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Darmspiegelungen gelten als besonders effektive Krebsvorsorge.

© Patrick Pleul/dpa

„Pioniereinrichtung für die Welt“: In Heidelberg entsteht das Nationale Krebspräventionszentrum

Durch Vorbeugung könnten 70 Prozent aller Krebstodesfälle verhindert werden, schätzen Wissenschaftler. Jetzt soll die Forschung dazu gebündelt werden.

Krebs ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen bundesweit für die meisten Todesfälle verantwortlich. Die "Nationale Dekade gegen Krebs", im Januar ausgerufen durch Forschungs- sowie Gesundheitsministerium, soll helfen, das zu ändern. Mit einer Millionenförderung sollen die Strategien gegen die Tumorerkrankungen gebündelt werden.

Ein maßgeblicher Punkt sind dabei die Prävention und Früherkennung. Forschung in diesem Bereich müsse einen viel höheren Stellenwert erhalten als bisher, lautet eines der Ziele. Unter anderem wird ein "Nationales Krebspräventionszentrum" entstehen, das am heutigen Dienstag in Berlin vorgestellt wird.

Für das neue Zentrum gehen die beiden größten deutschen Institutionen im Feld der Onkologie eine strategische Partnerschaft ein: das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg und die Deutsche Krebshilfe. Hauptziel ist, die Forschung im Bereich Krebsprävention voranzutreiben. In Heidelberg wird dafür ein neues Gebäude errichtet. Perspektivisch sind auch Außenstellen im Bundesgebiet geplant.

Im Gespräch mit dem Tagesspiegel bezeichnete DKFZ-Chef Michael Baumann das Projekt als "Pioniereinrichtung für Deutschland, Europa und letztendlich für die Welt". Das Geld dafür komme momentan vor allem aus Mitteln der Deutschen Krebshilfe sowie des DKFZ.

Anträge bei Ministerien und Fördereinrichtungen seien geplant. Man hoffe, auch private Geldgeber hinter dem Zentrum versammeln zu können. Sonst werde man "der enormen Zunahme der Krebserkrankungen" nicht Herr werden. Die beste Strategie sei eine durchdachte und gut gemachte Prävention.

Was ist Krebsprävention?

Unter Krebsprävention versteht man allgemein Maßnahmen, um eine Tumorerkrankung zu vermeiden. Es gibt drei Kategorien: Die Primärprävention soll verhindern, dass überhaupt eine Krebserkrankung entsteht, etwa durch eine gesunde Lebensweise und Vermeidung von Risikofaktoren (siehe Ende dieses Artikels). Auch Impfungen gehören in diese Kategorie, etwa die Immunisierung gegen das Humane Papillomavirus (HPV) zum Schutz vor Gebärmutterhalskrebs.

Dazu kommen zwei weitere Formen der Prävention, die in der Allgemeinbevölkerung oft nicht als solche wahrgenommen werden: Viele Tumoren können mit heute verfügbaren Methoden sehr gut behandelt werden, wenn man sie in einem frühen Stadium erkennt. Wird im Rahmen einer Darmspiegelung etwa Darmkrebs im Frühstadium erkannt und behandelt, zählt das zur Sekundärprävention.

Tertiärprävention hingegen kann die Prognose von Menschen verbessern, die schon an Krebs erkrankt sind, indem sie etwa einen Rückfall verhindert. "Betrachte man Primärprävention und Früherkennung zusammen, könnte man bis zu 70 Prozent aller Krebstodesfälle vermeiden", sagt Baumann. Im Nationalen Krebspräventionszentrum werde man zu allen drei Präventionsarten forschen.

Warum braucht man ein nationales Zentrum?

"Prävention ist eine schwierige Angelegenheit", sagt Baumann. Solche Maßnahmen hätten einen langen Vorlauf. Im Gegensatz zu erfolgreichen neuen Therapien sehe man Ergebnisse normalerweise erst eine Generation später in den statistischen Daten. Das habe auch dazu geführt, dass Prävention bislang nicht ganz oben auf der Agenda von Forschungsorganisationen und Politikern gestanden habe.

Tatsächlich gehen etwa nur sieben Prozent der Fördergelder von Regierungen und nicht-öffentlicher Institutionen in Europa in die Prävention, 57 Prozent hingegen in die Erforschung und Entwicklung neuer Therapien, so eine Studie der International Cancer Research Partnership von 2018.

Für eine wirksame Prävention brauche es eine langfristige Strategie und gute Kommunikation zwischen den beteiligten Wissenschaftlern, sagt Baumann. Deshalb sollen im Krebspräventionszentrum erstmals in großem Maßstab Grundlagenforscher, Epidemiologen und Wissenschaftler anderer Disziplinen unter einem Dach arbeiten. Denn um eine Krebserkrankung zu verhindern, müsse man nicht nur die Biologie eines Tumors verstehen, sondern auch Maßnahmen dagegen entwickeln und sie ins Gesundheitssystem integrieren.

Prävention muss verbessert werden

"Es bedarf der Einsicht und Mitarbeit von uns allen", sagt Baumann. Die Impfraten für HPV lägen deutschlandweit bei etwa 40 Prozent, obwohl die Impfung als sicher gelte und vor Gebärmutterhalskrebs und seinen Vorstufen schütze. In Staaten wie Australien, Norwegen oder Großbritannien lägen die Werte zum Teil deutlich über 80 Prozent, weil dort unter anderem auch in Schulen geimpft werde. "Und eine Impfung ist nur ein Stich. Wie viel schwieriger ist es, mit dem Rauchen aufzuhören, auf Alkohol zu verzichten und sich zu bewegen?"

Im neuen Zentrum soll es auch eine Ambulanz geben, wo man sich individuell zu Präventionsmaßnahmen beraten lassen kann. Neben Verhaltensänderungen von Einzelnen brauche man aber auch immer eine gesellschaftliche Diskussion, wie Präventionsmaßnahmen möglichst effektiv realisiert werden können – und dauerhafte Unterstützung durch die Politik.

Was kann man selbst tun?

Experten schätzen, dass etwa 40 Prozent aller Krebsfälle allein durch Vermeidung von Risikofaktoren verhindert werden könnten. Als am wirkungsvollsten gilt der Verzicht auf Tabakrauch. Das senkt nicht nur das Risiko für Lungenkrebs, sondern auch für einige weitere Tumoren, etwa der Harnblase.

Auch starkes Übergewicht oder Fettleibigkeit sollten vermieden werden. Dabei kann regelmäßige Bewegung und eine ein paar Regeln folgende Ernährung helfen. So gilt ballaststoffreiche Kost mit viel Obst und Gemüse als schützend vor Darmkrebs. Bei rotem Fleisch hingegen ist nicht ganz klar, ob eine Reduzierung des Konsums wirklich das Risiko senkt. Hochverarbeitete tierische Produkte, etwa in Fertiggerichten und den meisten Wurstsorten, sollte man aber tatsächlich eher weniger zu sich nehmen.

Der vorbeugende Effekt sportlicher Betätigung gilt als erwiesen, selbst die Rückfall- und Metastasierungsquote nach Krebstherapien ist bei verschiedenen Tumorarten deutlich niedriger, wenn regelmäßig Sport getrieben wird. Alkohol sollte nicht oder nur in geringen Mengen genossen werden. Ausreichend Schlaf in dunklen Räumen gilt ebenfalls als schützender Faktor.

Hautärzte warnen vor allem vor zu viel Sonnenlicht. Allerdings kommt der Körper schlecht ganz ohne aus, vor allem, weil mit Hilfe des UV-Lichts Vitamin D in der Haut gebildet wird. Man sollte sich den Strahlen also in Maßen aussetzen. In diesem Zusammenhang sind auch Vorsorgeuntersuchungen der Haut wirkungsvoll, denn die häufigsten durch UV-Strahlung bedingten Tumorarten sind im Frühstadium sehr gut behandelbar, auch das Melanom.

Das Brust- und Eierstockkrebsrisiko sinkt bei Frauen, die ihre Kinder stillen. Es steigt dagegen bei langanhaltenden Hormonersatztherapien in der Menopause, die deshalb möglichst vermieden werden sollten.

Generell ist es sinnvoll, Warnzeichen ernst zu nehmen und dann einen Arzt zu konsultieren. Dazu gehören unter anderem tastbare Geschwüre und unerklärbarer schneller Gewichtsverlust sowie Blut im Stuhl, Urin oder Lungenauswurf.

Wenn es doch zum Krebs kommt: Welche Krebstherapien sind die neuen Hoffnungsträger? 

In diesem Bereich hat es in den vergangenen Jahren entscheidende Verbesserungen gegeben. Chemo- oder Strahlentherapie zielen vor allem darauf ab, sich schnell teilende Zellen – also in der Regel Tumorzellen – zu zerstören. Da so aber oft nicht alle Krebszellen erreicht werden, versuchen Ärzte schon lange, das Immunsystem gegen die Tumorzellen zu aktivieren. Oder besser: zu reaktivieren.

Denn im Grunde ist die Körperabwehr des Menschen in der Lage zu erkennen, ob eine Zelle entartet ist oder nicht. Im Zuge einer Krebserkrankung verliert das Immunsystem diese Fähigkeit. So hindern bestimmte molekulare Bremsen (Checkpoints) die Immunzellen daran, Krebszellen anzugreifen. Eine Gruppe von Medikamenten (Checkpoint-Inhibitoren) geht gegen diese Bremsklötze vor, darunter etwa den Antikörper Ipilimumab (Handelsname "Yervoy"). Damit haben Patienten mit Krebserkrankungen wie etwa schwarzem Hautkrebs, Prostata-, Blasen- oder Nierenkrebs, deren Krebserkrankung zuvor als nicht therapierbar galt, gute Chancen auf Heilung bekommen: Etwa jeder fünfte kann hoffen, den Krebs dauerhaft los zu sein. 

Ein zweites Behandlungskonzept, mit dem zuvor ohne Erfolg behandelte Blutkrebspatienten gerettet werden können, reaktiviert ebenfalls Immunzellen gegen den Krebs: die T-Zellen. Ärzte können diese wichtigen Abwehrzellen aus dem Blut filtern und im Labor so verändern (in so genannte CAR-T-Zellen verwandeln), dass sie auf der Oberfläche der Krebszellen ein typisches Protein erkennen. Dadurch docken die T-Zellen wieder an die Krebszellen an und lösen eine Immunreaktion gegen den Tumor aus.

Zwei Krebstherapien diesen Typs sind bislang zugelassen, "Kymriah" und "Yescarta". Allerdings kosten sie, nicht zuletzt aufgrund der aufwendigen Herstellung, jeweils über 300.000 Euro pro Patient. Da auch der Preis für Yervoy bei 65.000 Euro pro Patient liegt, ist fraglich, ob die Gesundheitssysteme diese Therapien für hunderttausende von Krebspatienten überhaupt finanzieren können – ein Argument mehr, die Prävention von Krebs voranzutreiben und so die teuren Therapien zu sparen.

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