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Vor dem Steinzeitmonument Stonehenge laufen Schafe über eine Weide.

© Adrian Dennis/AFP

Neuer Fund in britischer Steinzeit-Landschaft: Stonehenge und das Rätsel des heiligen Bezirks

Nahe der Kultstätte Stonehenge wurde eine gigantische Kreisanlage entdeckt. Der Ring aus Schächten könnte die Grenze zu einem heiligen Bezirk markieren.

Die Menschen vor 4500 Jahren im heutigen England müssen über erstaunliche Fähigkeiten verfügt haben. Sie haben nicht nur begonnen, Landwirtschaft zu betreiben und das Ornament zu entdecken, sondern sie dachten auch in großen Zusammenhängen und hinterließen erstaunliche Monumente. Das bekannteste und berühmteste aus dieser Zeit ist der Steinkreis von Stonehenge in Südengland.

Er liegt inmitten einer Landschaft weiterer steinzeitlicher Anlagen – „Henges“ genannt, die aus einem runden oder ovalen Erdwall mit einem innenliegenden Graben bestanden. Durrington Walls drei Kilometer nordöstlich von Stonehenge mit einem Durchmesser von 500 Metern ist das bisher größte und älteste Monument.

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Nun hat ein internationales Forscherteam einen weiteren Ring von zunächst rätselhaften Schächten rund um Durrington Walls entdeckt. Über 20 Schächte mit jeweils einem Durchmesser von zehn Metern und einer Tiefe von fünf Metern in einem Radius von jeweils 800 Metern zum Mittelpunkt von Durrington Walls.

Wissenschaftliche Rekonstruktion des Rings tiefer Schächte um Durrington Walls, auf der u.a. auch Woodhenge und Durrington Walls eingezeichnet sind.
Rekonstruktion des Rings tiefer Schächte um Durrington Walls.

© University Of Bradford/Handout via REUTERS

[Eine animierte Version dieser Grafik finden Sie in der Pressemitteilung der University of St. Andrews: New circle discovered near Stonehenge]

Der so gebildete Ring hat einen Durchmesser von zwei Kilometern und übertrifft alle bis jetzt bekannten jungsteinzeitlichen Anlagen im Vereinigten Königreich. Die Schächte wurden, wie Bohrungen ergeben haben, vor rund 4500 Jahren angelegt, genau zur gleichen Zeit wie Durrington Walls, das, wie man vor fünf Jahren herausgefunden hat, von mindestens 200 massiven Holzpfosten umgeben war. Außerdem befanden sich unter der Anlage zwei Menhirreihen, also ein doppelter Kreis aus Großsteinen.

"Kosmologischen Glaubenssystemen Ausdruck verliehen"

Aber was hat es nun mit diesen rätselhaften Schächten auf sich, die das Areal weiträumig umfassen? Sicher sei, dass die Größe der Schächte die Bedeutung von Durrington Walls Henge demonstriert, erklärt Vince Gaffney, Professor an der School of Archaeological and Forensic Sciences in Bradford, der das Forscherteam leitet.

„Die Komplexität der monumentalen Strukturen innerhalb der Landschaft von Stonehenge“ stehe für „das Vermögen und den Wunsch der neolithischen Gemeinschaften, ihre kosmologischen Glaubenssysteme auf eine Art und Weise und in einem Ausmaß auszudrücken, das wir niemals zuvor angenommen hätten“.

Der Ring aus Schächten könnte eine Art von Grenze zu einem heiligen Bezirk darstellen, der die Menschen davor warnte, diese Grenze einfach zu überschreiten, vermuten die Prähistoriker. Pfahlreihen innerhalb der Anlage könnten dann als Wegweiser zu dem Heiligtum geführt haben.

Neue Technologien halfen bei der Entdeckung

Aber warum gerade dieser Durchmesser und diese Größe? Die Wissenschaftler sind sich sicher, dass dies kein Zufall war, denn auf der Grenze liegt auch das ältere prähistorische Monument Larkhill Causeway Enclosure, das noch einmal 1500 Jahre älter ist als Durrington Walls.

Die Menschen vor 4500 Jahren müssen also genau gewusst haben, was sie taten. „Die Gegend um Stonehenge gehört zu den am besten erforschten archäologischen Landschaften der Erde, und es ist bemerkenswert, dass die Anwendung neuer Technologien immer noch zur Entdeckung einer solch gewaltigen prähistorischen Struktur führen kann“, sagte Gaffney der österreichischen Zeitung „Der Standard“.

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Wissenschaftler aus Österreich waren maßgeblich an der Entdeckung beteiligt, allen voran Wolfgang Neubauer vom Ludwig-Boltzmann-Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie und Mitarbeiter der Abteilung Angewandte Geophysik der Zentralstelle für Meteorologie und Geodynamik in Wien.

Ein Mann schiebt einen Wagen mit einem Radarscan-Gerät über ein brachliegendes Feld.
Archäologieprofessor Christopher Gaffney beim Scannen des Untergrunds im Umkreis von Durrington Walls (August 2019).

© University Of Bradford/Handout via REUTERS

Mit Bodenradar und Magnetfeldmessungen haben die Forscher mit den Kollegen der Unis Bradford und Birmingham von 2010 bis 2016 im „Stonehenge Hidden Landscape Project“ ein 16 Quadratkilometer großes Gebiet erkundet. Man wollte die einzelnen „Henges“ nicht mehr isoliert betrachten, sondern sich gemeinsam auf die Suche eines größeren Zusammenhangs machen.

Eine Methode, die jetzt auch auf die Spur der Schächte führte: Nach den Radarscans wurden mit einer speziellen Software detailreiche 3D-Bilder von im Untergrund verborgenen Strukturen gewonnen.

Den "versteckten Landschaften" auf der Spur

Die Menschen der Jungsteinzeit haben diese Riesenanlage präzise geplant, doch die Archäologen tappten lange im Dunkeln, wie sich aus einem Aufsatz im Fachjournal „Internet Archaeology“ erschließt. Einzelne Schächte hatte man vorher schon entdeckt – jedoch nicht das monumentale Ensemble.

Erst die systematische Sammlung der geophysikalischen Daten und die Datierung der 20 riesigen Schächte mit Hilfe von Bohrungen stellte den Zusammenhang zu dem Monument von Durrington Walls her. Und da dieses nur drei Kilometer entfernt von Stonehenge, dem jüngsten und letzten Monument der Steinzeit liegt, muss es auch einen Zusammenhang zwischen diesen „Henges“ geben.

Zwei Männer hantieren auf einer Wiese mit einer Apparatur, um eine Bodenprobe zu entnehmen.
Forscher des Stonehenge Hidden Landscapes-Projekts nehmen eine Bohrung in einem der Schächte des äußeren Rings vor.

© University of Bradford/Handout via REUTERS

Damit wird diese Kulturlandschaft, die schon zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, noch bedeutender. Die Sedimente in den Bohrkernen enthielten ein reiches und faszinierendes Archiv von bisher völlig unbekannten Umweltdaten, erklärt Tim Kinnard von der School of Earth and Environmental Sciences der Universität St. Andrews.

Daraus ließe sich eine detaillierte Geschichte der Landschaft um Stonehenge vor 4000 Jahren ablesen. Näheren Aufschluss über die Funktion der Schächte soll jetzt eine Grabung bringen.

Die Entdeckung dieser sensationellen Großanlage ist auch ein Triumph interdisziplinärer Zusammenarbeit. Geowissenschaftler und Archäologen haben dies durch die Kombination vom Einsatz modernster geowissenschaftlicher Technik mit klassischen archäologischen Detektivmethoden möglich gemacht, wie es Nick Snashall vom National Trust für Stonehenge ausdrückt.

Neben dem Stolz auf diese Ergebnisse moderner Forschung bleibt die Faszination über das Knowhow der Menschen vor 4500 Jahren, die diese Anlagen konzipiert und gebaut haben.

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