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Greifbar. Auch Plagiate gehören zur Wissenschaft, also in die Bibliothek, sagen Bibliothekare. Eine Kennzeichnung im Buch lehnen viele ab.

© TU Berlin/Dahl

Plagiate in der Wissenschaft: Guttenberg & Co. bleiben im Regal

Universitäten verfolgen Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten – bis zum Entzug der Doktorwürde. Die Selbstreinigung der Wissenschaft reicht aber nur bis zur Schwelle der Bibliothek. Dort bleiben Plagiate im Regal, markiert werden sie meist nur im Online-Katalog.

Unter der Signatur PL 625 G985 steht im Lesesaal der Rechtswissenschaftlichen Bibliothek der Humboldt-Universität ein unscheinbarer Band zum Thema „Verfassung und Verfassungsvertrag: konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“. Der Autor ist Karl-Theodor zu Guttenberg. Das Buch ist für jedermann greifbar. Einen Hinweis darauf, dass dem ehemaligen deutschen Verteidigungsminister 2011 der Doktortitel entzogen wurde, weil seine Dissertation von Plagiaten durchsetzt ist, findet sich nicht in dem Band. Gut denkbar, dass ein Jura-Student in einigen Jahren ahnungslos zu dem Buch greift, um daraus zu zitieren.

Fakultäten und ihre Promotionskommissionen betreiben einen großen Aufwand, um Plagiatoren zu überführen. In den Bibliotheken findet dies offenbar keine Entsprechung. Der Sinn solcher Verfahren liegt darin, verletzte wissenschaftliche Standards wiederherzustellen und gewissermaßen die faulen Eier aus dem System zu entfernen. Unter Berufung auf diesen hehren Anspruch befasst sich etwa die Universität Düsseldorf noch nach mehr als 30 Jahren mit der Dissertation von Bundesministerin Annette Schavan, die sich nun um ihren Doktortitel Sorgen machen muss.

Doch bis in die Bibliotheken reicht die Selbstreinigung der Wissenschaft nicht. Während die betroffenen Wissenschaftsverlage beanstandete Titel umgehend aus dem Programm nehmen, bleiben die plagiierten Werke in den Regalen. Sie werden nicht einmal durchgehend und transparent als Plagiate gekennzeichnet, wie Andreas Degkwitz, Direktor der Universitätsbibliothek der HU, auf Anfrage eingesteht. Im Fall Guttenberg wird nur gewarnt, wer die Dissertation über den Online-Katalog sucht. Als Anmerkung steht dort in zwei klein gedruckten Zeilen: „Entzug des Doktorgrades am 23. Februar 2011 durch die Promotionskommission der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth.“

Bibliotheksdirektor Degkwitz verteidigt dieses Vorgehen. „Der Katalog ist das Zugangsinstrument für Nutzer der Bibliothek, die wissenschaftlich arbeiten.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand ans Regal gehe, sich ein wegen Plagiierens beanstandetes Buch greife und ahnungslos daraus zitiere, sei „sehr gering“. Eine Seite mit einem Hinweis auf die Plagiate und den Entzug der Doktorwürde einzukleben oder die betroffenen Werke zu stempeln wäre „nicht nachhaltig“, sagt Degkwitz. Solche Hinweise könnten herausgerissen werden. Ein Vermerk im Online-Katalog dagegen sei dauerhaft. Eine ernsthafte wissenschaftliche Arbeit müsse zudem die Fachdiskussion zum Thema reflektieren. Dabei könne es kaum verborgen bleiben, wenn ein Autor unsauber gearbeitet habe. Für die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards und deren Überprüfung seien die Institute und Fakultäten zuständig, nicht die Bibliotheken. Der HU-Bibliothekar lehnt es auch ab, Plagiate ganz aus dem Bestand zu entfernen.

"Aus dem Bestand entfernen!": Eine Bibliotheksdirektorin widerspricht

Da es nicht einmal in Deutschland ein zentrales Warnsystem gibt, wird eine Uni-Bibliothek im Ausland nur in prominenten Fällen davon erfahren, ob eine deutsche Dissertation im Regal ein Plagiat ist.

„Gerade diese Schriften müssen zugänglich bleiben“, sagt dennoch auch Arne Upmeier, ehemaliger Vorsitzender der Rechtskommission im Deutschen Bibliotheksverband und Mitarbeiter der Universitätsbibliothek der TU Ilmenau. Dies sei die offizielle Haltung des Verbandes. Prominente Plagiatsfälle erlebten eine große Nachfrage. Für Guttenbergs aberkannte Dissertation werden im Internet vierstellige Summen verlangt.

Schon wegen der Diebstahlgefahr würden etliche Bibliotheken solche Werke nicht mehr nach Hause ausleihen. „Aber wir müssen möglichst frei informieren und nichts wegsperren“, sagt Upmeier. Inkriminierte Werke müssten etwa für Zeithistoriker vorgehalten werden, die über die Guttenberg-Affäre recherchierten. Ein einheitliches Verfahren gebe es nicht; die meisten Bibliotheken würden offiziell beanstandete Werke im Online-Katalog kennzeichnen, einige wenige auch einen Hinweis ins Buch einlegen.

Die Direktorin der Bibliothek der Deutschen Sporthochschule, Heike Schiffer, widerspricht ihren Kollegen. Selbstverständlich müssten Dissertationen nach einer Aberkennung der Doktorwürde „aus dem Bestand entfernt werden“, sagt Schiffer. Die Promotionsschrift sei Teil der Doktorprüfung, sie gelte aber nicht mehr als Dissertation, wenn sie von der Fakultät verworfen und der Titel aberkannt wird. Damit habe das Buch seinen Wert als wissenschaftliche Arbeit eingebüßt und nichts mehr in einer wissenschaftlichen Bibliothek zu suchen. Durch das Aussortieren ginge der Wissenschaft auch keine Erkenntnis verloren, betont Schiffer. Denn der Gehalt sei ja schon in den Arbeiten zu finden, bei denen sich die Plagiatoren bedient haben.

HU-Bibliothekar Degkwitz widerspricht: „Solche Werke sind auch Zeugnis dessen, was in der Wissenschaft geschieht.“ Deshalb müssten sie im Bestand bleiben. Gleichwohl gebe es Nachholbedarf . Aufgrund der relativ einfachen technischen Möglichkeiten, ganze Passagen aus digitalen Quellen in wissenschaftliche Arbeiten zu kopieren und solche Plagiate dann zu identifizieren, sei eine steigende Zahl von Plagiatsfällen „nicht auszuschließen“. Deshalb sollten Bibliotheken und Wissenschaft wohl doch ein einheitliches Prozedere erwägen, sagt Degkwitz vorsichtig. Der Arbeitsaufwand könnte aber für die von steigenden Kosten und Einsparungen betroffenen Bibliotheken nur schwer zu leisten sein.

Wer Bibliothekare zu ihrem Umgang mit Plagiaten befragt, spürt auch deren Unmut, in die Verantwortung genommen zu werden. Der Kampf gegen das Unwesen des Plagiierens müsse von den Unis selber geführt werden, sagt Verbandsjurist Upmeier. Da wünschte man sich eine konsequentere Verfolgung der Täter. „Wenn die wissenschaftliche Selbstkontrolle versagt, wird häufig die Urheberrechts-Krücke genutzt.“ Dann gehe es nur um die direkte Übernahme von Zitaten. Doch der eigentliche Skandal sei der schwerer nachzuweisende Ideenklau, der müsse stärker geahndet werden.

An der Verbands-Devise, beanstandete Bücher nicht aus dem Verkehr zu ziehen, wird auch festgehalten, wenn Autoren dies selber wünschen. Im Zuge der Guttenberg-Affäre seien „erstaunlich viele Fragen von ehemaligen Promovenden eingegangen, ob es möglich sei, die eigene Dissertation vom Hochschulschriftenserver oder gar ganz aus den Regalen zu nehmen“, berichtet Upmeier. Selbstverständlich würde dies in aller Regel abgelehnt.

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