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Krebsnest. Die mikroskopische Aufnahme zeigt gestreute Brustkrebszellen (blau gefärbt) in einem Lymphknoten (rot eingefärbt).

© imago/Science Photo Library

Neuer Ansatz der Krebstherapie: Medikamente gegen Mutationen

Die "organübergreifende" Behandlung von Tumoren macht Furore. Sie basiert auf dem genetischen Profil der Krebszelle.

In der Krebsmedizin wird eigentlich streng nach Organen getrennt behandelt. Für Tumoren des Darms, der Lunge oder der Brust gibt es separate Therapiepläne, Leitlinien genannt. Doch ganz langsam beginnt das Umdenken. Denn die scheinbar völlig verschiedenen Krebsformen haben ihre Ursache häufig in ganz ähnlichen genetischen Veränderungen (Mutationen) der Krebszelle. Warum nicht diese aufs Korn nehmen?

Inzwischen gibt es erste Medikamente, die nicht mehr nach dem befallenen Organ oder dem vorherrschenden Zelltyp, sondern nach bestimmten Mutationen ausgewählt werden. Ein solcher, gegen eine Mutation gerichteter Wirkstoff kann im Prinzip bei allen Krebsformen eingesetzt werden. Vorausgesetzt, diese haben die gleiche genetische Veränderung.

Der Wirkstoff blockiert ein gefährliches Eiweiß

Ein Beispiel für den neuen Trend ist der Wirkstoff Larotrectinib. Er blockiert ein von Krebszellen hergestelltes krankhaftes Eiweiß (Protein). Dieses Eiweiß namens Tropomyosin-Rezeptorkinase(TRK)-Fusionsprotein ist das Ergebnis einer folgenschweren Mutation in der Krebszelle. Sie ist mitentscheidend für die Umwandlung einer normalen Zelle in eine krankhafte Tumorzelle, die sich unablässig teilt und zerstörerisch wächst.

Das TRK-Fusionsprotein findet sich in 0,5 bis ein Prozent aller Fälle bei häufigen Krebsarten (etwa Lunge, Darm, Brust) und in mehr als 90 Prozent bei einigen seltenen Tumoren (Speicheldrüsenkrebs, Brustkrebs oder bestimmte Bindegewebstumoren im Kindesalter).

Beim Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für Klinische Onkologie (ASCO) in Chicago wurden Ergebnisse der Behandlung mit Larotrectinib nun vorgestellt – und erregten Aufsehen und Begeisterung, weil sie sehr vielversprechend klangen. 55 Patienten (zwölf Kinder und 43 Erwachsene) mit TRK-Fusionsprotein wurden behandelt; 76 Prozent sprachen auf das Medikament an. Bei zwölf Prozent – allesamt Patienten mit Krebs im späten Stadium – bildete dieser sich sogar vollständig zurück.

„Wir glauben, dass das dramatische Behandlungsergebnis ein Argument dafür ist, bei Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden nach der TRK-Mutation im Erbgut zu fahnden“, sagte David Hyman vom New Yorker Memorial-Sloan-Kettering-Krebszentrum, der die Ergebnisse auf dem ASCO-Kongress vorstellte. Sogar von einer „neuen Ära“ für die Krebsmedizin war bei dem Treffen die Rede.

Als Tablette zu schlucken und gut zu vertragen

Larotrectinib blockiert direkt das krankmachende Eiweiß. Es wird in Tablettenform eingenommen und erwies sich als gut verträglich, wie Hyman berichtete. Allerdings trat bei sechs Patienten eine Resistenz gegen den Wirkstoff auf. Die Ursache war eine erneute Mutation, die den Krebs widerstandsfähig gegen das Medikament machte. Die Herstellerfirma Loxo hat jedoch für diesen erwartbaren Fall vorgesorgt und einen zweiten Wirkstoff für Patienten mit Resistenz-Mutation entwickelt. Er ist anscheinend ebenfalls gut wirksam.

Ein weiteres Beispiel für eine Krebstherapie auf genetischer Basis ist der Antikörper Pembrolizumab. Er wird in die Vene gespritzt und regt das Immunsystem an, gegen Krebszellen vorzugehen. Das geschieht, indem er eine molekulare „Bremse“ auf Immunzellen blockiert, die die Reaktion auf Tumorzellen abschwächt.

Fällt die Bremse weg, kann der Krebs durch körpereigene Mittel häufig hochwirksam bekämpft werden. Eine gute Erfolgsaussicht besteht vor allem dann, wenn Gene für die Erbgutreparatur (MMR-Gene) schadhaft sind. Mutationen dieser MMR-Gene erhöhen ihrerseits die Zahl der Mutationen drastisch – im Durchschnitt um mehr als das 20-Fache. Je „mutierter“ die Krebszelle ist, umso leichter ist es für das Immunsystem, sie zu erkennen und zu attackieren.

Zusammengenommen finden sich Mutationen der MMR-Gene und der TRK-Erbanlage bei ungefähr fünf Prozent aller Tumoren, schätzt der Krebsspezialist Hyman. Fünf Prozent – das klingt nicht nach viel. Aber es ist ein Anfang.

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