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Wissen: Noch nicht reif für den Blick ins Erbgut Akademien wollen Gendiagnostikgesetz ändern

Es ist erst am 1. Februar in Kraft getreten.

Es ist erst am 1. Februar in Kraft getreten. Doch mindestens sechs Paragrafen des Gendiagnostikgesetzes sind schon veraltet. Zu diesem Ergebnis kommt eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Das Papier mit dem Titel „Prädiktive genetische Diagnostik als Instrument der Krankheitsprävention“ wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt. Es sei nicht als Affront gegen das Gesetz gemeint, versicherte der Mannheimer Jurist Jochen Taupitz.

Als Schwäche wertet die Arbeitsgruppe, dass im Gesetz der Umgang mit Überschussinformationen nicht geregelt ist, also mit Befunden, die über die geplante Diagnostik hinausgehen. „Die Antwort kann nur sein, mit dem betroffenen Patienten vorher darüber zu sprechen, ob solche Informationen genutzt, gespeichert oder vernichtet werden sollen“, sagte Mitautor Urban Wiesing, Medizinethiker an der Uni Tübingen.

Weil Gespräche über den Umgang mit den gewonnenen Informationen und deren fundierte Interpretation dabei überhaupt nicht möglich sind, wendet sich die Stellungnahme klar gegen die Zulassung von Gendiagnostik aus dem Internet. „Wir schlagen vor, dass in der Bundesrepublik für solche Angebote nicht geworben werden darf“, sagte der Leiter der Arbeitsgruppe, der Bonner Humangenetiker Peter Propping.

Tests und Beratung müssen nach Ansicht der Experten schon deshalb im Paket angeboten werden, weil es vielfach um Erkrankungsrisiken und -wahrscheinlichkeiten, nicht um definitive Diagnosen geht. Das zu vermitteln ist schon bei Gentests schwierig, die sich nur auf eine einzige Krankheit erstrecken. Doch inzwischen ist absehbar, dass bald das gesamte Genom eines Menschen für 1000 Dollar sequenziert werden kann. Damit könnten gesunde Bürger auch Einblick in ihr Risiko für Volksleiden erhalten, an denen zahlreiche Gene beteiligt sind.

Schon an den Schulen müsse deshalb mit der Vermittlung neuer Erkenntnisse begonnen werden und Ärzte brauchten Fortbildung, fordert Propping. „Als Fachmann hat man die Befürchtung, dass unser Gesundheitssystem noch gar nicht reif dafür ist, mit den Möglichkeiten der Gendiagnostik umzugehen.“

Doch selbst wenn genetische Allgemeinbildung und Beratung sichergestellt sein sollten, würde sich immer noch die Frage stellen, wie Humangenetiker mit Informationen umgehen sollen, die außer dem Untersuchten andere Familienmitglieder betreffen. Denn hier könnten Schweigepflicht oder Fürsorgepflicht in Konflikt geraten. Die „genetische Unschuld“ eines Menschen, der selbst keinen Gentest angestrebt hat, läge in der einen, der Schutz seiner Gesundheit in der anderen Waagschale. „In konkreten Fällen und bei klarem medizinischem Nutzen sollte der Arzt Verwandte in angemessener Weise auf ein Risiko hinweisen dürfen“, sagt der Medizinethiker Wiesing. Im Gendiagnostikgesetz dagegen gilt die Schweigepflicht als höherer Wert.

Falsch finden die Mitglieder der Arbeitsgruppe auch, dass die genetischen Informationen laut Gesetz nach zehn Jahren vernichtet werden sollen. „Uns besuchen heute Enkel, die froh sind, dass sie die Daten der Großeltern noch haben“, kommentiert der Humangenetiker Claus Bartram von der Uni Heidelberg.

Sorgen macht Bartram sich um die Reihenuntersuchungen von Neugeborenen. Die vom Gesetz geforderte Beratung der Eltern könne in den Geburtskliniken nicht geleistet werden. Wenn Hebammen und Pflegekräfte das Blut nicht mehr abnehmen dürften, seien die Tests in Gefahr. Dabei wird nach zwölf Stoffwechselstörungen gefahndet, die fast alle genetisch bedingt sind und unbehandelt zu schweren Krankheiten führen würden. Werden sie gleich nach der Geburt erkannt, entwickeln sich die Babys normal. Die Empfehlung der Akademien lautet, eine ausführliche Beratung solle erst verpflichtend sein, wenn sich in den Tests eine Auffälligkeit gefunden habe.

Heikle ethische Fragen werfen die Wünsche von Paaren nach einem gesunden Kind auf, die zu Tests schon vor dessen Zeugung oder Einnistung in die Gebärmutter führen. So könnten gesunde Frauen und Männer in Zukunft wissen wollen, ob sie beide Anlagen zu einer erblichen Erkrankung in sich tragen, die erst bei gemeinsamen Kindern durchschlagen könnten. Die Akademien empfehlen, ein „Heterozygoten-Screening“ vorerst nur in Forschungsprojekten zuzulassen.

Bleibt die Präimplantationsdiagnostik (PID), der sich die Politik nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juli bald widmen will. Der Jurist Taupitz empfiehlt, die Zulässigkeit der genetischen Untersuchung von Embryonen vor deren Einpflanzung in die Gebärmutter im Gendiagnostikgesetz klar zu regeln.

Hier bekommen die Wissenschaftler ungewohnte Unterstützung. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel die PID verbieten möchte, vertritt Nikolaus Schneider, neuer Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, eine liberalere Position. „Ich möchte zumindest die Option offenhalten, dass es zu einer begrenzten Freigabe kommen kann“, sagte Schneider. „Was ich mir wünsche ist, dass die Position der Frauen besser gehört wird.“ Adelheid Müller-Lissner

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