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© Carola Radke/Museum für Naturkunde

Naturkundemuseum: Mit Charles Darwin auf Weltreise

In der Sonderausstellung zu Darwin im Berliner Naturkundemuseum begeben sich die Besucher wie in einem Schiffsbauch auf eine Weltreise zu den damaligen Forschungsorten. Spekulationen à la Hollywood sollte man allerdings an der Garderobe abgeben.

Heutzutage genügt es nicht mehr, Wissen zu generieren und darauf zu vertrauen, dass Politik und Zivilgesellschaft dieses dankbar aufnehmen und in konkretes Handeln umsetzen. Klima-, Umwelt- und Energiedebatten, Diskussionen um Gentechnologie und nicht zuletzt die Kontroversen zur Evolutionstheorie werden selten konstruktiv und ergebnisorientiert geführt, sondern verflachen vielfach als unergiebige Schwarz-Weiß-Polemiken. Um Erkenntnisse zu vermitteln, die Verhaltensänderungen herbeiführen, bedarf es neuer Kommunikationsformen, die gesichertes Wissen verbreiten, Akzeptanz schaffen und vor allem Partizipation ermöglichen. Gerade naturkundliche Museen als Forschungs- und Bildungseinrichtungen haben hier eine besondere Aufgabe, da sie Wissenschaft authentisch und faszinierend darstellen können.

Seit der Eröffnung der neuen Dauerausstellung „Evolution in Aktion“ 2007 verfolgt das Berliner Museum für Naturkunde konsequent diesen Weg. Im Vordergrund stehen Originalobjekte, die Forschungsprozesse anschaulich nachvollziehbar machen. So wird in den Ausstellungen genau unterschieden zwischen gesichtertem Faktenwissen und Hypothesen. Lediglich in der Eingangshalle empfängt ein rekonstruierter Dinosaurierkopf die Besucher – ganz nach dem Motto: Spekulationen à la Hollywood bitte an der Garderobe abgeben! Die Ausstellung selbst zeigt authentische Wissenschaft in Form von echten Knochen und Skeletten, wobei notwendige Materialergänzungen an einer bewusst glatt gestalteten Oberfläche erkennbar sind.

Weiterreichende Interpretationen werden jedoch nicht gänzlich ausgespart, sondern in spielerische Elemente wie die „Juraskope“ – Fernrohre, die eine virtuelle Zeitreise ermöglichen – verlagert. Blickt man durch sie hindurch, verwandeln sich die Dinosaurierskelette im Ausstellungsraum zurück in lebendige Tiere. Diese Animationen beruhen im Wesentlichen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, präsentieren aber auch Spekulatives wie Hautfarben oder Laute. Um den Betrachter zum Schluss wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu führen, endet die virtuelle Reise in der Dinosaurierhalle des Museums.

Gute Museen faszinieren - und binden die Besucher ein

Von dort aus kann der Besucher seine Erkundungstour fortsetzen. In einer großen Vitrine zu Biodiversität findet er 3000 Arten – aber kein einziges Etikett! Was hat sich das Museum nur dabei gedacht? Nun, eigenes Erkunden ist angesagt: Wie Forscher durchforsten die Besucher mit Hilfe einer Lupe einen Leuchttisch, um neben Abbildungen der Tiere die dazu gehörigen Namen zu finden. Das mag vielleicht Mühe bereiten, wirkt aber umso nachhaltiger. Der kleine Nasenbär, der selbst herausgesucht und zugeordnet wurde, bleibt in Erinnerung. Kein vorgefertigter Parcours, sondern die eigene Entdeckungsreise – das bereitet Vergnügen und schafft Vertrauen in die eigene Verständnisfähigkeit. Dass das Konzept erfolgreich ist, zeigen die lange Verweildauer und die positive Resonanz der Besucher.

Auch die aktuelle Sonderausstellung „Darwin – Reise zur Erkenntnis“ vermittelt, was wissenschaftliches Sammeln und Forschen bedeutet. Wie in einem Schiffsbauch begeben sich die Besucher auf eine Weltreise zu den Orten, die Charles Darwin 1831-36 als Passagier der „H.M.S. Beagle“ aufsuchen konnte. Gezeigt werden Sammlungsstücke von den Originalschauplätzen und sogar einige Originalobjekte, die der Forscher seinem Kollegen Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin zukommen ließ. Die Ausstellungstexte beschränken sich auf Zitate von Darwin und anderen Personen an Bord, um das Erlebnis der Reise, das Sammeln von naturkundlichem Material und erste Überlegungen zu dessen Auswertung in den Vordergrund zu rücken. Denn es sollte noch Jahre sorgfältiger wissenschaftlicher Ausarbeitung bedürfen, bevor Darwin sein Werk „Über die Entstehung der Arten“ 1859 vorlegen konnte. Wer in der Ausstellung selbst nachvollzogen hat, welche Mühen dafür nötig waren und welche Zweifel den Forscher bis dahin quälten, wird womöglich ein tieferes Verständnis von wissenschaftlichem Arbeiten erhalten. Denn ernsthafte Forschung braucht Zeit – wenn das nicht topaktuell ist!

Naturwissenschaftliche Ausstellungen sollten also selbst wie eine Forschungsexpedition funktionieren. Die Objekte müssen faszinieren und in einem Kontext präsentiert werden, der Interesse weckt, an vorhandenes Wissen anknüpft, persönliche Bezüge und damit eine Identifikation ermöglicht.

Wissen nicht nur erwerben, sondern auch einen emotionalen Zugang finden

Naturkundemuseen organisieren oder beteiligen sich darüber hinaus an Projekten, bei denen große und kleine Hobbyforscher aufgerufen sind, mit Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten. Beispiele sind das „Evolution Megalab“, bei dem europaweit klimatisch bedingte Änderungen an Gartenschnecken erforscht werden, oder die „ReefCheck-Initiative“, in der Wissenschaftler mit Sporttauchern den Zustand von Korallenriffen kontrollieren. Anlässlich der UN-Konferenz zur Biologischen Vielfalt 2008 führte das Museum für Naturkunde das Schnellfilm-Festival „5 vor zwölf“ durch. 40 Teams erstellten in 40 Stunden vierminütige Kurzfilme zum Thema „Biologische Vielfalt erforschen“. Die Ergebnisse sind unter www.youtube.de/schnellfilm im Internet zu sehen. Es gab eine hochrangig besetzte Jury und attraktive Preise, und selbst im Bundestag wurde das Festival gewürdigt. Das wohl Wichtigste war jedoch, dass sich viele beteiligten, für die das Thema bislang keine besondere Rolle spielte, und die sich nun als Multiplikatoren dafür einsetzen.

Von der persönlichen Entdeckungsreise in entsprechend gestalteten Ausstellungen über partizipative Filmfestivals bis hin zu Kooperationen zwischen Laien und Wissenschaftlern: Eine derartige Beteiligung und eigenes Engagement sind der wohl wichtigste Weg, Wissen nicht nur zu erwerben, sondern auch einen emotionalen Zugang zur Wissenschaft zu finden. So kann Wissen zu Umdenken und letztlich zu Handeln führen.

Eine größere Aufgeschlossenheit der Wissenschaft gegenüber, die als spannende Bereicherung und selbstverständlicher Teil des Alltags betrachtet wird, erlaubt den Übergang in eine nachhaltige globale Gesellschaft, die nicht als Bedrohung, sondern als positive, sinnhafte Herausforderung empfunden wird. Noch ist ein langer Weg zu gehen, aber genauso wie Darwin sollten wir nicht aufhören, diesen konsequent weiterzuverfolgen.

- Der Autor ist Generaldirektor des Museum für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Vorsitzender des Konsortiums Deutsche Naturwissenschaftliche Forschungssammlungen und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltänderungen.

Reinhold Leinfelder

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