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Physik: Quantenwelt aus dem Takt

Daten aus stillgelegtem kalifornischen Teilchenbeschleuniger belegen Störung der Zeitsymmetrie.

In der Welt des Kleinsten geht vieles sonderbar zu. Die Gesetze der Quantenphysik regieren dort und sind etwa dafür verantwortlich, dass der Ort eines Teilchens umso unschärfer wird, je genauer man seine Geschwindigkeit misst. Bei aller Fremdartigkeit des Mikrokosmos sorgen einige Symmetrien für Ordnung. Zu den wichtigsten gehören die miteinander verknüpften Symmetrien der Zeitumkehr, der räumlichen Spiegelung und der Überführung von Teilchen in Antiteilchen.

Ein grundlegendes Postulat der Theorie der Elementarteilchen besagt, dass die Gesetze der Quantenphysik in identischer Form auf die Natur anwendbar sind, wenn all diese drei Symmetrien gemeinsam vorliegen. Wer also einen physikalischen Prozess betrachtet, der spiegelbildlich und in umgekehrter zeitlicher Abfolge abläuft und bei dem alle Teilchen gegen ihre Antiteilchen ausgetauscht werden, kann ihn mit exakt denselben Gesetzen beschreiben wie das ursprüngliche Geschehen.

Die Theorien der Quantenphysik beschreiben drei grundlegende Kräfte: die elektromagnetische Kraft sowie die starke und die schwache Kernkraft. Die starke Kernkraft ist für den Zusammenhalt der Atomkerne verantwortlich, die schwache Kernkraft hingegen für Prozesse wie die Umwandlung von Atomkernen, ohne die etwa das Sonnenfeuer nicht brennen könnte. Während die elektromagnetische Kraft und die starke Kernkraft alle drei Symmetrien einzeln befolgen und somit auch jede Kombination von ihnen, ist die schwache Kernkraft als Symmetrieverletzerin berüchtigt.

Bislang war von ihr bekannt, dass die von ihr bewirkten Prozesse im Spiegelbild völlig anders ausschauen als die Originale. Die Entdeckung dieses Zusammenhangs bei einzelnen Elementarteilchen war in den 1950er Jahren für die Physik ein Schock. Die Teilchen-Antiteilchen-Symmetrie wird ebenfalls von der schwachen Kernkraft verletzt, sogar in Kombination mit der räumlichen Spiegelung. Für die Erklärung dieser Symmetriebrüche erhielten die Japaner Yoichiro Nambu, Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa 2008 den Nobelpreis.

Da der Theorie zufolge die Kombination aller drei Symmetrien aber weiterhin gültig sein sollte, vermuteten Teilchenphysiker schon lange, dass auch die Zeitsymmetrie von der schwachen Kernkraft verletzt wird. Denn wenn bei der Anwendung von zwei Symmetrien etwas Krummes herauskommt, dann muss die dritte Symmetrie es wieder gerade biegen, sonst bleibt das Gesamtergebnis krumm.

Forscher des „BaBar“-Detektors am Teilchenbeschleuniger Stanford Linear Accelerator haben nun erstmals direkt nachweisen können, dass die schwache Kernkraft auch die zeitliche Umkehr verletzt, dass also bestimmte Quantenprozesse in einer Zeitrichtung nicht so ablaufen wie in der anderen. Sie berichten davon in den „Physical Review Letters“.

Ein solches Ereignis wurde zwar schon seit vielen Jahren gesucht. Es war aber vertrackt schwer, einen Prozess zu isolieren, bei dem die anderen Symmetrien keine Rolle spielen und somit das Ergebnis beeinflussen können.

Den Wissenschaftlern gelang der Nachweis anhand eines besonders schweren und instabilen exotischen Teilchens, des sogenannten B-Mesons. Diese können sich in verschiedenen Zuständen befinden und zwischen diesen wechseln. Je nach Zustand zerfallen die kurzlebigen B-Mesonen dann in unterschiedliche leichtere Teilchen.

Unter den optimierten Bedingungen des BaBar-Experiments werden die B-Mesonen vorzugsweise paarweise hergestellt, und zwar im selben Zustand. Zunächst bestimmten die Forscher den Zustand des Teilchens, das zuerst zerfällt, dann den des anderen. Aus den Zerfallsprodukten konnten sie auf den Zustand der beiden B-Mesonen zum Zeitpunkt ihres Zerfalls schließen. War dieser unterschiedlich, so musste eines der beiden seinen Zustand geändert haben.

Der Teilchenbeschleuniger ist zwar mittlerweile abgeschaltet. Doch die Forscher konnten dank der in zehn Jahren gesammelten Daten fast eine halbe Milliarde Zerfälle von B-Mesonen analysieren. Dabei stellten sie eindeutig fest, dass diese Teilchen sechsmal schneller von einem in den anderen Zustand wechseln als umgekehrt. Vereinfacht gesagt: Die Uhren der B-Mesonen laufen rückwärts anders als vorwärts.

Was zunächst nach einer eher harmlosen Notiz klingt, ist für die Teilchenphysik ein zwar erwartetes, aber fundamental wichtiges Ergebnis, sagt Mitinitiator José Bernabéu: „Früher hielt man es für unmöglich, die Zeitsymmetrie mit instabilen Teilchen zu testen.“ Sein Kollege Fernando Martínez-Vidal ergänzt: „Es war sehr aufregend, eine Methode zu entwickeln, mit der man direkt und eindeutig die asymmetrische Natur der Zeit nachweisen kann.“

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