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Majorana-Falle. In dem winzigen Draht zwischen dem Normalleiter (N) und dem Supraleiter (S) fanden die Forscher den gesuchten Zustand.

© Abb.: Muorik et al./Science

Physik: Jagd auf exotische Majorana-Teilchen

Vor über 70 Jahren behauptete ein italienischer Physiker: Es muss Partikel geben, die zugleich ihr Antiteilchen sind. Seitdem suchen die Forscher nach einem Beweis. Offensichtlich haben sie es fast geschafft.

In der Physik sehen die Forscher immer wieder Gegenspieler am Werke. So formulierte Newton vor knapp 300 Jahren das Gesetz, wonach jede Kraft eine ebenso große Gegenkraft hervorruft. Und seine Nachfolger stellten jedem Elementarteilchen je ein Antiteilchen gegenüber: Proton und Antiproton, Elektron und Positron, um nur zwei Paare zu nennen. Allen ist gemein, dass sich die Partner in ihren Eigenschaften recht ähnlich sind, aber nicht identisch. Ein wesentlicher Unterschied findet sich immer.

An dieser Annahme rüttelte der italienische Physiker Ettore Majorana. Es könne auch Materieteilchen geben, die zugleich ihr Antiteilchen sind, behauptete er vor mehr als 70 Jahren und legte eine theoretische Herleitung dazu vor. Zweifelsfrei gefunden wurden diese „Majorana-Fermionen“ allerdings bis heute nicht. Das könnte sich aber bald ändern. Im vergangenen Jahr entdeckten Forscher an der TU Delft sehr starke Hinweise auf solche Teilchen. Die Fachwelt war elektrisiert, große Wissenschaftsmagazine feierten die Entdeckung als „Durchbruch“. Längst sind Teams auf der ganzen Welt damit befasst, Formeln zu entwirren und Experimente zu bauen, um dem Phänomen näherzukommen.

Einer der beteiligten Wissenschaftler ist Felix von Oppen von der Freien Universität Berlin. Der Theoretiker hat gemeinsam mit Kollegen vom Weizmann-Institut in Israel und vom California Institute of Technology die Grundlage dafür geschaffen, dass die Entdeckung in Delft gelang. „In den vergangenen Jahren gab es verschiedene Ideen, wie ein Experiment aufgebaut sein muss, um Majorana-Fermionen nachzuweisen“, sagt er. Doch entweder seien die Versuche so komplex gewesen, dass die Physiker ihre Messwerte nicht eindeutig auf die gesuchten Teilchen hätten zurückführen können. Oder es seien dafür spezielle Materialien vonnöten gewesen, die bis dato nicht mit der geforderten Reinheit hergestellt werden konnten.

Vor drei Jahren entwickelten von Oppen und sein Team sowie eine weitere Gruppe um Sankar Das Sarma in den USA ein Konzept, das machbar erschien: Wird ein dünner Draht aus einem gewöhnlichen Halbleitermaterial in Kontakt zu einem Supraleiter gebracht, sollten sich – unter bestimmten Voraussetzungen – die rätselhaften Majorana-Fermionen zeigen. Tatsächlich gelang es einem Team um Leo Kouwenhoven, mit einer solchen Anordnung die Vermutung der Theoretiker zu bestätigen.

Genau genommen haben die Forscher nicht einzelne unteilbare Teilchen mit den besonderen Eigenschaften gefunden, sondern „Quasiteilchen“. So nennen Physiker Gruppen von Partikeln, die sich gemeinsam wie ein einzelnes Teilchen verhalten, indem sie im Verbund beispielsweise eine bestimmte Schwingung ausführen. In dem konkreten Experiment fanden die Forscher am Ende des Nanodrahts einen Zustand, der zu den postulierten Majorana-Teilchen passte. Sie machten das daran fest, dass Elektronen wesentlich leichter in den Draht eindringen konnten, als es ohne den Majorana-Mechanismus möglich gewesen wäre.

„Mittlerweile ist das Experiment auch einigen anderen Arbeitsgruppen gelungen“, sagt von Oppen. Zufrieden seien die Wissenschaftler aber noch lange nicht. In weiteren Versuchen wollen sie das zugehörige Majorana-Teilchen auch am anderen Ende des Drahts nachweisen, denn sie treten laut Theorie stets paarweise auf. „Und wir wollen weitere Eigenschaften messen, um sicher zu sein, die Majorana-Zustände auch wirklich gefunden zu haben und nicht einem Scheinbefund aufzusitzen.“

Neben den Experimenten an den eindimensionalen Nanodrähten verfolgen die Forscher auch die anderen Ideen zum Nachweis der Teilchen weiter. So werden parallel zweidimensionale, also flache und breite Strukturen aus sogenannten topologischen Isolatoren untersucht. Vielleicht gibt es schon bald positive Meldungen. Dies wäre ein weiterer Schritt hin zu einer praktischen Anwendung des Mechanismus. Da Majorana-Fermionen nicht von elektromagnetischen Feldern gestört werden, werden sie als Grundlage für einen robusten Quantencomputer gehandelt. Für dieses visionäre Konzept erhielt Alexei Kitaev 2012 den privat finanzierten „Fundamental Physics Prize“, der mit drei Millionen Dollar dotiert ist.

„Der Weg ist aber noch sehr weit“, sagt von Oppen. „Und ob er tatsächlich praktisch umsetzbar ist, kann heute niemand vorhersehen.“ Für den FU-Physiker sind Majorana-Fermionen aber auch ohne eine Anwendung im Quantencomputer ein faszinierendes Forschungsgebiet. „Wir beginnen erst langsam, die Physik dahinter zu verstehen“, sagt er.

Ähnlich sieht es Marcel Franz von der Universität von British Columbia in Vancouver. Noch fehle ein durchschlagender Beweis für die Existenz von Majorana-Fermionen, schreibt er in einem aktuellen Beitrag für die Plattform „Arxiv“. „Doch es wäre verwunderlich, wenn nicht wenigstens ein paar der kürzlich publizierten Ergebnisse auf diesem Mechanismus basieren würden.“

Darüber hinaus geht es den Physikern nicht nur um künstlich erzeugte Majorana-Zustände. Der Italiener hatte schließlich vorhergesagt, dass es solche Teilchen in der Natur als Elementarteilchen geben könnte. Als mögliche Kandidaten dafür gelten Neutrinos: elektrisch neutrale Teilchen mit sehr geringer Masse, die erst 1956 direkt nachgewiesen worden sind. Ob sie tatsächlich das Majorana-Kriterium erfüllen, könnte über den „neutrinolosen Doppelbetazerfall“ gezeigt werden. Dieser besagt, dass zwei Neutronen zugleich in zwei Protonen zerfallen und dabei zwei Elektronen sowie zwei Neutrinos abgeben. Wenn letztere Majorana-Teilchen wären, dann wären sie zugleich Neutrino und Antineutrino. Wie immer, wenn Materie auf Antimaterie trifft, würden sich die Teilchen sofort gegenseitig vernichten, bevor sie den Atomkern verlassen können. Seit einiger Zeit versuchen Neutrinoforscher, diesen Zerfallsprozess experimentell nachzuweisen – was bisher nicht gelang.

Die Jagd nach den Majorana-Fermionen geht weiter.

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