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Offshore-Windpark "Alpha Ventus" komplett

© - dpa

Offshore-Windanlagen: Ruhe unter dem Sturm

In der Nähe von Offshore-Windanlagen entstehen geschützte Lebensräume - etwa Refugien für Seeanemonen oder Weichkorallen.

„Alpha Ventus“ ist nur der Anfang. Seit November ist der erste deutsche Offshore-Windpark komplett. Sechs Generatoren speisen bereits Strom ins Netz, die übrigen sechs werden derzeit angeschlossen. Die Windfarm 45 Kilometer nördlich von Borkum ist Vorbild für weitere Anlagen, die demnächst vor den deutschen Küsten errichtet werden. 22 Windparks auf See sind bereits genehmigt, zusätzlich 51 in der Nordsee und 14 in der Ostsee beantragt. Bis 2020 sollen sämtliche Rotoren über dem Wasser eine Leistung von insgesamt 10 000 Megawatt erreichen.

Über die Folgen der Bautätigkeit im Meer wird seit Jahren gestritten. Dass die Meeresbewohner trotz Vorsichtsmaßnahmen gestört werden, wenn knapp 60 Meter lange Stahlrohre in den Boden gerammt werden und Bagger den Untergrund aufreißen, um Kabel zu verlegen, das bezweifelt niemand. Aber wie wirken sich Windparks auf die Fauna aus, wenn sie erst einmal stehen?

Die Energieunternehmen behaupten, die Artenvielfalt werde zunehmen. Sie versuchen mit diesem Argument, ihren Ökostrom-Projekten einen zusätzlichen grünen Anstrich zu geben. Naturschützer hingegen betrachten jeden Eingriff in natürliche Lebensräume als schädlich. In Windparks, kritisieren sie, werde den angestammten, an Sandboden gewöhnten Tieren die Existenzgrundlage entzogen.

Beide Aussagen sind richtig. „Die normalerweise auf schlickigem Sand lebenden Arten kommen nach dem Bau von Unterwasserkonstruktionen im Umkreis von bis zu 30 Metern nicht mehr vor“, sagt Alexander Schröder vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) Bremerhaven, der die Windanlagen regelmäßig mit dem Forschungsschiff „Heincke“ aufsucht. „Stattdessen siedelt sich eine Fauna an, die auf harten Untergründen lebt, sowie andere Arten, die sich von deren Hinterlassenschaften ernähren.“

Die Wissenschaftler des AWI untersuchen seit Jahren, welche Folgen die Meeresbauten in der Nordsee für die Lebewelt haben. Dazu nutzen sie unter anderem die 2003 errichtete Forschungsplattform „Fino 1“. Sie fußt in 30 Metern Wassertiefe, trägt eine 20 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Plattform, auf der Hubschrauber landen können, und einen knapp 100 Meter hohen Gittermast für Messinstrumente. Am westlichen Rand des heutigen Windparks Alpha Ventus gelegen, hat sie viele Informationen zur Effektivität der Windenergie, zur Sicherheit und zur Besiedlung des Umfeldes geliefert. Inzwischen gibt es zwei weitere Forschungsplattformen, bei Rügen und westlich von Sylt.

Das Ergebnis der Untersuchungen fasst der Biologe Schröder folgendermaßen zusammen: Wenn die Anlagen auf Sandböden errichtet werden, wie in den vom Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie ausgewiesenen Gebieten, nimmt die Biomasse zu. Auf den meist stählernen Unterlagen siedeln sich dicke Schichten von Miesmuscheln an, die bei Sturm teilweise abfallen und großen Taschenkrebsen, Fischen und Seesternen als Nahrung dienen. „Wir haben vermehrt Weichkorallen, Seeanemonen und dichte Lagen von Flohkrebsen beobachtet. Auch Samtkrabben, Seeskorpione, Seenelken kommen häufig vor.“ Arten, die man sonst auf Sandböden kaum antrifft.

Insofern seien die Windparks Schutzgebiete für die sonst nur noch vor Helgoland ansässigen Bewohner harter Untergründe, sagt der Biologe. „Wenn es dabei bleibt, dass zwischen den Offshore-Anlagen nicht gefischt werden darf, steigt auch die Überlebensfähigkeit der Bodenbewohner.“ Die intensive Fischerei mit Grundschleppnetzen habe dazu geführt, dass die Populationen einiger Arten stark dezimiert wurden. Nach wie vor wird jeder Quadratmeter Meeresboden auf den dafür freigegebenen Flächen drei- bis fünfmal im Jahr umgepflügt, erzählt Schröder. „Das ist viel schädlicher als ein Windpark, wenn er einmal zur Ruhe gekommen ist.“ Auch über dem Wasser beeinflussen die Windparks die Fauna. Vor allem Vögel sind von den Rotoren bedroht.

Ein weiteres Problem sind die Stromkabel zum Festland. Um die Eingriffe in die Natur gering zu halten, ist vorgesehen, die Leitungen zu bündeln und geschlossen abzusenken. Das wird schon deshalb nicht gelingen, weil die Betreiber unterschiedliche Bauphasen haben. Gerade das sensible Ökosystem Wattenmeer wird von den Eingriffen stark betroffen sein.

Manche Biologen sorgen sich, weil die immerhin ofenrohrdicken Kabel ein elektrisches Feld erzeugen. Dadurch erwärmt sich der Boden in unmittelbarer Umgebung, es bilden sich andere Lebensgemeinschaften. Diskutiert wird, dass die Trassen für Fische, die sich am Magnetfeld orientieren, zum Beispiel Aale, wie eine Barriere wirken und sie vielleicht nicht mehr zu ihren Laichgewässern finden. Aber darüber gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, nicht einmal Untersuchungen an vorhandenen stromführenden Seekabeln, sagt Schröder.

„Ebenfalls unbekannt ist, inwiefern die Windparks, die zusammen doch eine große Fläche einnehmen, das Nahrungsnetz verändern“, sagt der Forscher. Die bisherigen Modellrechnungen zeigen keinen grundlegenden Wandel des Ökosystems Nordsee. „Aber Simulationen haben immer Unsicherheiten. Wir müssen weiterhin ein wachsames Auge haben für den schonenden Umgang mit der Natur.“

Gert Lange

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