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Zwei Männer stehen in einer Ausstellung.

© imago/ZUMA/Keystone

NS-Justiz-Aufklärer Reinhard Strecker: Wider die Politik des Vergessens

Mit seiner Ausstellung "Ungesühnte Nazijustiz" rüttelte Reinhard Strecker die bundesdeutsche Gesellschaft auf. Anlässlich seines 85. Geburtstags wurde er jetzt in Berlin geehrt.

Fritz Bauer, der große Jurist der Nachkriegsgeschichte, dessen filmisches Denkmal man derzeit im Kino bestaunen kann, hat als Generalstaatsanwalt in den 50er Jahren seine Behörde als „feindliches Ausland“ bezeichnet. Gegen massiven Widerstand aus dem eigenen Lager, das von Kryptofaschisten durchsetzt war, brachte Bauer die Frankfurter Auschwitzprozesse auf den Weg – zu einer Zeit, als die deutsche Nation ihre kollektive Schuld noch durch Wirtschaftswunder-Euphorie camouflierte. Eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte kam erst durch die Zäsur von 1968 zustande. Gleichwohl gab es in den 50ern neben Fritz Bauer auch schon andere, weniger bekannte Verfechter einer kritischen Vergangenheitspolitik.

Die Ausstellung "Ungesühnte Nazijustiz" geißelte Pervertierung des Rechts

Reinhard Strecker, der kürzlich seinen 85. Geburtstag beging und gerade – besser spät als nie – mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt wurde, organisierte zwischen 1959 und 1962 mit anderen Studenten im Auftrag des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) die Wanderausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“. Die Schau geißelte die Pervertierung des Rechts im NS-Staat. In Gaststätten und Studentenwohnheimen mehrerer deutscher Städte wurde die verkapselte Öffentlichkeit nach akribischen Recherchen Streckers mit der Tatsache konfrontiert, dass etliche amtierende Richter und Staatsanwälte bereits unterm Hakenkreuz aktiv gewesen waren und mörderisches Unrecht gesprochen hatten.

Ein Porträt von Reinhard Strecker.
Späte Ehrung. Reinhard Strecker erhielt im August 2015 das Bundesverdienstkreuz - als Anerkennung seiner Verdienste um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit.

© Matthias Burchard/Wikimedia

Der Ausstellung vorausgegangen waren zwei (wirkungslose) Petitionen an den Bundestag, die die personalen Kontinuitäten in Justiz und Medizin kritisierten. Im Zuge der Ausstellung stellten Reinhard Strecker und Wolfgang Koppel dann Strafanzeige gegen 43 Richter und Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung in Tateinheit mit Totschlag oder Beihilfe dazu.

"Ein notwendiger Kampf gegen Windmühlen"

Auf einer Veranstaltung, die die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin jetzt zu seinem 85. Geburtstag ausgerichtet hat, erzählte Strecker, seine Arbeit sei ihm damals wie ein notwendiger Kampf gegen Windmühlen erschienen: „Ich hatte nie zu denken gewagt, dass ich mit meinem Handeln Erfolg haben könnte. Ich fand nur, dass man in einem solchen Land, mit einem solchen Personal seine Kinder nicht großziehen konnte, da musste man was unternehmen.“

Wie muffig das Klima war, zeigen die unmittelbaren Reaktionen, die der Wanderausstellung folgten. Vor dem Hintergrund der binären Ost-West-Matrix wurden Streckers Enthüllungen als kommunistische Propaganda gescholten. Verschiedene Universitäten verboten die Präsentation des Materials in ihren Räumen. Die SPD distanzierte sich von der Aktion des SDS. Strecker und seine Kollegen wurden gar aus der Partei geworfen.

Generalbundesanwalt Güde bezeugte die Echtheit des Materials

Wohlwollender wurde die Rezeption erst, als der damalige Generalbundesanwalt Max Güde die Echtheit des Materials bezeugte. Nachdem die Ausstellung in anderen europäischen Städten und nicht zuletzt im britischen Unterhaus gezeigt worden war, sei es mit der Vergessenspolitik dann allmählich vorbei gewesen, sagte Strecker. Langsam kam eine Debatte in Gang, die auch die gängige Auffassung attackierte, es habe sich bei der NS-Justiz um eine vom Regime unberührte rechtsstaatliche Institution gehandelt.

Ein guter Jurist könne nur sein – so waren sich die Laudatoren auf der Veranstaltung einig –, wem die Fragwürdigkeit der eigenen Tradition bewusst sei. Strecker selbst hat sich einmal in Abgrenzung zu den jüngeren 68ern als „58er“ bezeichnet. Er wollte damit ausdrücken, dass auch seine Generation schon Akteure hervorgebracht hat, die sich mit aller Kraft gegen den Vergebens- und Vergessensdiskurs des postfaschistischen Deutschland stemmten. Pionieren wie ihm ist es zu verdanken, dass sich Juristen heute kritisch zu Vergangenheit und Gegenwart ihres eigenen Berufsstandes stellen können.

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