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Neandertaler und moderne Menschen: Hatten sie doch etwas miteinander?

Funde von hybriden Fossilien in Rumänien fügen sich zu einer Geschichte früher menschlicher Paarungen zusammen.

Der Gedanke, dass Neandertaler und in Europa lebende Frühmenschen sich gepaart haben könnten, hat durch eine erneute Analyse von Knochen, die bereits vor mehr als 50 Jahren in Rumänien ausgegraben wurden, neue Nahrung bekommen. Die Knochen zeigen eine Mischung von Merkmalen des modernen Menschen und des Neandertalers. Dies führt die Forscher zu der Vermutung, dass die beiden Gruppen sich gepaart und Nachwuchs miteinander produziert haben. Zu den Fossilien gehören Teile eines Schädels und eines Kiefers sowie ein Schulterblatt. Obwohl die Überreste mit der engen Nase und den schmalen Stirnknochen weitgehend modernen Menschen ähneln, gibt es auch Merkmale, die normalerweise mit Neandertalern in Verbindung gebracht werden, beispielsweise die ausgeprägte Wölbung hinten am Schädel und der typische tiefer sitzende Kieferknochen.

"Moderne Menschen begegneten Neandertalern, vermischten und paarten sich mit ihnen in ganz Europa", sagt Erik Trinkaus von der Washington University in St. Louis, Missouri, dessen Team über die Ergebnisse dieser Untersuchungen in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" berichtet. "Die aus diesen Fossilien gewonnenen Hinweise fügen dem Puzzle ein weiteres Teilchen hinzu." Hinweise auf solche Kreuzungen (oder potenzielle Kreuzungen) hatte Trinkaus auch schon früher in Portugal und Tschechien gefunden. Je mehr solcher Exemplare entdeckt werden, desto weniger Zweifel gäbe es daran, dass die Spezies sich vermischt hätten, erklärt der Forscher.

Eine verworrene Geschichte

Durch neuere Funde verdichteten sich die Indizien, dass die Neandertaler und die modernen Menschen sich in vielen Regionen für Tausende von Jahren ihre Lebensräume teilten. Vor mehr als 50.000 Jahren waren die Neandertaler noch allein auf dem europäischen Kontinent. Aber 20.000 Jahre später waren die meisten Bewohner Europas schon moderne Menschen. Die Zwischenzeit ist ein "absolutes Durcheinander", sagt Clive Finlayson vom Gibraltar Museum, der diese Epoche erforscht.

Die offene Frage ist, ob sich die beiden Spezies bekämpften oder friedlich nebeneinander lebten - oder ob sie sich gar paarten. Unklar ist auch, ob ihr möglicher Nachwuchs fruchtbar gewesen wäre oder unfruchtbar wie etwa die Maulesel. Trinkaus jedenfalls ist überzeugt, dass die beiden voll funktionsfähigen Nachwuchs produzierten.

Doch diese Theorie hat einen Haken. Die bislang analysierten Sequenzen der Neandertaler-DNA legen die Vermutung nahe, dass es keinerlei genetische Vermischung zwischen den Populationen von Neandertalern und modernen Menschen gegeben hat. Das unterstützt die These, dass die Neandertaler von den modernen Menschen ersetzt wurden, als diese über Europa hinwegfegten. Die Neandertaler hatten danach keine Chance, ihre Gene mit den modernen Menschen auszutauschen.

Ein anderes ungelöstes Rätsel ist, dass es in ganz Europa praktisch keine Knochenfunde gibt, die älter als 30.000 Jahre sind und gänzlich aussehen wie von einem modernen Mensch. "Wenn wir Neandertaler und moderne Menschen haben, die sich gekreuzt haben, wie kommt es dann, dass wir nur Neandertaler und diese Kreuzungen finden?", fragt Finlayson. "Wo sind denn die anderen Jungs?" Trinkaus und seine Kollegen charakterisierten die Knochen, die sie in der Höhle Pestera Muierii in Rumänien gefunden haben und ermittelten ihr Alter mit Hilfe der Radiokarbondatierung. Sie stellten fest, dass sie 30.000 Jahre alt sind. Das passt haargenau zu der Theorie, dass die Kreuzungen entstanden sind, als Neandertaler und moderne Menschen sich das europäische Territorium teilten. "Die wichtigste Erkenntnis daraus ist: Als sich diese Leute trafen, haben sie sich gegenseitig als körperlich und sozial ebenbürtige Partner angesehen", sagt Trinkaus, "und sie haben es miteinander hingekriegt."

Dieser Artikel wurde erstmals am 30.10.2006 bei news@nature.com veröffentlicht. Übersetzung: Doris Marszk, Wissenschaft aktuell. © 2006, Macmillan Publishers Ltd

Kerri Smith

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