zum Hauptinhalt
Bei der EM 2008 feiern Anhänger der türkischen und der deutschen Nationalmannschaften auf der Berliner Fanmeile.

© AFP

Neues Institut für Migrationsforschung in Berlin: Spielfeld für die Zuwanderung

Berlin hat ein neues Institut für Migrationsforschung. Den Anstoß zur Institutsgründung an der Humboldt-Universität gab auch der Deutsche Fußballbund. Er finanziert eine Juniorprofessur zu Fußball und Integration.

„Die andern“ und „wir“ – das ist der womöglich stärkste Mythos über Migration. Die Teilung in Mehrheit und Minderheit, Alteingesessene und Neue. Eine Einwanderungsgesellschaft wie die deutsche sollte ihn sich nicht mehr leisten, findet Wolfgang Kaschuba. Über das Institut, das er am Mittwoch an der Humboldt-Universität (HU) mit aus der Taufe hob, sagte Berliner Ethnologe: „Das Neue ist, dass wir nicht mehr nach Migranten fragen.“ Es gehe um andere Bindungen und Vergemeinschaftungen.
Dass die alten und weiter mächtigen Kategorien überwunden werden, dafür stehen im neuen „Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung“ (BIM) auch andere Kollegen und Kolleginnen der HU: Naika Foroutan, die Vize-Direktorin, erforscht im „Heymat“-Projekt seit langem jene „hybriden“ neuen deutschen Identitäten, die sich nicht mehr auf Herkunft festlegen lassen, sei die nun türkisch, spanisch, deutsch oder arabisch. Die Bildungsexpertin Petra Stanat, die am BIM die Abteilung Bildung und Integration übernimmt, hat die Schulkarrieren derer, die statistisch als Migranten gelten, seit je ebenso im Blick wie die der Nichtmigranten.
Neu ist aber nicht nur die Verpflichtung des Migrationsinstituts auf diesen Ansatz, sondern auch seine Mischung der Disziplinen. Am BIM werden künftig nicht nur Sozial- und Kulturwissenschaftler die Einwanderungsgesellschaft beforschen, sondern auch Mediziner und Sportwissenschaftler.

Niersbach: Fußball in Deutschland ohne Migranten nicht möglich

Auch die Geldgeber dürften sich so noch nicht zusammengefunden haben: Neben der Hertie-Stiftung, der Initiatorin des neuen Instituts, die 1,8 Millionen Euro Anschubfinanzierung leistet, sind der Deutsche Fußballbund und die Bundesagentur für Arbeit beteiligt. Die Arbeitsagentur stellt Personal und Daten ihres eigenen Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zur Verfügung. Der DFB finanziert mit 400 000 Euro eine Juniorprofessur zu Fußball und Integration. Nicht nur 40 Prozent der Spieler der Erstligaclubs seien Migranten, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Ohne sie „wären auch die 80 000 Spiele jedes Wochenendes gar nicht möglich“. Das BIM wolle seinerseits integrieren, sagte der Institutsdirektor, der Sportwissenschaftler Sebastian Braun. Zusammenbringen wolle man „wissenschaftliche Vielfalt, die Wirklichkeit und staatliche und wissenschaftliche Akteure“. Insbesondere könne das Institut zu einer „realitätsbezogenen Versachlichung“ der gesellschaftlichen Debatte beitragen.

Forschungsthemen sind religiöse Vielfalt und Flüchtlingspolitik

Wie sich der Zusammenprall unterschiedlichster Wissenschaftskulturen, die Kooperation von Soziologen und Medizinern, auswirken wird, das vermag auch Gründungsdirektor Braun noch nicht vorherzusagen: Alle Beteiligten beträten mit dem BIM selbst „Neuland“, „da müssen Sie uns Zeit geben“. Die Sozialwissenschaftlerin Gökce Yurdakul, die Ko-Chefin der Grundsatzabteilung des BIM wird, verspricht sich vom neuen Institut auch mehr Freiheit, neue Wege zu betreten: „Universitäre Wissenschaft ist allgemein konservativ. Wir können offener sein.“ Auch an die Einbeziehung von Künstlern sei gedacht.

Erste Forschungsthemen sind bereits identifiziert: Das Institut will grundlegende Fragen etwa nach der Abwehr und Anerkennung kultureller und religiöser Vielfalt bearbeiten. Es soll die Kriterien für die Verleihung von Staatsbürgerschaften erkunden und weltweit Flüchtlingspolitiken unter die Lupe nehmen. Foroutan betont, dass es darum gehe, Integrations- und Migrationsforschung „auf die gesamte Gesellschaft auszuweiten“.

"Aktiver Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen"

Das bedeute, etwa Grenzregime, Mechanismen der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Alltagsrassismus als „Desintegrationsprozesse“ zu erforschen, die nicht allein Menschen mit Zuwanderungshintergrund betreffen, sondern auch die Alteingesessenen. „Der Integrationsprozess darf nicht auf Migranten reduziert werden.“ Das BIM versteht sich zwar als „aktiver Beobachter gesellschaftlicher Entwicklungen“; Politikberatung soll es aber nicht betreiben. Für den Wissenschaftstransfer in die Politik gebe es, auch in Berlin, andere Akteure, sagte Foroutan. Die Mitglieder des Instituts seien frei, sich gesellschaftskritisch zu äußern, wo sie dies für nötig hielten. „Aber das sehen wir nicht als Kern unserer Aufgabe.“

Die Migrationsbeauftragte hofft auf Belebung der politischen Debatte

Wo Foroutan vorsichtig ist, ist die Vorsitzende des BIM-Kuratoriums forscher. Die Bundesbeauftragte für Migration und Flüchtlinge, Aydan Özoguz (SPD), verspricht sich durchaus auch direkten Input für die politische Debatte. „Wir wissen immer noch zu wenig über die komplexen Integrations- und Migrationsprozesse.“ Sie hoffe, dass Erkenntnisse des Instituts die Migrationsdebatte verbessern werden. Sie wolle sie ihrerseits gern in die politischen Prozesse einspeisen.

Zur Startseite