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Trotz des Rückrufs sinnvoll: die Grippeschutzimpfung.

© dapd

Novartis ruft Impfstoffe zurück: Wie riskant ist die Grippeimpfung?

Mehrere Grippeimpfstoffe wurden vom Markt genommen, weil sie schwere Nebenwirkungen verursachen können. Ist die Impfung weiterhin sinnvoll? Und wie sicher sind die Impfstoffe?

Die Nachricht platzt mitten in die Grippeimpfsaison. Ampullen des Schweizer Herstellers Novartis könnten verunreinigt sein. Um unerwünschte Nebenwirkungen zu vermeiden, haben Italien, Schweiz und Österreich daraufhin die Auslieferung von Novartis-Impfstoffen gegen Grippe gestoppt. In Deutschland hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) das Mittel zumindest teilweise aus dem Verkehr gezogen, es widerrief die Freigabe von bestimmten Begripal- und Fluad-Chargen.

Was wurde in Italien beobachtet?

In Italien sind in einigen Spritzen weiße Partikel aufgetaucht. Ob es sich dabei um eine Verunreinigung handelt, ist unklar. Möglicherweise sind normale Bestandteile des Impfstoffes verklumpt, hieß es in einer Mitteilung des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic. Der Hersteller Novartis betonte, die Firma habe das italienische Gesundheitsministerium freiwillig auf die Partikel aufmerksam gemacht. Sie könnten während der Herstellung entstehen und hätten aller Wahrscheinlichkeit nach keine Auswirkungen auf Sicherheit und Effizienz.

Das italienische Gesundheitsministerium hat am Mittwoch vorsorglich die Auslieferung und Verwendung der Grippeimpfstoffe Agrippal (in Deutschland heißt der Stoff Begripal), Fluad und Influpozzi untersagt. Die Schweiz schloss sich mit Agrippal und Fluad an, in Österreich wurde die Auslieferung der Vakzine Fluad, Sandovac und Optaflu ausgesetzt.

Wie ist die Situation in Deutschland?

In diesem Jahr sind in Deutschland 16 verschiedene Grippeimpfstoffe zugelassen, nur drei davon stellt Novartis her. Allerdings haben drei Bundesländer – Hamburg, Schleswig-Holstein und Bayern – nach einer Ausschreibung einen Exklusivvertrag mit Novartis geschlossen. Dort sollten die Ärzte ihre Patienten mit dem Impfstoff Begripal impfen. Schon in den vergangenen Wochen hatte der Hersteller Probleme, wenn auch anderer Art. Anfang Oktober gab Novartis Lieferschwierigkeiten zu. Die Hausärzte in den betroffenen Bundesländern beklagten sich, dass sie nicht einmal die Risikogruppen rechtzeitig impfen können.

Obwohl in Deutschland bisher niemand Ausflockungen beobachtet hat, hat das Paul-Ehrlich-Institut vorsorglich die Freigabe von vier Chargen des Grippe-Impfstoffs Begripal mit den Chargennummern 126201, 126102A, 126101, 126202A, und einer Charge des Impfstoffs Fluad mit der Chargennummer 128902 zurückgenommen. Sie werden von Novartis zurückgerufen. Das ebenfalls von Novartis produzierte Optaflu kann weiterhin verwendet werden.

Laut Paul-Ehrlich-Institut könnte eine Impfung mit den betroffenen Chargen allergische Reaktionen auslösen. „Wir haben in dieser Saison noch keine Nebenwirkungsmeldungen über schwere Unverträglichkeitsreaktionen erhalten. Es ist im Sinne der Risikovorsorge jedoch geboten, die Freigabe für bestimmte Impfstoffchargen zurückzunehmen, da schwere Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen werden können“, sagte PEI-Präsident Klaus Cichutek.

Was ist mit bereits geimpften Patienten?

Anhand der Aufkleber im Impfausweis kann jeder nachprüfen, ob man mit einer Novartis-Vakzine geimpft wurde. Nach Angaben des PEI wurden bisher nur Reaktionen beschrieben, die innerhalb weniger Stunden auftraten. Wer vermutet, dass er Nebenwirkungen hatte, kann das dem PEI online unter https://verbraucher-uaw.pei.de melden.

Soll man sich weiterhin impfen lassen?

Ist die Grippeimpfung weiterhin sinnvoll?

Ja, denn es gibt in Deutschland 14 weitere zugelassene Grippeimpfstoffe. Die Impfung ist für Menschen über 60 Jahre, chronisch Kranke, Schwangere und Kinder sehr wichtig. Ihr Risiko, bei einer Grippeinfektion schwer krank zu werden, ist besonders hoch. Empfohlen wird die Impfung auch für diejenigen, die tagtäglich mit vielen Menschen in Berührung kommen wie Pflegekräfte und Ärzte, Lehrer und Erzieher. Die Impfung bietet jedoch keinen 100-prozentigen Schutz.

Warum muss die Impfung jedes Jahr erneuert werden?

Ärzte bekommen jedes Jahr einen anderen Impfstoffmix aus drei verschiedenen Strängen geliefert, die laut Weltgesundheitsorganisation in der kommenden Saison kursieren werden. Die aktuelle Impfung setzt sich aus Antigenen gegen das pandemische H1N1-Virus von 2009 und zwei neuen Komponenten zusammen: Die Bestandteile, die gegen Influenza B und H3N2 schützen, wurden ausgetauscht.

Das aufwendige Ratespiel ist nötig, weil die Grippe unsere Immunabwehr systematisch überlistet. Die Oberfläche des Virus ist mit baumartigen Eiweißstrukturen übersät, dem Hämagglutinin. Für einen Antikörper sind die Kronen dieser Bäume ein einladendes Ziel zum Andocken. Doch ausgerechnet sie sind ein Ablenkmanöver, das Virus kann sie problemlos umbauen. Man kennt 16 verschiedene Hämagglutininarten.

Wie sicher sind Grippeimpfstoffe?

Im Allgemeinen sind sie gut verträglich. Da der Piks die körpereigene Abwehr anregt, schwillt die Einstichstelle manchmal an, wird rot und schmerzt. In den ersten drei Tagen kann es zu Frösteln, Müdigkeit, Übelkeit oder Muskelschmerzen kommen. Die Impfung kann jedoch keine Grippe auslösen. Weil in der Erkältungszeit geimpft wird, bekommt manch ein Geimpfter zufällig zeitgleich eine Erkältung.

Schwere Nebenwirkungen wie allergische Reaktionen sind sehr selten. Allerdings darf bei einer schweren Allergie gegen Hühnereiweiß nicht mit allen Grippe-Vakzinen geimpft werden. Außerdem empfiehlt die European Medicines Agency, Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren nach Möglichkeit nicht mit dem Impfstoff Pandemrix zu impfen, der während der Pandemie 2009/2010 benutzt wurde. In Skandinavien kam es dadurch zu drei bis sieben zusätzlichen Narkolepsiefällen pro 100 000 Geimpfte.

In Deutschland ist ab diesem Jahr ein neuer Lebendimpfstoff mit abgeschwächten Viren zugelassen, der bei Kindern in die Nase gesprüht wird. Er ist besonders wirksam, weil in der Nasenschleimhaut aktiv die Immunabwehr geschult wird. In den USA wird der Impfstoff bereits seit 2003 benutzt. Allerdings ist er nur für gesunde Kinder geeignet und löst häufig ein allgemeines Krankheitsgefühl, Fieber, Appetitlosigkeit sowie Kopf- und Muskelschmerzen aus. Kinder mit einer Immunschwäche oder Asthma zum Beispiel dürfen nicht damit geimpft werden.

Die Alternativen zu den Impfstoffen von Novartis:

Anders als in einigen anderen Bundesländern dürfen Ärzte und Apotheker in Berlin zwischen verschiedenen Impfherstellern wählen, unter anderem Novartis. Engpässe aufgrund des Auslieferungsstopps werden in Berlin daher auch in den kommenden Tagen nicht erwartet. Überhaupt hätten die Stoffe des Pharmakonzerns Novartis nach Auskunft von Branchenkennern in Berlin keine beherrschende Rolle gespielt. Viele Ärzte hätten schon zuvor Produkte anderer Konzerne bevorzugt. Auch der Vorsitzende des Berliner Hausärzteverbandes, Wolfgang Kreischer, hat in seiner Zehlendorfer Praxis Mittel anderer Hersteller verwendet. „Im Allgemeinen empfiehlt es sich, zwei oder drei verschiedene Produkte vorrätig zu haben“, sagt Kreischer. „So splittet man das Risiko bei Lieferausfällen.“ Dass Impfstoff-Chargen von Herstellern zurückgerufen werden, käme ab und zu vor. „Meldungen über mögliche Verunreinigungen verunsichern Patienten und führen dazu, dass diese womöglich von einem Grippeschutz absehen. Patienten kennen ja die Unterschiede nicht“, sagt Kreischer. Für die Risikogruppen hält er die Grippeschutzimpfung aber dennoch weiterhin für nötig und wichtig. In Berlin haben sich in den vergangenen Saisons jeweils etwa 650 000 kassenversicherte Personen Grippeschutzimpfungen geben lassen.

Mehr Informationen unter http://www.impfen-info.de und https://verbraucher-uaw.pei.de

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