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So weit draußen hat noch keine Sonde Bilder von einem Himmelskörper geschossen wie „New Horizons“ von Arrokoth.

© Nasa/Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Southwest Research Institute/Roman Tkachenko

„New Horizons“ Bild vom Schneemann „Arrokoth“: Vier Milliarden Jahre alter eisiger Brocken zeugt von Planetenentstehung

Es ist das am weitesten entfernte Objekt, das je von einer Sonde erforscht wurde. Jetzt wurden Bilder und Daten von „Arrokoth“ aus dem Kuipergürtel analysiert.

Fotos sind schon lange nichts Besonderes mehr. Handy raus, Button drücken, ab auf Instagram. Nur wenige stechen heraus und haben einen bleibenden Wert. Dieses hier gehört sicher dazu: die Aufnahme von einem Objekt im Kuipergürtel, das eine Zeit lang als „Ultima Thule“ geführt wurde und seit November als „Arrokoth“ bezeichnet wird, was in der ausgestorbenen Sprache der indigenen Bevölkerung im Osten des heutigen US-Staat Virginias „Himmel“ bedeutet.

Es ist das am weitesten entfernte Objekt, das bisher von einer Forschungssonde aus der Nähe erkundet wurde, und zugleich das ursprünglichste. Seit seiner Entstehung in der Frühphase des Sonnensystems vor gut vier Milliarden Jahren habe es sich nur sehr wenig verändert, meinen die Forscherinnen und Forscher der Nasa-Sonde „New Horizons“, die Arrokoth besucht hat.

Sofern die Einschätzung korrekt ist, erlauben die Missionsdaten einen einzigartigen Blick in die Vergangenheit und helfen zu verstehen, wie sich die ersten Planetenbausteine in der Staubscheibe entwickelt haben, die die junge Sonne umgab.

Einzigartige Bilder aus 3500 Kilometer Entfernung

Die Aufnahme von Arrokoth wurde am Neujahrstag des Jahres 2019 gemacht. Seit ihrem Start im Januar 2006 war „New Horizons“ unterwegs zu den Außenbezirken des Sonnensystems. Im Juli 2015 hatte die Sonde erstmals scharfe Bilder von Pluto geliefert und erhielt eine Missionsverlängerung, um weitere Objekte im Kuipergürtel aufzusuchen – so auch Arrokoth, der 44-mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde.

Aus einem Abstand von „nur“ 3500 Kilometern schoss die Sonde die ersten Bilder und sendete Unmengen von Messdaten zur Erde. Die Auswertung des Materials präsentieren die Forschungsteams nun im Fachmagazin „Science“ in drei Artikeln.

Auffällig ist die Gestalt. Aufgrund der zwei Knubbel – 13 beziehungsweise 16 Kilometer im Durchmesser – wurde Arrokoth bereits als „Erdnuss“ und als „Schneemann“ bezeichnet. Planetenforscher sagen lieber „contact binary“: zwei Körper, die sich berühren. Derartige Objekte sind im Kuipergürtel häufiger anzutreffen, ebenso bei Kometen wie etwa „67P/Churyumov-Gerasimenko“, auf dem 2014 eine europäische Sonde gelandet ist. Das wirft die Frage auf, wie solche Doppelkörper entstehen. Bei Kometen ist bekannt, dass sie in Sonnennähe durch Entgasungen Material verlieren. Ist der Verlust ungleichmäßig, kann ein kompakter Kometenkern schrittweise tailliert werden. Doch im fernen Kuipergürtel, wo die Sonnenstrahlung nur ein Tausendstel so groß ist wie bei uns auf der Erde, muss es anders gewesen sein.

[Videos zum Thema: Die „New Horizons“-Mission, Nasa-Aufnahmen von Arrokoth]

Möglich ist, dass kleinere Partikel aus der protoplanetaren Staubscheibe von größeren durch Gravitation eingefangen werden. Durch diese „hierarchische Akkretion“ entstehen immer größere Körper, die etliche Kilometer groß werden und womöglich auch Doppelkörper kollidieren können.

Einem anderen Modell zufolge bilden sich in dichteren Regionen der Staubscheibe zunächst „Wolken“ aus millimeter- bis dezimetergroßen Partikeln, die dank Gravitation immer näher zusammenkommen und schließlich größere Körper bilden. Statt heftiger Einschläge mit mehreren Kilometern pro Sekunde treffen die Partikel sanft mit einigen Metern pro Sekunde auf die Oberfläche und bauen diese weiter auf. Genauso soll es bei Arrokoth gewesen sein, schreibt jetzt das Team um William McKinnon von der Washington University in St. Louis.

Demnach wuchsen die heute vereinten „Knubbel“ in der Frühphase des Sonnensystems zunächst individuell, aber umkreisten sich bereits. Dieses System verlor Energie – ob durch Gezeiteneffekte oder Reibung innerhalb der Staubscheibe, ist noch unklar –, bis die beiden Körper sich berührten. Die Forscher schätzen, dass die Kollisionsgeschwindigkeit höchstens vier Meter pro Sekunde betragen hat.

Nichts lässt auf einen starken Aufprall schließen

Sie stützen sich dabei auf Modellierungen und Geländedaten. Beide Teile von Arrokoth zeigen eine ähnliche Zusammensetzung, an der Kontaktstelle gibt es keine Strukturen, die auf einen starken Aufprall schließen lassen. Den hätten die zwei Hälften kaum gut überstanden. Denn sie sind wohl porös und enthalten neben silikatischem Material viel Methanoleis, wie ein weiteres Team um Will Grundy vom Lowell Observatory in Flagstaff (Arizona) berichtet.

Das sei nicht überraschend, man kenne gefrorenes Methanol von Kometen, schreibt Grundy dem Tagesspiegel. „Seltsam ist jedoch, dass wir kein Wassereis gefunden haben.“ Bei den herrschenden Temperaturen zwischen minus 210 und minus 260 Grad Celsius ist es stabil und kein Mechanismus bekannt, wie es verschwinden könnte. „Unsere Hypothese ist, dass Arrokoth unter besonderen chemischen Bedingungen entstanden ist, die am äußersten Rand des solaren Nebels herrschen: kalt genug, um Kohlenmonoxid und Methan auf Staubkörnern ausfrieren zu lassen, wo sich daraus Methanol bildete.“ Bisher habe man keine Kometen gesehen, die so reich an Methanol sind wie Arrokoth. Das könnte bedeuten, dass von den beobachteten Kometen keiner aus diesem äußersten Bereich stammt, sondern sich alle etwas näher zur Sonne hin gebildet haben oder in einer anderen Epoche des solaren Nebels, als die chemischen Bedingungen anders waren.

Eine rätselhafte rote Färbung

Auch die rote Färbung stellt die Wissenschaftler vor ein Rätsel. Sie ist bereits von etlichen anderen Objekten im Kuipergürtel bekannt und wird vermutlich von organischen Molekülen, Tholinen, hervorgerufen. „Die gibt es fast überall im Universum“, sagt Grundy. Wo es energiereiche Strahlung gebe, etwa UV-Licht, könne diese Bindungen einfacher organischer Moleküle aufbrechen und so zur Bildung komplexer Moleküle führen.

„Die große Frage ist, wann und wo die Tholine von Arrokoth entstanden“, schreibt er. Gab es sie bereits vor der Entstehung unseres Sonnensystems, bildeten sie sich im protoplanetaren Nebel oder erst nachdem Arrokoth zusammengeballt war, etwa durch Sonneneinstrahlung? „Ich vermute, dass es einer der ersten beiden Prozesse war“, meint Grundy. „Andernfalls würde ich systematische Farbunterschiede zwischen den erhöhten Äquatorregionen und flachen Polgebieten erwarten, doch die sind auf den Bildern nicht zu sehen.“

Es ist noch viel zu entdecken im Kuipergürtel

Stattdessen zeigen sie, bei einer Auflösung von rund 33 Meter pro Pixel, eine eintönige Oberfläche mit nur wenigen Asteroideneinschlägen. Arrokoth sieht noch immer so aus wie vor gut vier Milliarden Jahren. Dies sei entscheidend, um die frühe Entwicklung des Sonnensystems besser zu verstehen, sagt Hauke Hußmann, nicht an der Mission beteiligter Planetenforscher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Berlin.

So lieferten die Messdaten von „New Horizons“ die ersten konkreten Hinweise darauf, dass die „contact binaries“, von denen es in dieser Region des Kuipergürtels viele gebe, wirklich durch sanfte Ansammlung von Material und weitestgehend ohne Kollisionen entstanden sein könnten.

Zu entdecken gibt es noch allerhand. Laut Nasa wurden bisher rund 2000 Objekte im Kuipergürtel erfasst. Astronomen schätzen, dass es Hunderttausende gibt, die mindestens 100 Kilometer groß sind. Man sollte sich von diesen Zahlen aber nicht täuschen lassen. Dieser Gürtel ist eine extrem dünne Wolke. Die dort versammelte Materie hat schätzungsweise nur ein Zehntel der Masse unserer Erde.

Wenn nur ein größerer Körper gefunden wird, der in der Nähe der Flugbahn von „New Horizons“ wäre, könnte dies das nächste Ziel sein. Die Plutoniumbatterie zur Energieversorgung hält noch ein paar Jahre und könnte weitere Forschungen ermöglichen. Doch bislang ist nichts dergleichen bekannt und die Sonde ist weiter auf ihrem Weg nach draußen. Aktuell ist sie gut 46 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt, das entspricht knapp sieben Milliarden Kilometern.

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