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Neurologie: Nicht immer ist es Alzheimer

Schwere Gedächtnisstörungen und der Abbau des Denk- und Urteilsvermögens gehen nicht immer auf Alzheimer zurück. Häufiger als gedacht sind kleine Hirninfarkte die Ursache geistigen Verfalls.

„Alzheimer“ – das Wort fällt fast automatisch, wenn einem wieder einmal etwas nicht einfallen will. Wenn man es schon nicht lassen kann, aus harmlosem Anlass gleich auf den Namen einer folgenschweren Krankheit zu kommen, sollte man in Zukunft aber wenigstens allgemeiner von Demenz sprechen.

Denn schwere Gedächtnisstörungen und der Abbau des Denk- und Urteilsvermögens gehen nicht immer auf die nach dem deutschen Neurologen Alois Alzheimer benannte Erkrankung zurück, bei der sich im Gehirn im Übermaß Ablagerungen bestimmter Eiweißstoffe bilden. Schon länger ist bekannt, dass es häufig auch Schäden der Blutgefäße im Gehirn sind, die zu einer vaskulären (gefäßbedingten) Form der Demenz führen.

Thomas Montine von der Uni in Washington präsentierte am vergangenen Freitag beim Kongress der Amerikanischen Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie in San Diego dazu neue Zahlen. Ein stolzes Drittel aller Demenzerkrankungen ist demnach auf Gefäßschäden zurückzuführen, durch die die Sauerstoffversorgung in bestimmten Gehirnarealen gemindert wird und Nervenzellen zugrunde gehen. In den meisten Fällen dürften ihnen mehrere kleine Schlaganfälle vorausgegangen sein, die für sich genommen unbemerkt blieben. Wenn die Schäden sich aber kumulieren, fallen wichtige Hirnfunktionen aus. Bisher waren Psychiater und Neurologen eher von einem kleineren Anteil von zehn bis 20 Prozent rein vaskulärer Demenzen ausgegangen.

Für die Studie wurden die Gehirne von 221 Verstorbenen verschiedener Hautfarben seziert. Sie alle hatten sich als Freiwillige an der „Adult Changes in Thought“-Studie beteiligt, für die zwischen 1994 und 2006 insgesamt 3400 Frauen und Männer aus der Region Seattle rekrutiert worden waren, nachdem sie das 65. Lebensjahr erreicht hatten. In 45 Prozent der Gehirne von verstorbenen Studienteilnehmern, die nach Beginn der Untersuchung an Demenz erkrankt waren, fanden die Neuropathologen die für Alzheimer typischen Eiweiß-Plaques. Einer von zehn Untersuchten zeigte die für eine andere Demenzform charakteristischen Ablagerungen, die Lewy-Körperchen. Im Kampf gegen beide Ursachen geistigen Abbaus ist man noch weitgehend machtlos, Medikamente können den Verlauf allenfalls zu Beginn verzögern. „Die vaskuläre Komponente bietet dagegen heute schon eine Chance zur Prävention“, sagt Hans Förstl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums rechts der Isar in München. Kleine Hirninfarkte, welche die Gefäßschäden verursachen, gehen in vielen Fällen auf Bluthochdruck und eine mit Medikamenten nur unzureichend „eingestellte“ Zuckerkrankheit zurück. Und vor diesen Risikofaktoren kann man sich wenigstens teilweise schützen. Ein Lebensstil, der das Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle senkt, beugt auch der Demenz vom vaskulären Typ vor. Dazu gehört: nicht rauchen, Übergewicht vermeiden, viel Bewegung, Kontrolle des Blutdrucks und der Blutfettwerte.

Alzheimer-Forscher Förstl wundert sich nicht über die neuen Zahlen aus den USA, er findet es allerdings schade, dass seine Kollegen die verstorbenen Demenz-Patienten jeweils nur einer der Kategorien zuordneten und die Ursache für ihre Erkrankung entweder in Alzheimer oder in einer vaskulären Demenz sahen. „Dabei ist die häufigste Krankheitsform die gemischte Demenz.“ Dabei zeigen sich gleichzeitig Veränderungen, die für Alzheimer typisch sind, und Schäden an den kleinen Blutgefäßen.

An einer Demenz zu erkranken, ist und bleibt eine Bedrohung. Dass die Mischformen so häufig sind, macht eine Einflussnahme durch den Lebensstil aber zur sinnvollen Option. Die neuen Daten bestätigen einmal mehr: Nicht immer ist die Demenz ein „Alzheimer“, und nicht alles daran ist Schicksal.

Adelheid Müller-Lissner

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