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Südafrikanische Fledermaus, in der Mers gefunden wurde

© M. Corrie Schoeman/Univ. von KwaZulu-Natal

Neues Coronavirus Mers: Tödlicher als Sars, aber nicht so ansteckend

Immer wieder vergleichen Experten die Coronaviren Sars und Mers – und ziehen jeweils andere Schlüsse. Ein deutscher Forscher warnt davor, das neue Virus zu verharmlosen.

Mers und Sars – diese Abkürzungen werden oft in einem Atemzug genannt. Beide stehen für Coronaviren, die aus dem Tierreich auf den Menschen übergesprungen sind. Gegen beide Lungenkeime sind Ärzte praktisch machtlos: Es gibt weder Medikamente noch eine Impfung. Sars raste vor zehn Jahren von Südchina über Hongkong um die Welt, infizierte mehr als 8000 Menschen und tötete jeden zehnten. Doch nach wenigen Monaten war der Spuk vorbei. Weil Fachwelt und Gesundheitsbürokratie konsequent zusammenarbeiten, konnte die Seuche gestoppt werden. Die Pandemie blieb aus.

Und heute? Mers lässt sich Zeit. Im September 2012 erfuhr die Welt erstmals von diesem Virus. Seitdem haben sich 91 Menschen nachweislich angesteckt, die meisten von ihnen auf der Arabischen Halbinsel. 46 starben daran. Fast jede Woche kommen einzelne Fälle dazu. Keiner weiß, wie lange das so bleibt oder ob das Virus bald die Touristen- und Wirtschaftszentren am Persischen Golf oder die heiligen Stätten in Mekka und Medina als Sprungbrett zur Welt nutzt.

„Es geht beim Vergleich mit Sars nicht um ein Horrorszenario“, sagt Christian Drosten, Virologe an der Uni Bonn. „Sars ist eine Erfolgsgeschichte: Man kann eine neue Seuche besiegen, wenn man rechtzeitig etwas tut.“ Diese Erfahrung müsse jetzt umgehend für Mers umgesetzt werden. Dieses Virus habe man viel früher als Sars entdeckt – trotzdem warte man ab und beschwichtige, statt den Vorsprung zu nutzen und alle Kräfte zu bündeln.

Wie sehr Mers Patienten zusetzen kann, zeigt eine Auswertung von 47 saudischen Fällen, die im Fachblatt „Lancet Infectious Disease“ erschienen ist. Fast 90 Prozent von ihnen mussten auf die Intensivstation. Nach nur einer Woche waren fast drei Viertel der Patienten nicht mehr in der Lage, selbst zu atmen. Durchschnittlich zwei Wochen nachdem sie die ersten Symptome spürten, waren 60 Prozent der Infizierten tot. „Der Zustand der Patienten verschlechtert sich viel schneller als bei Sars“, sagt Drosten. „Bei ihnen sieht das Virus schlimmer aus als der Sars-Erreger.“ Mers greife eine Vielzahl von Zelltypen in der Lunge an. Deshalb husteten auch 17 Prozent Blut.

Das Spektrum der Symptome ist weit gefächert: 98 Prozent der saudischen Patienten hatten Fieber, 83 Prozent Husten, 72 Prozent Atemnot, ein Drittel schmerzten die Muskeln. 20 bis 25 Prozent litten unter Bauchschmerzen, Übelkeit und Durchfall. Bei allen zeigten Röntgenaufnahmen eine Lungenentzündung.

"Kein Hinweis auf eine versteckte Epidemie"

Mers sei zwar tödlicher als Sars, aber weniger ansteckend, sagt Ziad Memish, stellvertretender Gesundheitsminister Saudi-Arabiens und Studienleiter. Außerdem seien vor allem alte und chronisch Kranke betroffen. Beides erhöhe die Sterblichkeit. „Es ist unwahrscheinlich, dass Mers einen ähnlichen Verlauf wie die Sars-Epidemie nimmt“, schreibt sein Team in „Lancet“. Es gebe bislang kaum Hinweise auf eine versteckte Epidemie. Dabei würden Menschen, die selbst keine oder nur milde Symptome haben, andere anstecken. Eine mathematische Analyse der ersten 55 Fälle weltweit habe zudem ergeben, dass Mers weit davon entfernt sei, pandemisches Potenzial zu haben.

Deutscher Forscher: Auch Gesunde können gefährdet sein

Drostens Interpretation der Daten ist eine andere. Zwar steckten sich chronisch Kranke möglicherweise leichter an. Doch diese Leiden seien in dem wohlhabenden Land weit verbreitet: Diabetes, Herzprobleme, Bluthochdruck, Fettleibigkeit. Da die Dialyse-Station eines Krankenhauses das Zentrum eines Ausbruchs war, sei auch die Zahl der betroffenen Nierenkranken nicht verwunderlich. „Wir haben keinen Grund zu der Annahme, dass das Virus Gesunden nicht viel anhaben kann“, sagt er. Dazu müsse man das Blut vieler Menschen in der Region auf Antikörper untersuchen. Erst dann zeige ein Vergleich, wer wie auf das Virus reagiert. Gleichzeitig würde man die tatsächliche Verbreitung der Krankheit sehen, statt vor allem die Patienten, die auf der Intensivstation getestet wurden. Ein Detail der Studie ist für ihn zugleich ermutigend und Grund zur Sorge: Für die Diagnostik reichten in Saudi-Arabien oft Abstriche aus dem Rachen, anderswo gelang das nur mit Proben tief aus der Lunge. In Saudi-Arabien ist es damit einfacher Fälle zu finden, sagt Drosten. Aber wenn das Virus auch im Rachen sitzt, erhöht sich die Ansteckungsgefahr.

Übertragungswege "dringend untersuchen"

Bisher ist der Übertragungsweg unter Menschen allerdings genauso unklar wie die tierische Ansteckungsquelle. Ein Verdacht jedoch erhärtet sich: dass Fledermäuse der natürliche Wirt von Mers-Vorgängern sind. Wie ein deutsch-südafrikanisches Team um Jan Felix Drexler von der Uniklinik Bonn im Fachblatt „Emerging Infectious Diseases“ berichtet, haben sie den Kot von 62 südafrikanischen Fledermäusen (13 Arten) auf Coronaviren untersucht. Im Kot einer Fledermaus der Art Neoromicia cf. zuluensis fanden sie Virenerbgut, das Mers extrem ähnlich ist. Ein Einzelbefund, sagt Drosten, der an der Studie beteiligt war: „Wir können noch nicht sagen, dass Mers aus Afrika stammt.“ Doch auch andere Viren haben von dort ihren Weg in den Nahen Osten gefunden. Möglicherweise nutzte das Virus Zuchttiere wie Rinder oder Kamele als Zwischenwirt und wurde so in die Region exportiert: „Das muss dringend untersucht werden.“

WHO veröffentlicht Reiseempfehlungen

Die Weltgesundheitsorganisation WHO übt sich derweil in Diplomatie. Sie berief ein 15-köpfiges Notfallkomitee, das die Generalsekretärin Margaret Chan berät. Nach zwei Telefonkonferenzen entschied das Gremium, dass Mers noch kein „Public Health Emergency of International Concern“ ist. Allerdings steht zur Einordnung keine Skala zur Verfügung. Die Experten müssen zwischen „Ja“ oder „Nein“ wählen. „Ein so weitreichender Alarm wäre im Moment nicht verhältnismäßig“, sagte Keiji Fukuda, verantwortlich für Gesundheitssicherheit bei der WHO. Trotzdem sei die Lage ernst. Spätestens im September – noch vor der großen Pilgerfahrt nach Mekka – werden die Experten erneut tagen. Zwischenzeitlich veröffentlichte die WHO Reiseempfehlungen für Pilger und mahnte alle Mitgliedsstaaten, dass sie auf kranke Rückkehrer vorbereitet sein müssen.

2012 starteten zur Hochsaison der Pilgerfahrten knapp 17 Millionen Passagiere von Saudi-Arabien aus. Mehr als die Hälfte kehrte nach Indien, Ägypten, Pakistan, Großbritannien, Kuwait, Bangladesch, Iran oder den Bahrain zurück, schreiben Forscher im Fachblatt „Plos Currents: Outbreaks“. Dritt- und Schwellenländer haben aber oft nicht nötige Laborausstattung für die Diagnostik. Auch die Infektionskontrolle in den Krankenhäusern entspricht nicht immer westlichen Standards. „Wenn das Virus unbemerkt sein Unwesen treiben kann, hat es die Chance, sich besser an den Menschen anzupassen“, sagt Drosten. „Ich glaube, wir verlieren wertvolle Zeit.“

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