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Resonanzraum: Diskussionen auf der "Phil.Cologne".

© imago images / Horst Galuschka

Philosophie-Festival „phil.cologne“: Welt im Wandel

Machtverschiebungen und Sexualität im digitalen Kapitalismus: Das Philosophie-Festival „phil.cologne“ widmet sich erneut den großen Fragen der Gegenwart.

In chaotischen Zeiten suchen Menschen nicht selten bei den simpelsten Erklärungen Zuflucht. Umso erfreulicher, dass in diesem Jahr gut 14 000 Besucher das internationale Philosophie- und Geisteswissenschaftsfestival phil.cologne besucht haben. Auf der größten deutschen Veranstaltungsreihe ihrer Art gaben Philosophen, Wissenschaftlerinnen und ausgewählte Politiker sieben Tage lang in 50 Veranstaltungen Einblicke in ihr Denken. Dabei wurde die siebte Ausgabe des Festivals von Diskussionen zu komplexen Gegenwartsproblemen und einer Epoche im Wandel bestimmt.

Den Auftakt machten der auch philosophisch nicht unbedarfte Robert Habeck und der Sozialpsychologe Harald Welzer, die die zeitgenössische Abwesenheit von sinn- und zukunftsstiftenden Erzählungen diskutierten. Dass das nach der Lüftung des Eisernen Vorhangs ausgerufene Ende der Geschichte seinerseits längst zu Ende ist, dürfte inzwischen jedem aufgefallen sein. Der Ruf nach progressiven Gegenentwürfen zum schalen Status Quo und den Retrofiktionen der Rechtspopulisten hallte über den Abend hinaus und wurde trotz eines bunten Programms an etlichen Stellen laut.

Machtverschiebung zugunsten des asiatischen Kontinents

Die Berliner Philosophin Eva von Redecker und der in Berkeley lehrende Philosoph Florian Grosser sondierten die heute in verschiedenen politischen Räumen schwelende Revolutionsstimmung. Von Redecker liest Revolutionen als häufig langwierige Übergangsprozesse. Sie werden in unscheinbaren Zwischenräumen durch tägliche Praxis erprobt. So können sie dann, bloß scheinbar plötzlich, für ganze Gesellschaften maßgeblich werden.

Den geopolitischen Wandel unserer Zeit diskutierten der Berliner Historiker Herfried Münkler und der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna. Khanna prophezeit eine ungeheure Machtverschiebung zugunsten des asiatischen Kontinents, und hat dabei nicht allein China im Sinn. Wenn das 19. Jahrhundert das europäische war und das 20. Jahrhundert das der USA, werde das 21. Jahrhundert von Asien bestimmt. Münkler geht vielmehr davon aus, dass sich im Ausgang des amerikanischen Jahrhunderts eine geopolitische Ordnung formiert, die von fünf großen Mächten dominiert werde. Historisch betrachtet seien solche Fünfer-Konstellationen zumeist das vorläufige Ergebnis des Niedergangs großer Imperien gewesen. Neben den in naher Zukunft wohl immer noch mächtigen USA, würden China, Russland, Indien und Europa die konkurrierenden Großmächte bilden. Europa allerdings nur unter der Bedingung, dass es nicht in seine einzelnen Bestandteile zerfalle.

Sexualpartner werden zu Gütern

Die französisch-israelische Kultursoziologin Eva Illouz schaut in ihrer aktuellen Forschung auf den Wandel von Liebe und Sexualität im digitalen Kapitalismus. Bezugnehmend auf ihr aktuelles Werk „Warum Liebe endet“ läutete sie der klassischen Romantik als einer im Sexualitätsdispositiv lange Zeit maßgeblichen Konsumpraxis in Köln abermals die Totenglocke. Der „Mythos Liebe“ wird demnach im Neoliberalismus durch ein abstumpfendes Anhäufen von erotischem Kapital ersetzt. Statt großen Gefühlen bietet der Markt letztlich gähnende Leere, der Eros ist dabei, sich zu erschöpfen. Dazu passt der Befund, dass die 20-Jährigen trotz wachsender Freiheiten und Möglichkeiten nie so wenig Sex hatten wie heute. Im Tinder-Universum sind die Sexualpartner zu Gütern geworden, die man in den Warenkorb legt. Als große Verlierer dieser Entwicklung begreift Eva Illouz die Frauen, die noch immer stärker nach festen Bindungen streben würden als ihre männlichen Pendants. Die Männer haben nun ohne jegliche Verpflichtung einen offenen Zugang zu unbegrenzten Märkten.

Auch der Soziologe Hartmut Rosa redete von Abstumpfungstendenzen als Folge von „Reichweitenvergrößerung“. Die Wachstumsimperative der Spätmoderne erschwerten die Möglichkeit lebendiger Erfahrung. Das unsere Gesellschaft leitende Prinzip einer totalen Verfügbarmachung von allem und jedem beraube uns der wahren Beziehung zur Welt. Als Gegengift zum Resonanzverlust sieht Rosa eine Postwachstumsgesellschaft.

Der Philosoph Philipp Hübl und der #Aufstehen-Mitinitiator Bernd Stegemann besprachen unter anderem den zeitgenössischen Wandel der politischen Linken. Stegemann beklagte, deren „Kulturalisierung“ habe den alten emanzipatorischen Dreiklang race-gender-class zu einem Zweiklang zusammengeschrumpft. Die linken Parteien und Bewegungen müssten sich wieder deutlich stärker auf die soziale Frage besinnen. Ganz im Sinne der amerikanischen Philosophin Nancy Fraser könne progressive Politik nur dann erfolgreich sein, wenn sie anerkennungs- und verteilungspolitische Probleme konsequent zusammendenke.

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