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Sichtbar machen. Die Hochschulrektorenkonferenz initiierte die Online-Kartierung der kleinen Fächer an deutschen Unis. Doch die Finanzierung des Projekts läuft aus. Foto: ddp

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Orchideenfächer: Winzig, aber wichtig

Albanologie, Kristallographie&Co: Eine neue Bestandsaufnahme der kleinen Fächer zeigt, dass der Abbau nicht gestoppt ist. Doch es gibt auch Aufsteiger - wie Bioinformatik und Gender Studies.

Es gibt sie noch, die kleinen Fächer. Die Flagge der Albanologie hält ein Professor an der LMU München hoch. Der Christliche Orient wird nur noch im ostdeutschen Halle-Wittenberg gepflegt. Dänisch vertritt ein Professor im nahe liegenden Flensburg, in den Südosteuropastudien ist Jena die einzige Hochburg. Die Bibliothekswissenschaft verfügt immerhin über 1,5 Stellen, an der Humboldt-Uni. Fächer mit nur ein bis zwei Professuren stehen ganz oben auf der Roten Liste der bedrohten Disziplinen, die die Potsdamer Arbeitsstelle Kleine Fächer jetzt in Berlin vorgestellt hat.

Besorgniserregend ist, dass der Abbau der kleinen Fächer trotz zahlloser Appelle nicht gestoppt ist. Professoren und ihre Mitarbeiter kämpfen für ihre Gebiete, erklären, dass sie integraler Bestandteil einer Volluniversität sind und ihre Forschungen die Grundlagen zum Verständnis der Kulturen der Welt darstellen. Doch wenn ein Lehrstuhlinhaber emeritiert wird, droht dem Fach wegen der Sparzwänge in den Ländern weiterhin die Abwicklung.

Was aber eine Empfehlung des Wissenschaftsrats von 2006 und die Initiative der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) im Jahr darauf zur Kartierung der kleinen Fächer gebracht haben, ist mehr Aufmerksamkeit. „Wir zeigen erstmals, was es überhaupt gibt“, sagt Norbert Franz, Leiter der Arbeitsstelle an der Universität Potsdam, die von der HRK finanziert wird. Im föderalen Deutschland habe kaum jemand die Fächervielfalt an den Hochschulen als Wert an sich gesehen, geschweige denn sie im Einzelnen überblickt. In Bonn wird eine Professur für Indische Kunstgeschichte zusammengestrichen, es gibt nur noch eine Drittelstelle? Ein Einzelfall! Doch die Kartierung zeigt, dass nun nur noch ein weiterer Standort übrig ist, an der FU Berlin.

Hinzu komme die Autonomie, die die Universitäten den Ländern abgetrotzt haben, sagt Franz. Wird ein Fach gestrichen, weise die Politik nun die Schuld von sich. Er und sein Team zeigen jetzt zumindest mit dem Finger auf die Wunden, die in das Netzwerk der sogenannten Orchideenfächer gerissen werden. Aufgearbeitet hat die Arbeitsstelle das in Tabellen mit Absteigern und Aufsteigern, mit interaktiven Grafiken zur Lage in den Ländern.

Besonders gelitten haben die Alten Sprachen und Kulturen, die jeweils eine große Tradition und eine wichtige Brückenfunktion zu anderen Geisteswissenschaften haben. So wurde die Altamerikanistik in Hamburg gestrichen, an der Freien Universität Berlin (FU) von zwei auf eine Professur halbiert, in Bonn blieb es bei zwei Stellen, in Göttingen bei einer. Die Indogermanistik büßte seit 1997 sechseinhalb von einst 21 Stellen ein. Die Slavistik, die in der Gorbatschow-Ära aufblühte, verkleinerten viele Unis, als die Sowjetunion und der Warschauer Pakt zerfielen und Russland als Weltmacht an Bedeutung verlor. Gekostet hat das bundesweit 13 Stellen. Geopfert wurde vielerorts auch die Osteuropäische Geschichte, ebenso die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Wissenschaftsgeschichte. „Es gibt Konjunkturen, auch das haben wir jetzt erstmals zeigen können“, sagt Norbert Franz, der in Potsdam Slavistik lehrt.

Andere Gebiete profitieren von neuen Konjunkturen: Mit dem Stellenwert der Globalisierung wuchs die Außereuropäische Geschichte mit Bezug auf Nordamerika, Afrika und Süd- und Ostasien. Die Religionswissenschaften gewannen bundesweit 7,5 Lehrstühle hinzu. Durchgesetzt haben sich auch die Gender Studies mit einem Sprung von 29,5 auf 53 Stellen bundesweit. Traditionelle Fächer geraten auch in den Naturwissenschaften ins Hintertreffen, darunter Paläontologie, Mineralogie und Kristallographie, die Wissenschaft der Entstehung und Herstellung von Kristallen. Zu den Aufsteigern gehören die Bioinformatik, die vom Boom der Lebenswissenschaften profitiert, und die Medieninformatik, in der neue digitale Techniken erforscht werden.

In der Bedrängnis haben sich viele kleine Fächer zu Zentren und gemeinsamen Studiengängen wie Antike Kulturen oder Nahoststudien zusammengetan. Einerseits können sie so auch in der Bachelor- und Masterstruktur Programme anbieten, die ein einzelner Professor nicht hätte bewältigen können. Mit einem Zentrum wie dem für Regionalstudien an der FU machten sich die Fächer auch „attraktiv für die Profilbildung der Uni“, heißt es. „Wir raten allen Fächern, nach Potenzialen zu suchen, die für die Hochschule wichtig sind, und sich an öffentlichen Debatten zu beteiligen“, sagt Franz.

Andererseits fehle für Sprachen, die nicht in der Schule gelehrt werden, im Bachelor oft die Zeit, die im Magisterstudium aufgewendet wurde. Und weil die Absolventen stärker als früher auch für Berufe außerhalb der Wissenschaft ausgebildet werden sollen, und weniger für die Lektüre kanonischer Texte, werde es noch schwieriger, wissenschaftlichen Nachwuchs heranzuziehen. Doch es gibt auch hoffnungsvolle Ansätze wie vierjährige Bachelorstudiengänge mit integrierten Auslandssemestern, ein Beispiel ist die Orientwissenschaft in Marburg.

Im März läuft die Finanzierung für die Potsdamer Kartierungsstelle aus. Für drei Jahre bekam die HRK für das Projekt eine halbe Million Euro vom Bundesforschungsministerium. Norbert Franz, der ehrenamtlich arbeitet, und seine beiden Mitarbeiterinnen suchen nun Kooperationspartner in der Hochschulforschung, um die Kartierung fortsetzen zu können.

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