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Unfall unter Testbedingungen. Im Experiment untersuchen Forscher, wie viel ätzendes Gas sich bilden kann, wenn das Fahrzeug brennt.

© Deutsche Umwelthilfe

Pkw-Klimaanlagen: Brandgefährliches Kältemittel

"1234yf" soll bald in Pkw-Klimaanlagen eingesetzt werden. Doch Umweltverbände warnen vor der Substanz. Wenn sie verbrennt, kann eine aggressive Säure entstehen.

Fluorwasserstoffsäure ist tückisch. Die farblose Flüssigkeit, auch Flusssäure genannt, kann schwere Verätzungen verursachen, wird aber über Haut und Schleimhäute rasch aufgenommen, so dass sie bis in den Knochen dringen und dort ohne ein äußeres Zeichen das Gewebe zersetzen kann. Schmerzen setzen erst Stunden später ein. Oft ist es dann schon zu spät. Weil die Fluorionen im Körper mit Calcium und Magnesium reagieren, bringen sie den Stoffwechsel des Körpers durcheinander: Leber und Niere können geschädigt werden, es kann zu Kammerflimmern kommen. Schon kleine Mengen können einen Menschen töten.

Ausgerechnet diese aggressive Säure kann entstehen, wenn das neue Kältemittel 1234yf, das vom 1. Januar 2011 an in Pkw-Klimaanlagen eingesetzt werden soll, verbrennt. Das hat nun eine Untersuchung der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) im Auftrag des Umweltbundesamtes bestätigt. „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einem Brand nach einem Unfall ein Nebel aus Flusssäure entstehen könnte“, sagt Volkmar Schröder von der BAM. „Und wenn ich den einatme, dann trage ich mit hoher Wahrscheinlichkeit Gesundheitsschäden davon.“

Während der Verband der Automobilindustrie (VDA) so ein Ereignis für hundertmal unwahrscheinlicher hält als einen Sechser mit Superzahl im Lotto, spricht die deutsche Umwelthilfe von einem „Russisch-Roulette-Spiel der deutschen Autoindustrie mit der Gesundheit von Autoinsassen und Unfallhelfern“.

Der Streit ist nur das neueste Kapitel in einem Kampf, der seit Jahren hinter den Kulissen tobt. Es geht um Klimawandel, Konzernpolitik und sehr viel CO2. Denn zurzeit wird in Pkw-Klimaanlagen das Treibhausgas Tetrafluorethan eingesetzt. Der Stoff, den Ingenieure und Techniker nur als R134a bezeichnen, nimmt genau wie CO2 die Wärmestrahlung von der Erde auf, die sonst ins All abgestrahlt würde, und trägt so zur Klimaerwärmung bei. Und zwar gewaltig. R134a hat ein Treibhauspotenzial von 1430. Das heißt, es ist 1430-mal so klimaschädlich wie CO2 (siehe Kasten).

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn das Gas in den Klimaanlagen der Autos bliebe. Aber bei jeder Fahrt entweicht ein Teil des Gases. Allein im Jahr 2008 gelangten so laut Umweltbundesamt in Deutschland 2700 Tonnen des Kältemittels in die Atmosphäre – so klimaschädlich wie das CO2 von 1,9 Millionen Kleinwagen, die je 15 000 Kilometer weit fahren. Der Weltklimarat hat für das Jahr 2002 errechnet, dass bis zu drei Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus Klimaanlagen von Fahrzeugen stammten. Deshalb wurde in Europa die Richtlinie „2006/40/EG“ beschlossen. Sie schreibt vor, dass ab dem 1. Januar 2011 nur noch Pkw-Typen zugelassen werden, deren Klimaanlage ein Kältemittel enthält, das höchstens 150-mal so klimaschädlich ist wie Kohlenstoffdioxid.

Deutsche Autobauer schienen ihren klimaschonenden Kühlkandidaten schnell gefunden zu haben: Kohlendioxid. Ausgerechnet der Klimakiller CO2 ist ein hervorragendes Kältemittel. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Gas auf großen Fischkuttern eingesetzt, um den Fang zu kühlen. In den 30er Jahren wurde es dann langsam verdrängt – von den Fluorchlorkohlenwasserstoffen, den berüchtigten FCKWs. Die galten damals als sicher, billig und gut und fanden massenhaft Verwendung in Kühlschränken, als Treibmittel in Spraydosen und als Reinigungsmittel. Heute sind sie als Ozonkiller verpönt und größtenteils verboten. Schon Ende der 80er Jahre wandten sich Entwickler deshalb unter anderem wieder der CO2-Technologie zu. Zahlreiche Supermarktketten benutzen heute CO2 in ihren Kühlanlagen und vermeiden so große Mengen klimaschädlicher Emissionen. Die Berliner Verkehrsbetriebe haben kürzlich die ersten Busse mit einer CO2-Klimaanlage angeschafft.

Den größten Beitrag zum Klimaschutz könnte CO2 in Pkw leisten. Ganz einfach ist das nicht, denn das Gas ist nur unter Druck ein gutes Kältemittel und benötigt deswegen neue, dichtere Klimaanlagen. Auch mit den Schmierstoffen gab es zunächst Probleme, weil sich CO2 in Öl löst, wodurch das Öl so flüssig wie Wasser werden kann „Diese Probleme sind heute alle gelöst“, sagt Willi Parsch von der Firma ixetic in Bad Homburg. Die entsprechenden Anlagen seien in Autos getestet worden, die Pläne seien in den Schubladen.

Lange Zeit galt die Vision der CO2-Klimaanlage als grüne Utopie. Die deutschen Ingenieure wurden für ihre Idee belächelt. Aber ein Test in der brütenden Julihitze von Phoenix brachte die Kehrtwende. Dort, im amerikanischen Bundesstaat Arizona, trafen sich Automobilhersteller und Kühlmittelexperten aus aller Welt zu einem Härtetest. Die Klimaanlage, die am besten abschnitt, benutzte Kohlendioxid. Das Gas war plötzlich ein ernsthafter Kandidat. Auch der deutsche Automobilverband (VDA) war stolz auf die Entwicklung. „Deutsche Automobilhersteller sind bei CO2-freundlichen Kältemitteln für Klimaanlagen führend“, verkündete er im Oktober 2008.

Aber statt Erfolgsmeldungen über wertvolles Know-how und Zukunftsmärkte ist über CO2 nichts mehr zu hören. Dabei soll Mercedes Benz schon 2005 kurz davor gewesen sein, seine S-Klasse serienmäßig mit einer CO2-Klimaanlage auszurüsten. Letztlich habe ein Mehrpreis von etwa 200 Euro pro Auto den Plan zunichte gemacht, heißt es bei den Automobilzulieferern. „Das mag für ein Auto, das 80 000 Euro kostet, seltsam anmuten. Aber 200 Euro mal hunderttausend ist auch viel Geld und das geht nachher auf Kosten der Aktionäre.“

Inzwischen ist der VDA umgeschwenkt. Eckehart Rotter nennt zwei Gründe für die Abkehr vom CO2: „Erstens wollten wir keine Insellösung sondern einen globalen Standard. Aber es gab weltweit keine anderen Automobilbauer, die auf CO2 setzen wollten.“ Zweitens, habe es mit 1234yf eine neue Alternative gegeben.

Denn auch die Chemieindustrie ist beteiligt. Sie könnte Milliarden verlieren, wenn ihr Markt für Pkw-Kältemittel zusammenbricht. Oder noch mehr verdienen, wenn sie einen Nachfolger präsentiert. Genau das haben die Firmen Honeywell und Dupont mit dem Kältemittel 1234yf getan. Zusätzlicher Vorteil: Das neue Kühlmittel kann einfach in die alten Klimaanlagen eingefüllt werden. Es wird keine neue Technik nötig, keine neuen Abläufe bei der Wartung.

Tatsächlich ist der Stoff mit einem GWP von 4 viel klimafreundlich als das alte R134a. Doch Kritiker bemängeln 1234yf sei brennbar und damit ein Risiko. Für Materialprüfer Volkmar Schröder von der BAM ist das kein schlagendes Argument: „Die Entzündbarkeit von 1234yf an sich ist keine große zusätzliche Gefahr. Mit dem Benzin im Tank haben sie schon ein höheres Risiko.“ Das entscheidende sei, dass bei einem Brand Flusssäure entstehen kann. „Da können Konzentrationen entstehen, die deutlich über der tödlichen Dosis liegen“, sagt Schröder. „Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das bei einem Unfall eintritt, darüber streiten sich die Gelehrten. Wir haben nur gezeigt, dass es prinzipiell möglich ist.“ In jedem Fall sei CO2 das sicherere Gas.

Eckehart Rotter vom VDA kritisiert diese Tests: „Die Versuchsanordnung entspricht nicht der Realität, weil sie davon ausgeht, dass bei einem Unfall der Motorraum sehr stark verformt wird, die Fahrgastzelle aber intakt bleibt.“ In Wirklichkeit gebe es keine luftdichte Fahrgastzelle, darum könne sich im Ernstfall auch keine so hohe Konzentration von Flusssäure ansammeln.

Für Kritiker sind die Gesundheitsbedenken allerdings nur einer von vielen Kritikpunkten. Denn das neue Kühlmittel ist auch deutlich teurer als das alte R134a. „Sobald das Auto in die Werkstatt kommt und das Kühlmittel nachgefüllt wird, hat man die Wahl, das teure ,1234yf‘ nachzukaufen oder das viel billigere ,R134a‘ einfüllen zu lassen“, sagt Plehn. So ein Vorgehen verbiete die europäische Richtlinie zwar, es lasse sich aber praktisch nicht nachprüfen.

Carl Schmitt sieht das ähnlich. Als Vorstand bei der Firma „Konvekta“ hat er daran mitgearbeitet, die erste Omnibus-Klimaanlage mit CO2 als Kältemittel zu entwickeln. Dafür erhielt er 2007 den Deutschen Umweltpreis. Bei Pkw sei der Widerstand der Automobilhersteller einfach zu groß gewesen, sagt er. „Die wollen das CO2 nicht.“ Dass 1234yf keine Alternative sei, sondern teurer, gefährlicher und umweltschädlicher, habe man vorher wissen können.

Dabei hätte CO2 als Kühlmittel im Auto sogar noch einen weiteren Vorteil: Mit ihm lässt sich die Kühlung sehr effizient umkehren, so dass die Klimaanlage zur Wärmepumpe wird. Für Elektroautos könnte das entscheidend sein, denn das Hauptproblem ist nach wie vor die Batterie. Wenn die auch noch eine Heizung betreiben soll, könnte man im Winter nur halb so weit fahren wie im Sommer.

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