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Gene, Alter oder Beruf können beeinflussen, ob jemand Lungenkrebs entwickelt.

©  Jan-Philipp Strobel/dpa

Nichtraucher und Lungenkrebs: Warum ich?

Zigarettenkonsum ist eine der Hauptursachen für Lungenkrebs. Doch auch Nichtraucher können daran erkranken. Immerhin, es gibt positive Neuigkeiten bei der Therapie.

Schon Grundschüler lernen heute, dass Rauchen der Gesundheit schadet. Unter anderem, indem es das Risiko für Krebs erhöht. Beim Lungenkrebs ist das besonders deutlich: Rund 85 Prozent der Menschen, die an dieser Krebsform erkranken, haben mindestens fünf Jahre lang je eine Packung Zigaretten pro Tag geraucht. Epidemiologen sprechen in diesem Fall von fünf „Packungsjahren“, die sie mit sich schleppen. Und Ärzte betonen immer wieder, dass ein Rauchstopp sich zu jedem Zeitpunkt lohnt.

So richtig und wichtig das ist: Man darf darüber nicht vergessen, dass es eine Gruppe von Menschen gibt, die im Verlauf ihres Lebens nie oder nur wenig geraucht haben und dennoch Krebs an der Lunge bekommen. Der Künstler Christoph Schlingensief, der 2010 mit noch nicht 50 Jahren daran starb, gilt dafür als prominentes Beispiel.

Lungenspezialisten müssen die Diagnose aber immer wieder auch bei weit jüngeren Menschen stellen: Etwa bei Frau M. Als die sportliche Nichtraucherin die Diagnose bekam, war sie erst 31 Jahre alt. Ein hartnäckiger Husten, der nach einem Infekt nicht wieder verschwand, hatte sie zum Arzt geführt. Kurz darauf musste sie mit der Nachricht fertig werden, dass der Krebs nicht nur die Lunge befallen, sondern auch schon in ihrem Gehirn Metastasen gebildet hatte. Sie bekam zunächst eine Chemotherapie, dann mehrere moderne Medikamente in Tablettenform.

Es ist wichtig, auf die Familiengeschichte zu achten

Davon später mehr. Frau M. und ihre Familie quälten sich zunächst mit der Frage, warum es ausgerechnet sie getroffen hatte. „Es gibt eine kleine Gruppe von Patienten, darunter auffallend viele Frauen, die nie geraucht haben und schon in jungen Jahren an Lungenkrebs erkranken“, erläutert Christian Grohé, Chefarzt der Klinik für Pneumologie an der Evangelischen Lungenklinik der Johannisstift Diakonie in Berlin-Buch. „In diesen Fällen ist es besonders wichtig, systematisch nach genetischen Veränderungen zu suchen.“ Denn hier sind meist Mutationen in bestimmten Genen zu finden, die als Treiber der Veränderungen fungieren, welche aus gesunden Zellen Krebszellen werden lassen. „Anders als beim Brustkrebs, wo wir die Risikogene BRCA-1 und -2 kennen, ist es hier kein einzelnes Gen, aber es gibt deutliche Hinweise auf eine familiäre Belastung“, erläutert Grohé. Eine große Studie aus Schweden, für die Daten von mehr als 12 Millionen nach 1931 geborenen Bürgern ausgewertet wurden, bestätigt das.

Auch wenn Lungenkrebs nicht als klassische genetische Erkrankung gelten kann, ist es deshalb wichtig, auf die Familiengeschichte zu achten: Wurde in der Vergangenheit bei mehreren Familienmitgliedern schon in jungen Jahren die Diagnose Lungenkrebs gestellt, obwohl sie keine Raucher waren? Für diese Frage möchte Lungenspezialist Grohé sensibilisieren. Denn Lungenkrebs wird oft erst spät erkannt, die Symptome sind entweder wie der hartnäckige Husten recht unspezifisch oder sie treten wie Kurzatmigkeit, Atemnot, Gewichtsverlust und Auswurf oft erst auf, wenn der Krebs schon gestreut hat.

Ein allgemeines Screening, wie es das etwa für Brust- oder Darmkrebs gibt, wäre aufwendig und wird bisher allenfalls für Raucher ab einem bestimmten Alter erwogen. „Im Fall einer familiären Belastung könnte es aber sinnvoll sein, eventuell ein CT mit niedriger Strahlendosis durchzuführen“, sagt Grohé.

Auch ein Grund: Die Lebenserwartung ist gestiegen

Wenn inzwischen bei immer mehr Menschen, die in ihrem Leben nie oder nur sehr selten zur Zigarette gegriffen haben, die Diagnose Lungenkarzinom gestellt wird, dann kann das aber nicht an unserer genetischen Ausstattung liegen – die schließlich sehr stabil ist. Die Zunahme der Diagnosen hat einen eigentlich sehr erfreulichen Grund: Die Lebenserwartung ist gestiegen. Die Diagnose werde typischerweise heute zehn Jahre später gestellt als noch vor wenigen Jahrzehnten, nämlich mit Mitte 70, sagt Grohé. Im Lauf der Jahre werden bei vielen inzwischen immer mehr MRTs, CTs und klassische Röntgenaufnahmen gemacht. „Bei dieser Gelegenheit fallen dann häufig bei Älteren Karzinome der Lunge auf, die nicht zu den klassischen raucherassoziierten Krebsformen gehören“, berichtet Grohé.

Mediziner teilen die Krankheiten, die Laien pauschal als Lungenkrebs bezeichnen, aufgrund der Beschaffenheit der unter dem Mikroskop untersuchten Zellen in verschiedene Untergruppen auf. Eine kleinere Gruppe von Tumoren der Lunge bezeichnen sie als „Kleinzeller“ (wissenschaftlich und englisch „Small Cell Lung Carcinoma“ oder SCLC genannt). Diese Tumoren wachsen schnell und streuen früh in Gewebe außerhalb der Lunge, und 98 Prozent der Betroffenen sind Raucher. Zur größeren Gruppe der „Nicht-Kleinzeller“ (wissenschaftlich und englisch als Non Small Cell Lung Carcinoma oder NSCLC bezeichnet) gehören die Plattenepithelkarzinome, die vor allem infolge einer chronischen Reizung der Schleimhaut zum Beispiel durch Zigarettenrauch entstehen. Auch Schadstoffe wie Asbest oder Cadmium, denen Menschen beruflich oder privat ausgesetzt sind, oder ionisierende Strahlung spielen eine Rolle. Innerhalb der Gruppe der NSCLC haben in den vergangenen Jahren allerdings die Adenokarzinome an Bedeutung gewonnen, die meist vom Lungenrand ausgehen und oft auch Nichtraucher treffen. „Inzwischen machen sie mehr als die Hälfte aller Neuerkrankungen aus“, berichtet Grohé.

Winzige Moleküle unterbrechen Signalketten

Mittlerweile hat sich allerdings noch etwas verändert: Neben den altbekannten Behandlungsmöglichkeiten Operation, Bestrahlung und Chemotherapie steht heute eine Vielzahl von neuen Medikamenten zur Verfügung, die größtenteils als Tabletten eingenommen werden können. Eine ganz besondere Rolle spielen dabei winzige Moleküle, die Andockstellen im Inneren der Krebszellen blockieren und damit Signalketten unterbrechen, die für deren unkontrolliertes Wachstum nötig sind. Aber auch Therapeutika, die den Krebs bekämpfen, indem sie die körpereigene Immunabwehr gezielt unterstützen, spielen eine wichtige Rolle. „Die Behandlung ist sehr komplex geworden, das ist eine echte Herausforderung“, sagt Grohé. Umso bedeutsamer ist für die Behandlung und das Einholen einer zweiten Meinung die Rolle der Lungenkrebszentren, die von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert sind. In der Hauptstadt gibt es fünf davon.

Die gewachsenen therapeutischen Möglichkeiten führen zurück zu Frau M. „Mit diesen neuen Medikamenten aus der Gruppe der Tyrosinkinasehemmer konnten wir Frau M. zwar nicht heilen“, berichtet Grohé, „doch indem wir die Medikamente immer wieder wechselten, konnten wir den Krebs dauerhaft unterdrücken“. Das gelingt bei Frau M. nun schon seit zehn Jahren, ohne dass die Mittel ihre Wirkung verloren hätten. Lungenkrebs ist in ihrem Fall und in zahlreichen anderen zu einer chronischen Krankheit geworden.

Für sportliche, fitte Nichtraucher wie Frau M. kommt als weitere gute Nachricht hinzu: Ihre Chance, die nötigen Therapien gut zu vertragen, ist deutlich größer als die von Menschen, bei denen die Lunge und andere Organe durch das Zigarettenrauchen schon vorgeschädigt sind. Dass es sich lohnt, mit dem Rauchen nicht anzufangen oder möglichst schnell aufzuhören, stimmt also weiterhin.

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