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Medizin studieren. Das Uniklinikum in privater Hand war 2006 ein Novum. Foto: dpa

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Operation Hochschulmedizin: Privatisierte Uniklinik droht in die roten Zahlen zu rutschen

Das Uniklinikum Gießen-Marburg galt als Prestigeprojekt, weil der Staat es einem privaten Investor überließ. Jetzt zeigt sich, dass dieser überfordert ist

Mit der geplanten Übernahme der Rhönklinikum AG will Fresenius den größten Klinikverbund Europas schmieden. Unter den mehr als 50 Rhönkliniken, die Fresenius seiner Helios-Gruppe einverleiben will, befindet sich auch ein Unikat, das erste private Universitätsklinikum an einer staatlichen Hochschule, das Uniklinikum Gießen und Marburg (UKGM). Das Land Hessen hatte im Jahr 2006 dieses drittgrößte Uniklinikum der Republik privatisiert. Der damalige Ministerpräsident Roland Koch, CDU, sah in der Privatisierung die einzige Möglichkeit, die Standorte Gießen und Marburg zu erhalten. Was als „Leuchtturmprojekt“ geplant war, wirft inzwischen allerdings mehr Schatten als Licht.

Der private Investor hält sich zugute, mehr als 397 Millionen Euro in die Klinken investiert und die Patientenzahlen gesteigert zu haben. Doch die Querelen zwischen den Personal- und Ärztevertretungen auf der einen und den in schneller Abfolge wechselnden Geschäftsleitungen auf der anderen Seite haben auch die Befürworter der Privatisierung zermürbt. Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann sah sich sogar veranlasst, mit den ehemaligen Bundesministern Friedrich Bohl, CDU, und Wolfgang Gerhardt , FDP, zwei Mediatoren zu berufen. Die Ministerin sieht die geplante Übernahme als Chance. Vor dem Landtagsausschuss gab sie zu Protokoll, alle anderen Träger als die Rhönklinikum AG wären ein Gewinn.

Kern des Problems ist die Personalausstattung. Die Personalvertretungen beklagen einen „stillen Personalabbau bei steigenden Patientenzahlen“, indem frei werdende und zeitlich befristete Stellen nicht besetzt würden. Der Klinikbetreiber argumentiert, durch Fallpauschalen und Abrechnungsregularien könne das Klinikum, das besonders komplizierte und kostenintensive Behandlungen anbiete, nicht kostendeckend arbeiten. Staatliche Unikliniken erhielten deshalb Sonderzuweisungen aus öffentlichen Kassen, die private Uniklinik drohe dagegen in die roten Zahlen zu rutschen. Deshalb seien Einsparungen unausweichlich.

Selbst ein prominenter Befürworter der Privatisierung, CDU-Landtagsfraktionschef Christean Wagner, attestierte in dem öffentlich ausgetragenen Streit dem Klinikbetreiber „unzulängliche Kommunikation“ und die Verbreitung „irritierender Zahlen“. Die Konferenz der Klinikdirektoren und der Magistrat der Stadt Marburg haben inzwischen sogar das Land Hessen aufgefordert, die UKGM wieder in staatliche Regie zu übernehmen.

Das kommt für die CDU/FDP geführte Landesregierung wohl nicht in Betracht. Doch auch sie setzt auf den Wechsel. Für die Übernahme muss Fresenius bis zum 27. Juni 90 Prozent und eine Aktie der Rhönklinikum AG erworben haben, eine hohe Hürde. Gelingt die Übernahme, würden die Karten neu gemischt. Dem Land steht ein Vorkaufsrecht zu. Die hessische Wissenschaftsministerin hofft, bei den dann anstehenden Verhandlungen mit dem neuen Eigentümer zumindest die Bedingungen der Zusammenarbeit neu justieren zu können.

Als größten Webfehler der Privatisierung sehen inzwischen auch ihre Befürworter die fehlenden Kontrollmöglichkeiten des Landes mit seiner fünfprozentigen Minderheitsbeteiligung. Im operativen Geschäft fehlt es an Informationen und Einfluss. Die Landtagsopposition hatte die Privatisierung stets abgelehnt und betrachtet sie inzwischen als gescheitert. „Der Staat macht sich abhängig von einem privaten Investor, von dem sie Leistungen erwartet, die sich für ihn unter Umständen nicht rechnen“, argumentiert der Mediziner und SPD-Abgeordnete Thomas Spies. Zu den Aufgaben einer Uniklinik gehöre zum Beispiel die Weiterbildung von Ärzten; dafür sei eine Mindestgröße der Fachabteilung erforderlich, die möglicherweise nicht profitabel sei, so Spies gegenüber dem Tagesspiegel. Die Vertragswerke zur Sicherung der Freiheit von Lehre und Forschung und zur Nutzung staatlichen Personals sind ohnehin kompliziert.

Der Streit über eine vom Klinikbetreiber vertraglich zugesicherte, aber nicht in Betrieb gegangene Partikeltherapieanlage zur Behandlung bestimmter Krebsarten beschäftigt seit Monaten die Juristen beider Seiten. Vor dem Bundesverfassungsgericht haben ehemalige Beschäftigte des Landes ihre unfreiwillige Übernahme durch den privaten Betreiber beklagt und recht bekommen. Das Land musste ihnen jetzt die Rückkehr in den Landesdienst anbieten, obwohl es weder in Marburg noch in Gießen einen entsprechenden Personalbedarf gibt. Der „Leuchtturm“ UKGM bleibt also in jedem Fall eine Baustelle. Christoph Schmidt Lunau, Wiesbaden

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