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Bunter lernen. Mehr Kunstunterricht fordert Julian Nida-Rümelin, sowie mehr Sport und umfassende Projektarbeit. Ganzheitliche Bildung müsse das Ziel sein.

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Neues Buch von Julian Nida-Rümelin: Schärfer denken

Bildung heißt Freiheit: Julian Nida-Rümelins Streitschrift gegen die Ökonomisierung von Schulen und Unis. Der Philosoph fordert: Menschen sollen befähigt werden, die „Autorschaft“ über ihr Leben zu erlangen.

Deutschland hat ein Problem. Das Problem hat in den letzten Jahren viele Namen gehabt, mal hieß es Pisa-Studie, mal Bologna-Prozess, mal ging es um den Umbau von Studiengängen und die Einführung neuer, international genormter Abschlüsse, mal um die Verkürzung der Gymnasialzeit, mal um die Abschaffung des dreizügigen Schulsystems, mal um die vier- oder sechsjährige Grundschule. Überall im Bildungssektor wurde reformiert und demonstriert, umstrukturiert und ausprobiert. Welches ist der beste Weg, um Deutschlands Bildungssysteme zukunftsfähig zu machen – um diese große Frage kreiste die hitzige Debatte.

Die Antwort, die der Philosoph und Ex-Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin in seinem neuen Buch „Philosophie einer humanen Bildung“ gibt, klingt zunächst merkwürdig konservativ: Blickt zurück, besinnt euch, verteidigt, was ihr habt. Er plädiert „für eine Erneuerung des Humanismus als Grundlage aller Bildungspraxis und Bildungspolitik“. Die kulturelle Leitidee, an der es derzeit so schmerzlich mangele – sie liegt für Nida-Rümelin weder in der Zukunft noch kommt sie aus den USA. Suchen sollten Bildungsreformer sie im 19. Jahrhundert, bei Humboldt. Und Kant und Aristoteles, Rousseau und Platon befragen.

Nida-Rümelin, der in München Philosophie lehrt, mischt sich seit Jahren mit Sachbüchern zur Ethik, Demokratie und Entscheidungstheorie in öffentliche Debatten ein. Auch diesmal holt er weit aus, referiert Philosophiegeschichte, streift aktuelle Theoriedebatten, bemüht sich um zeitgemäße Definitionen von Begriffen wie Anthropologie und Rationalität. Es ist ein philosophisches Buch geworden, und zugleich ist „Philosophie einer humanen Bildung“ eine politische Streitschrift.

Wer über Bildung sprechen wolle, müsse über sein Menschenbild nachdenken, sagt Nida-Rümelin: „Bildung ist ohne Persönlichkeitsideal nicht vorstellbar.“ Doch welche Persönlichkeitsmerkmale sollen in den Bildungseinrichtungen gefördert werden? Die kapitalistische Gesellschaft hat auf diese schwierige ethische Frage eine einfache ökonomische Antwort gefunden: Staatliche Bildungsanstrengungen gelten als geglückt, wenn aus verspielten Kindern bruttosozialproduktsteigernde Arbeitnehmer geworden sind. Schulen und Universitäten sollen dazu befähigen, auf dem globalen Arbeitsmarkt mit der Konkurrenz mithalten zu können. Deshalb müssen die Kleinen möglichst früh mit Englisch und Chinesisch in Kontakt kommen, außerdem selbstdisziplinierende und -optimierende Strategien erlernen. Damit sie sich später – überspitzt gesagt – möglichst vorteilhaft durch das Assessmentcenter des Lebens hangeln können.

Nida-Rümelin hält eine solche Instrumentalisierung von Bildung für falsch, gefährlich – „unmenschlich“, schreibt er an einer Stelle. Und in letzter Instanz sei der Ansatz ökonomisch schädlich. „Das ist ja das Paradoxe“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel, „wenn man das ganze Bildungssystem auf ökonomische Zwecke ausrichtet, zerstört man damit die Grundlagen einer innovativen Wirtschaft.“ Beruflich erfolgreich seien oft die Menschen, die nicht im Schnelldurchgang und mit Tunnelblick studiert hätten, „sondern die Fremdsprachen beherrschen, urteilsfähig sind, analytisch denken und sich gut artikulieren können“. Auf dem Arbeitsmarkt müssten sich vielseitig Gebildete die wenigsten Sorgen machen.

Der Philosoph Julian Nida-Rümelin.
Der Philosoph Julian Nida-Rümelin.

© picture-alliance/ dpa

Die Rettung der heimischen Wirtschaft ist für Nida-Rümelin aber nur der positive Nebeneffekt des eigentlichen Bildungsziels: „Bildung soll nicht Untertanen schaffen, Bildung soll nicht das Funktionieren der Ökonomie sicherstellen, Bildung soll keinen ideologischen Zielen dienen, sondern Bildung ist der Weg zur autonomen, zur selbstbestimmten Existenz.“ Deshalb sei Bildung um ihrer selbst willen erstrebenswert. Wollte man die Forderungen des Buches auf eine einprägsame Formel reduzieren, dann auf diese: dass Menschen durch eine breit angelegte, humanistische Bildung dazu befähigt werden, die „Autorschaft“ über ihr Leben zu erlangen, sagt Nida-Rümelin.

Mit konsumistischen Weil-ich-es-mirwert-bin-Slogans hat dieser Autonomiebegriff nichts zu tun. Fast streng mutet Nida-Rümelins Ablehnung der „Augenblicksneigung“ zugunsten echter „Urteilskraft und Entscheidungsfähigkeit“ an. Der Autor scheut sich nicht vor großem pathetischen Vokabular: Freiheit, Verantwortung, Tugend, Vernunft. „Derjenige, dessen Praxis im Einklang mit seinen Bewertungen und Überzeugungen ist, fühlt sich frei, er lebt, wie er will.“ Der freie Mensch kann Gründe für sein Handeln angeben und sein Leben daran ausrichten. Manchmal auch gegen die Verführungen des Moments. Vom biologischen Determinismus mancher Neurowissenschaftler hält Nida-Rümelin wenig.

Was folgt aus dem Freiheitsanspruch? Zunächst vor allem ein kritischer Blick auf die bisherigen Bildungsziele und ihre jeweiligen Testverfahren, meint Nida-Rümelin. Bei den Pisa-Tests würden Sprachkenntnisse und Fachwissen keine Rolle spielen. Das sei fragwürdig. Und es sei absurd, dass amerikanische Eliteunis sich am Forschungs- und Bildungsideal Humboldts orientieren, während in Europa ausgerechnet das schlecht funktionierende und hochselektive amerikanische Collegesystem kopiert wird.

Im letzten Teil des Buchs versucht Nida-Rümelin einen Gegenentwurf. Er geht dabei nicht näher auf strukturelle und organisatorische Fragen ein, sondern umreißt grob sein Ideal einer ganzheitlichen Bildung. Kopf und Körper müssten gleichermaßen einbezogen werden, Frontalunterricht, Stillsitzen, passive Rezeption hält der Philosoph für kontraproduktiv. Lieber mehr Sport, mehr Kunst und vertiefende Projektarbeit über die Grenzen der Unterrichtsfächer hinweg.

Ausdrücklich appellierend wird das Buch beim Thema Selektion und Separation. Durchaus „radikal“ sei da seine Position, schreibt Nida-Rümelin, der Mitglied des Parteivorstands der SPD ist. Eine demokratische Gesellschaft müsse sich daran messen lassen, ob sie sich um Inklusion aller gesellschaftlichen Gruppen bemüht. „Bildung soll nicht spalten, sondern einen.“ Dass er das unterfinanzierte deutsche Bildungssystem mit einer solchen Utopie überfordert, dessen ist sich der Autor bewusst. Wichtig aber sei die Leitidee: Bildung als Korrektiv einer „kulturell zerklüfteten Gesellschaft“ zu verstehen, als „Beitrag zur Humanisierung“.

Mit diesem Fingerzeig in Richtung Wahlkampf endet Nida-Rümelin – fast. Der 58-Jährige hat noch einen persönlichen Rat an seine Leser: Man solle seinen Bildungsweg nicht berechnend planen, sondern sich von persönlichem Interesse, Neigung, Leidenschaft leiten lassen. Das Studienfach und der spätere Beruf „sind existenzielle Entscheidungen“, zu schwerwiegend, als dass man sie nur an ökonomischen Motiven ausrichten sollte.

- Julian Nida-Rümelin: Philosophie einer humanen Bildung. Edition-Körber-Stiftung, Hamburg 2013. 248 Seiten, 18,80 Euro.

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