konnte der Stuttgarter Paläontologe Eberhard Fraas auf seiner Ostafrikareise im September 1907 die Fundstelle in Augenschein nehmen. Selbst eine schwere Ruhrerkrankung hinderte ihn nicht daran, einige Knochen zu bergen und nach Deutschland zu transportieren. Dort 1908 als Gigantosaurus africanus beschrieben, sorgten diese Knochenfunde von bis dahin unbekannten afrikanischen Riesensauriern für erhebliches Aufsehen. Der begeisterte Bericht von Fraas veranlasste den damaligen Direktor des Geologisch-Paläontologischen Instituts am Museum für Naturkunde, Wilhelm von Branca, dazu, von Berlin aus eine Ausgrabungsexpedition zum Tendaguru zu organisieren. Die Grabungen, die von April 1909 bis Januar 1913 vom Kurator am Berliner Naturkundemuseum Werner Janensch und seinem Assistenten Edwin Hennig geleitet wurden, kosteten mehr als 230 000 Mark. Der Expeditionsbericht liefert bis heute Roman-Stoff. Knapp einen Monat dauerte es damals, bis Werner Janensch von Berlin aus die Hafenstadt Lindi erreichte – 60 Kilometer entfernt vom Tendaguru. Mit rund 200 Trägern zog er vier Tage lang durch den afrikanischen Busch zur Ausgrabungsstätte, wo ein großes Lager errichtet wurde. Im „Tendagurudorf“ lebten zeitweise bis zu 500 Arbeiter mit ihren Familien – an keiner anderen paläontologischen Expedition waren jemals so viele Menschen beteiligt gewesen.

Heute ist am Tendaguru nichts mehr von dem Lager zu sehen. Auch die Saurierknochen sind weitgehend verschwunden. Kein Wunder, denn beinahe 250 Tonnen versteinerte Dinosaurierknochen schafften die Berliner Paläontologen und ihre Helfer bis 1913 nach Berlin.

Der vielleicht spektakulärste Fund gelang am 9. Oktober 1909, als die Ausgräber südwestlich des Tendaguru auf zwei unvollständige, riesige Skelette des Brachiosaurus stießen. Die Bergung dauerte fast zwei Jahre, wobei bis zu zehn Meter hohe Wände abgestützt werden mussten, wie in einem Steinbruch. Die Forscher entdeckten sogar den vollständig erhaltenen, erstaunlich grazilen Schädel des Brachiosaurus – eine besondere Kostbarkeit, da sich Saurierschädel meist kurz nach dem Tod der Tiere vom Rumpf ablösten und verloren gingen.

In Tendaguru wurden die schweren und zerbrechlichen Knochen mit Gips oder Lehm ummantelt und in extra dafür hergestellte trommelförmige Tragekörbe aus Bambus verpackt, die dann von Trägern zu Fuß in Karavanen zur Küste geschafft wurden. Dort brachte man sie mit kleinen arabischen Küstenseglern nach Daressalam, wo sie, in Überseekisten verstaut, mit der Deutschen Ostafrikalinie nach Hamburg verschifft wurden und schließlich per Bahn nach Berlin gelangten. Hier im Museum stapelten sich die mehr als 1000 Kisten mit fossilen Knochen in den Sammlungssälen; schon bald mussten sie in die Kellergewölbe und Gänge ausgelagert werden.

Dann erst begann die eigentliche Aufarbeitung der Funde, die Präparation und wissenschaftliche Bearbeitung der Knochen. Dadurch ergab sich nach und nach ein Bild davon, wie die Dinosaurier vor Jahrmillionen in Ostafrika gelebt haben müssen. Janensch und seine Mitarbeiter beschrieben mehr als ein Dutzend neue Saurierarten und konnten seit 1924 fünf komplette Skelette im Lichthof des Museums aufbauen. Höhepunkt war 1937 der Brachiosaurus, der jetzt nach genau 70 Jahren lebensnah rekonstruiert wurde und erneut gezeigt wird.

Den Kuratoren gelang es, die Tendaguru-Saurier weitgehend unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg zu bringen. Nur der Dysalotosaurus lettowvorbecki starb gleichsam ein zweites Mal aus, da wichtige Überreste des Sauriers verloren gingen. Und als alliierte Bombenangriffe in den letzten Kriegsmonaten den Ostflügel des Museums zerstörten, wurden die meisten der Fundstücke des von Fraas erstmals beschriebenen Gigantosaurus zerstört, die einst Anlass für die Expedition gegeben hatten. An den verbliebenen 195 der einst 630 Einzelknochen konnte der Paläontologe Kristian Remes vom Berliner Naturkundemuseum jetzt nachweisen, dass diese Pflanzenfresser aus Ostafrika eng verwandt waren mit den in Nordamerika gefundenen Giganten wie Seismosaurus und Apatosaurus (früher bekannt als Brontosaurus).

Die ungewöhnlich gut erhaltenen Originalknochen und Gesteinsabdrücke aus Tendaguru sind jetzt im neu gestalteten Lichthof des Naturkundemuseums zu sehen. Dabei präsentiert sich dem Besucher allerdings nur ein Hauch von „Jurassic Park“, wenngleich die installierten Jurascope zu einer virtuellen Reise in die Vergangenheit einladen und die Dinosaurier, deren Skelett eben noch im Blick war, digital wieder zum Leben erwecken. Aussehen und Bewegungsabläufe folgen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, nach denen sich die Paläontologen auch bei der Aufstellung des Brachiosaurusskeletts richteten.

Der Dinosaurier-Lichthof ist allerdings nur einer der vier jetzt eröffneten Museumsssäle. In der Ausstellung „Evolution in Aktion“ erfahren Besucher, wie kosmische Einflüsse, vom Urknall bis hin zu Meteoriteneinschlägen, und geologische Ereignisse wie die Kräfte der Kontinentaldrift die Erde geformt haben. Gleichzeitig geben Astronomen, Evolutionsforscher und Paläontologen hier einen Einblick in ihre wissenschaftliche Arbeit hinter den Vitrinen und Präparaten.

Bis heute lagern ungehobene Schätze in den Magazinen und Kellerräumen des Museums. Nachdem die Kuratoren trotz des Krieges die größten Dinosaurierskelette aufgebaut hatten, konnten viele der Tendaguru-Funde nach ihrer ersten Beschreibung in den schweren Nachkriegsjahren nicht weiterbearbeitet werden. So warten noch immer etliche der einst in Bambuskörben nach Berlin verschifften Fossilfunde auf ihre Entdecker.

Das Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, 10115 Berlin, zeigt ab dem 13. Juli, 12 Uhr, vier neu gestaltete Ausstellungssäle. Am Eröffnungswochenende ist der Eintritt frei. Weitere Informationen unter Telefon: 20 93 85 91 oder im Internet unter www.naturkundemuseum-berlin.de.

Matthias Glaubrecht

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false