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Natur und Umwelt. Viertklässler in 63 Staaten wurden getestet.

© Thilo Rückeis

Naturwissenschaften in der Schule: Wer nicht fragt, bleibt dumm

Vor der neuen Tims-Studie: Der Sachunterricht der Grundschullehrer wird besser, vermuten Experten – aber auch in Berlin? Das zukünftige Lehramtsstudium könnte kontraproduktiv wirken, sagen Professoren

Warum wird die Straße nass, wenn es regnet? Warum ist die Sonne heiß? Kinder bringen Grundschullehrerinnen und -lehrer mit solchen Fragen leicht in Verlegenheit. Viele kennen sich da selbst nicht so aus. Sehr zum Kummer von Politik und Wirtschaft. Angesichts des Fachkräftemangels sorgen sie sich seit Jahren um den Nachwuchs mit „MINT“-Kompetenz, also um Arbeitskräfte, die Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik beherrschen. Mit zahlreichen Bildungsreformen und Initiativen von der Kita bis zur Uni will man den bei deutschen Schülern und Studierenden weniger beliebten Wissensgebieten aufhelfen.

Wie sich deutsche Viertklässler in Mathematik und den Naturwissenschaften im internationalen Vergleich schlagen, wird am morgigen Dienstag bekannt. Dann erscheint neben der internationalen Iglu-Lesestudie die Tims-Studie (siehe Kasten). Im vergangenen Jahr wurden dafür 600 000 Schüler in 63 Staaten im Rechnen, Messen, in Geometrie, Biologie, Physik und Geografie getestet.

Bei der Tims-Studie vor vier Jahren hatten die deutschen Schüler die Fachwelt mit ihren recht passablen naturwissenschaftlichen Fähigkeiten überrascht. Denn die naturwissenschaftlich-technische Ausbildung angehender Grundschullehrer fristet an der Uni meist ein Schattendasein. Und als Teil des Sachunterrichts scheinen die Naturwissenschaften bei den Lehrern weniger beliebt. Gucken die Schüler vielleicht einfach gute Wissenschaftssendungen oder lesen gute Sachbücher?, fragten sich die Experten.

Jedenfalls lagen die Leistungen der deutschen Viertklässler in den Naturwissenschaften signifikant über dem OECD-Schnitt. Die Bildungsforscher stellten auch fest, dass die deutschen Schüler in allen getesteten Bereichen gut abschnitten, also auf einem breiten Fundament stehen. Allerdings erreichte ein Viertel nur die zweite Kompetenzstufe, darunter überproportional viele Schüler mit Migrationshintergrund. Und ein erheblicher Abstand bestand zwischen dem deutschen Schnitt und dem der Spitzenstaaten Singapur, Japan oder England.

Konnte Deutschland an seinen Problemen arbeiten und besser werden? „Ich hoffe es“, sagt Hilde Köster, Professorin für Grundschulpädagogik im Lernbereich Sachunterricht an der FU Berlin. Das Bewusstsein für das Thema sei gewachsen, immer neue SchülerLabs und ScienceCenter seien entstanden, viele Lehrer arbeiteten mit dem Sinus-Programm. Alle Länder haben die Lehrpläne für den Sachunterricht verändert. Oft haben sie sich dabei am „Perspektivrahmen“ der Gesellschaft für Didaktik des Sachunterrichts orientiert, der schon vor zehn Jahren Ziele und Inhalte des Sachunterrichts knapp beschrieben hat.

Doch inwiefern sich die Anstrengungen im Unterricht wirklich niederschlagen, können Schulforscher wie Köster kaum sagen. Studien zeigen, dass die Schülerleistungen stark von der Fachkompetenz der Lehrkräfte abhängen. Sachunterricht wird aber oft fachfremd unterrichtet. Denn in den Ländern ist das Studium des Sachunterrichts neben den Kernfächern Deutsch und/oder Mathematik oft gar nicht oder nur in sehr geringem Umfang vorgeschrieben.

Zu den Ländern, in denen der Sachunterricht aktuell sogar geschwächt wird, könnte bald auch Berlin gehören, befürchten Köster und ihr Kollege von der Humboldt-Universität, Detlef Pech: „Die Vorschläge der Baumert-Kommission sind kontraproduktiv“, sagt Pech. Die Senatsverwaltung dagegen teilt auf Anfrage mit, der Sachunterricht werde damit gestärkt. Unter dem Vorsitz des Bildungsforschers Jürgen Baumert hatte unlängst eine Expertenkommission dem Senat Empfehlungen zur Lehrerbildung gemacht.

Studierende bringen viel negative Erfahrungen aus der Schule mit

Im Kern geht es nun um die Frage, ob Sachunterricht von allen zumindest in einem geringen Umfang studiert werden soll, was Köster und Pech befürworten, oder ob Sachunterricht wenn überhaupt sehr intensiv studiert werden soll – vermutlich aber nur noch von wenigen, was sich aus den Vorschlägen der Baumert-Kommission ergeben würde.

Seit dem Jahr 2004 belegen angehende Berliner Grundschulpädagogen Deutsch und Mathe als Lernbereich. Der dritte, gleich gewichtete Lernbereich ist entweder Sachunterricht oder Musik/Kunst. Die Masse, 90 Prozent, wählt Sachunterricht, schätzen Pech und Köster. Das heißt, die Unis haben die Chance, fast alle zukünftigen Grundschullehrkräfte zu erreichen. Das ist auch dringend notwendig, meinen Köster und Pech. Die Grundschulpädagogen müssen schließlich als Klassenlehrer bis zur vierten Klasse Sachunterricht geben. Pädagogen, die sich in einem Fach schlecht ausgebildet fühlen, meiden es aber lieber.

Naturwissenschaften und Technik sind ohnehin nicht die Lieblingsfächer der angehenden Grundschullehrkräfte: „Die Studierenden bringen viel negative Erfahrungen aus der Schule mit“, sagt Köster. Dort bestehe der Unterricht aus „trockenen, rezeptartig angelegten Versuchen“. In ihrer „Lernwerkstatt“ versucht Köster die Hürden zu überwinden. Die Studierenden sollen sich ein Objekt aussuchen, das sie interessieren könnte, etwa einen Ballon. Ganz anders als es noch zu oft in Schule geschieht, sollen sie selbst Fragen dazu entwickeln und zu Schlüssen kommen. Diese Methoden sollen sie dann auch im Unterricht anwenden. Fragen die Kinder: „Warum wird die Straße nass?“, geht es nicht um eine schnelle Antwort. Das würde die Neugier der Schüler sogar ersticken. Es geht darum, das Thema mit weiteren Fragen zu erschließen: Wie wird die Straße nass und wo?

Hürden bei den Studierenden sind auch zu überwinden, weil Naturwissenschaft und Technik in Deutschland anders als in vielen anderen Ländern als Männersache gelten. In der Grundschule unterrichten aber meist Frauen. Schon bei deutschen Viertklässlern zeigen sich in den Naturwissenschaften Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen, wie die Tims-Studie 2007 gezeigt hat. In der Studienfachwahl von Männern und Frauen spiegelt sich das später. An biologischen Unterschieden liegt es nicht: In allen bei Tims untersuchten 63 Staaten waren Jungen und Mädchen in den Naturwissenschaften gleichauf. In acht Staaten waren die Mädchen sogar überlegen, zum Teil deutlich. Deutschland bildet eine Ausnahme – gemeinsam mit Kolumbien. Deutsche Schülerinnen kaschieren ihre Fähigkeiten sogar, um nicht als unweiblich zu gelten, hat eine Studie gezeigt. Also muss Köster den Studentinnen helfen, mächtige Geschlechternormen zu überwinden. Etwa, indem sie sie beobachten lässt, wie begeistert auch Mädchen Roboter programmieren.

Würden die Baumert-Vorschläge umgesetzt, würde aber nur noch ein Bruchteil von Studentinnen die Chance ergreifen, ihre oft größere Distanz zu Naturwissenschaft und Technik zu überwinden, befürchten Pech und Köster. Denn dann sollen die Studierenden neben den gestärkten Pflichtfächern Mathe und Deutsch wählen können: zwischen Sachunterricht, Musik/Kunst, Sport und der ersten Fremdsprache als drittem Fach. Sachunterricht kann aber nur als Vertiefungsfach mit sehr hohem Umfang belegt werden. Die Kommission will damit die Fachlichkeit der Lehrer stärken. Schließlich müssen für die fünfte und sechste Klasse der Berliner Grundschule auch Fachlehrer für die Naturwissenschaften und für Sozialkunde ausgebildet werden.

Darum begrüßen auch Köster und Pech das geplante Fachstudium ausdrücklich. Doch sie sind überzeugt, dass die vielen naturwissenschaftlich distanzierten Studentinnen den Zwang zur Vertiefung als abschreckend empfinden und das Fach nicht wählen werden – oder es nicht nehmen können, wenn sie Mathe oder Deutsch vertiefen wollen. Neben dem Wahlpflichtfach schlagen Pech und Köster darum „ein Mindestmaß an Sachunterricht für alle“ vor. Anders als Baumert empfiehlt, sollten sich die Sachunterrichts-Studierenden im Master auch nicht entweder für Sozialkunde oder für Naturwissenschaften entscheiden müssen, sondern lediglich einen Schwerpunkt bilden. Das würde dem Charakter des Sachunterrichts besser entsprechen, der Natur und Gesellschaft umfasst.

Pech hat ohnehin den Eindruck, wegen der Fixierung auf MINT falle Sozialkunde zunehmend „hinten runter“. Dabei brauche man dafür genauso guten Unterricht wie für Naturwissenschaften: „Wenn sich herausstellt, dass Jugendliche politikverdrossen oder rechtsextrem sind, ist das Geschrei doch auch groß.“

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