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Blutkrebsmedikamente sollen das ungehemmte Wachstum bestimmter Blutzelltypen stoppen. Eine Kombination des Wirkstoffs Idelalisib mit Rituximab oder Bendamustin scheint nun tödliche Nebenwirkungen zu verursachen.

© Mauritius

Update

Nebenwirkungen und Todesfälle: Studien mit Blutkrebsmedikament gestoppt

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat wegen verdächtig hoher Todesfallraten drei klinische Studien gestoppt, in denen eine Kombination von Krebsmedikamenten getestet wurde. Auch deutsche Kliniken sind betroffen.

Nach Meldungen über schwerwiegende Nebenwirkungen und sogar Todesfälle in drei klinischen Studien des Blutkrebsmedikaments Zydelig hat die europäische Zulassungsbehörde EMA das Medikament mit dem Wirkstoff Idelalisib jetzt unter Beobachtung gestellt. An zwei der drei Zydelig-Studien, die schon 2013 gestartet wurden, sind auch Patienten der Berliner Kliniken der Charité und des Vivantes Urban-Krankenhauses, sowie in Leverkusen, Mainz, München, Gießen, Kassel und Villingen-Schwenningen beteiligt. Ursache der Nebenwirkungen ist vermutlich die Kombination des Wirkstoffs mit anderen Blutkrebsmedikamenten - Rituximab und/oder Bendamustin.

Ernstzunehmende Zwischenfälle

„Wir nehmen die schweren Zwischenfälle im Zusammenhang mit den klinischen Prüfungen von Zydelig sehr ernst“, sagte die Sprecherin des Bundesinstituts für Arzneimittelprüfung und Medizinprodukte (BfArM) Sabine Cibura dem Tagesspiegel. „Die betreffenden Studien wurden sofort gestoppt.“
Die Zulassung von Zydelig als Einzelpräparat für die Behandlung von zwei Blutkrebstypen, der chronischen Lymphozyten-Leukämie (CLL) und follikulärem Lymphdrüsenkrebs, einer besonderen Form des Non-Hodgkin-Lymphoms, bleibt jedoch bestehen. Die auffällig häufigen Todesfälle traten nur in den Studienarmen auf, in denen Zydelig mit anderen Wirkstoffen (Zytostatika) kombiniert wurde.

Doppelt soviel Todesfälle wie üblich

Die EMA hat die leitenden Ärzte über die Nebenwirkungen und Todesfälle in den Studien informiert. Details über die Art der Nebenwirkungen hat die Behörde aber noch nicht veröffentlicht, nur dass es sich vor allem um eine Häufung von Infektionen während der Therapie handelt. „Patienten mit diesen Blutkrebserkrankungen haben ohnehin ein erhöhtes Risiko für Infektionen“, sagte der Hämatologe Antonio Pezzutto von der Berliner Charité dem Tagesspiegel. Das Immunsystem der Patienten sei durch die Krebserkrankung bereits geschwächt und es bestehe der Verdacht, dass Zydelig vor allem in Kombination mit Bendamustin eine allergische oder „chemische“ Lungenentzündung verursachen könne. Er erinnere sich an etwa zwei Patienten in Berlin, die im Rahmen der Studien diese Nebenwirkung zeigten. In der Kombination mit Bendamustin, einem klassischen Zellgift, könnten sich Infektionen, insbesondere "atypische" Lungenentzündungen, wie sie auch bei immungeschwächten Aids-Patienten auftreten können, häufen, sagt Pezzutto.

Anlass für den Abbruch der Studien sei aber wohl die ungewöhnlich hohe Todesrate in der Patientengruppe gewesen, die mit der Kombinationstherapie behandelt wurde: 7 Prozent gegenüber 3,5 Prozent in der Vergleichsgruppe.

"Möglicherweise wird man ergänzend zu einer Zydelig-Therapie in Zukunft eine vorbeugende Behandlung mit Medikamenten durchführen müssen, die bakteriellen un d viralen Infektionen entgegenwirken", sagt Pezzutto. Bei anderen Therapien gegen CLL-Blutkrebs sei das ohnehin schon Standard.

Nicht verteufeln

Die EMA will nun zunächst die randomisierten Doppelblind-Studien "entblinden" und die Daten analysieren, bevor über weitere Maßnahmen entschieden wird. Patienten, die zur Zeit Zydelig bekommen, sollten aufmerksam beobachtet werden, insbesondere auf Anzeichen einer Infektion, rät die EMA. Therapien sollten aber vorerst nicht abgebrochen werden, solange der Patient das Medikament gut verträgt.

Nicht um jeden Preis weg von der Chemo

An der Charité wird derzeit kein Patient mit einer Zydelig-Kombinationstherapie behandelt, sagt Pezzutto. Trotz des besorgniserregenden Verdachts gegen die Kombination von Zydelig mit anderen Blutkrebsmedikamenten warnt der Arzt davor, Zydelig zu verteufeln. „Idelalisib ist ein potenter und erfahrungsgemäß verträglicher Wirkstoff und kann bestimmten Blutkrebspatienten helfen.“ Es wäre schlecht für diese Patienten, wenn das Medikament in Verruf käme, nur weil es in Kombination mit anderen Wirkstoffen womöglich schädlich sei. Zumal Zydelig anders wirke, als die Zellgifte einer Chemotherapie. Der Wirkstoff unterbricht einen Signalweg in den Krebszellen und wirkt so der ungehemmten Zellteilung entgegen.

Die Art und Weise, wie die Herstellerfirma Gilead die mit 5500 Euro pro 30tägiger Therapierunde "extrem teure" Arznei als Alternative zur Chemotherapie bewerbe und als Erstlinientherapie durchzusetzen versuche, gefällt Pezzutto nicht. Um jeden Preis "weg von der Chemotherapie" zu wollen, sei ein Irrweg. Viele der Zytostatika, die in der Chemotherapie verwendet werden, hätten überschaubare Nebenwirkungen. "Damit wissen wir inzwischen gut umzugehen", sagt der Arzt. "Aber was neue Medikamente wie Zydelig für Nebenwirkungen haben, wissen wir eben oft noch nicht."

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