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Plagiate: Rettet den Doktor!

Ist Ideenrecycling bei Dissertationen die Norm? Die Promotion ist ins Gerede gekommen. Ein Plädoyer für klare Standards.

Die Nachrichten über Plagiate in der Wissenschaft, insbesondere in Doktorarbeiten, werden allmählich unübersichtlich. Zwar war der vormalige Verteidigungsminister und Absolvent der juristischen Fakultät der Universität Bayreuth, Karl Theodor zu Guttenberg, nicht der erste Promovierte, dem in seiner Doktorarbeit Plagiate, das heißt Diebstahl geistigen Eigentums, nachgewiesen werden konnten. Er war aber wohl der prominenteste. Im Anschluss an seinen Plagiatsfall tauchten immer neue Namen von politischen Funktionsträgern auf, die – wie es dann immer verharmlosend heißt – in ihren Arbeiten „geschummelt“, das heißt Zitate nicht als solche gekennzeichnet, Quellen nicht nachgewiesen, ganze Textbausteine ohne Autorennachweis einfach übernommen hätten.

Dabei beschränkt sich die öffentliche Debatte über diese Beispiele wissenschaftlichen Fehlverhaltens in der Regel auf die rechtliche Bewertung. Es wird gefragt, ob „schon“ oder „noch nicht“ von einem Plagiat die Rede sein kann; wie dieses definiert sei; welche Grenzfälle vielleicht noch erlaubt seien etc. Noch nicht recht im Blick war bislang hingegen der Umstand, dass es sich bei den in Rede stehenden Dissertationen um wissenschaftliche Arbeiten handelt, damit aber auch Fragen des wissenschaftlichen Selbstverständnisses und der Angemessenheit unterschiedlicher wissenschaftlicher Verfahren angesprochen sind.

Die Affäre Guttenberg in Bildern:

In der Diskussion um die Dissertation der Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan haben nun allerdings auch Wissenschaftler Positionen eingenommen, die deutlich machen, dass die wissenschaftlichen Standards für Dissertationen bereits ins Rutschen geraten sind. Ein Beispiel dafür sind die jüngsten Äußerungen des Düsseldorfer Erziehungswissenschaftlers und Bildungsforschers Heiner Barz auf „Zeit online“. Wissenschaft, so Barz, sei oft nur ein „Ideenrecycling“, bestehe doch die Arbeitsweise im akademischen Betrieb, und so auch in Dissertationen, darin, „aus hundert Büchern ein neues Buch zu machen. Also das zusammenzutragen, was man woanders an Ideen und Lesarten findet.“

Wenn Barz recht hätte, wäre das mehr als schade - es wäre der Tod der Wissenschaft.

Nun ist es sicher richtig, dass wissenschaftliche Arbeit häufig an bereits bekannten Fragestellungen ansetzt: In der Tat wird nicht in jeder Arbeit das Rad neu erfunden. Das kann und darf aber nicht bedeuten, dass Problemstellungen nur übernommen, vielleicht hin- und hergewendet und erneut wiederverwertet, also „recycelt“ werden. Eine Wissenschaft, die sich darauf beschränkt, ist, bevor sie überhaupt begonnen hat, schon am Ende. Sie ist tot, weil sie die überkommenen Fragestellungen nicht in lebendige, eigene Forschung, in überraschende Verschiebungen der Fragen und hoffentlich provozierende Antworten, ganz neue Methoden und erstaunliche Herangehensweisen transformiert und bestenfalls zu einem Hort der Langeweile wird. Dissertationen dieser Art hat es immer gegeben und wird es auch immer geben. Sie sind aber nicht repräsentativ. Die sehr viel größere Gruppe junger Forscherinnen und Forscher hat sich einem Thema ganz und voller Leidenschaft verschrieben. Sie wollen es vorantreiben und möglichst umfassend ergründen. Ihnen geht es nicht nur um den Titel, sondern auch um das genauere Verständnis eines Problemfeldes.

Nach Barz bestehen viele Doktorarbeiten „aus reinen Anhäufungen von verklausulierten Exzerptsammlungen“, bleiben also in der Phase der Materialrecherche stehen. Zwar ist die Feststellung trivial, dass jede wissenschaftliche Arbeit, so auch Doktorarbeiten, mit dem Sammeln von überkommenen Fragestellungen, bisher erreichten Ergebnissen und methodischen Vorschlägen zum Thema beginnt. Dieses Material aber schreit förmlich nach Bearbeitung, also nach erweiterten Fragestellungen, Überschreitungen der bislang gesetzten Wissensgrenzen und nach mutigen Erprobungen. Jedes Material bedarf also der Forschung, wenn es nicht formlos bleiben soll.

Wo hat zu Guttenberg abgeschrieben?

Etwas Weiteres kommt hinzu: Beschränken sich Arbeiten auf die bloße Akkumulation von Exzerpten, die dann lediglich „recycelt“, nicht aber weitergedacht und verändert werden, so ist die Gefahr sehr groß, dass fremde Meinungen zu eigenen gemacht und das heißt plagiiert werden. Barz hat diese Möglichkeit weitgehend wohl billigend in Kauf genommen, wenn er als Konsequenz des „Ideenrecycling“ es nur für einen „graduellen Unterschied“ ansieht, „ob da nicht nur die Ideen, sondern auch die Formulierungen übernommen werden“. Diese angebliche Naturwüchsigkeit des Plagiats aber wäre, ich wiederhole es, der Tod von Wissenschaft. Arbeiten dieser Art böten keinen Qualifikationsnachweis, sondern lediglich den Nachweis der Fähigkeit zum Sammeln und Abschreiben.

Qualitätsstandards müssen gelernt, erprobt und je neu überprüft werden. Das betrifft auch Doktorarbeiten, ist aber nur möglich, wenn das Promotionsstudium als ein eigener Studienabschnitt ernst genommen und nicht „nebenbei“ erledigt wird, also lediglich in den schmalen Zeitfenstern, welche die Tätigkeit eines Ministers oder Planungschefs eines Flughafens lässt. Das aber verlangt regelmäßige Präsentationen der Arbeitsergebnisse im Doktorandencolloquium des Betreuers, im Graduiertenkolleg oder in einer Graduiertenschule. Dabei geht es nicht um eine Formalie oder lästige Pflicht, sondern darum, die eigenen Ansätze zu überprüfen, die Ergebnisse zu problematisieren und neue Wege zu finden.

Wie kann es unter diesen Umständen weitergehen?

Meine Prognose: Wird eine Doktorarbeit auf diese Weise erarbeitet, ist die Gefahr von Plagiaten und anderen Formen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erheblich reduziert. Auffällig ist jedenfalls, dass einige der jüngst skandalisierten Promotionen weitgehend von außen, nicht aber im engen Verbund von Betreuer, Doktorand und Doktorandencolloquium erfolgten. Die Möglichkeit solcher Promotionen von außen sollten deshalb in den Promotionsordnungen erheblich eingeschränkt und genau geregelt werden.

Diese Promis wurden beim Abschreiben erwischt:

Barz begründet das „Ideenrecycling“ in Doktorarbeiten mit dem „Routinebetrieb“ der Universitäten, mit dem er sich allerdings weitgehend arrangiert hat. Das ist zweifellos sein gutes Recht. Nicht akzeptabel hingegen ist die ebenso triviale wie resignative Feststellung, dass nicht jeder Doktorand „zum Einstein oder Galilei geboren“ sei und „wirklich Neues und Herausragendes“ erforschen müsse. Moderne Promotionsförderung setzt sich nicht zum Ziel, lauter Genies zu produzieren. Sie zielt aber auch nicht auf Mittelmaß, sondern bemüht sich um die „besten Köpfe“ und die spannendsten Arbeiten. Vielen Doktorandinnen und Doktoranden geht es genau darum. Ihr Vergleich mit Einstein oder Galilei ist ungerecht und geht am Problem vorbei.

Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich aus dem Gesagten?

Dass wörtliche Zitate mit ihrer Quellenangabe versehen werden müssen, ist selbstverständlich und bedarf keiner Diskussion. Das gilt auch für den Fall, dass sie einen längeren Umfang haben: Jedes Zitat, ob ein Begriff, ein Satz oder ein Abschnitt, ist als solches zu kennzeichnen.

Eine kleine Chronik der Plagiate:

Etwas komplizierter ist ein Problem, das in jeder wissenschaftlichen Arbeit auftaucht und als „Bauernopfer“ bezeichnet wird. Damit ist gemeint, dass ein(e) Autor(in) einen Sachverhalt, eine These oder einen Argumentationszusammenhang referiert, dabei aber nur die wörtlichen Zitate als fremde Autorschaft kennzeichnet, nicht aber den ganzen Text. Das Bild stammt aus dem Schachspiel und meint, dass eine „relativ geringe Person geopfert“ wird, „um eine gewichtigere schadlos zu halten“ (L. Röhrich: Sprichwörtliche Redewendungen). Es liegt auf der Hand, dass das Bild für den hier gemeinten Sachverhalt unzutreffend ist, weil ungekennzeichnete Übernahmen weder ein Opfer andeuten noch eo ipso auf Geringfügigkeit schließen lassen. Wichtiger als diese begriffliche Unschärfe ist aber der Umstand, dass dieses Problem leicht zu lösen ist: Sofern zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Fremdtext eine Formulierung wie: „Im Folgenden, im Anschluss an ...“ auf den Autor hinweist, ist die Möglichkeit eines Missverständnisses ausgeschlossen.

Doch sind das technische Fragen. Wichtiger scheint mir, dass Doktorarbeiten den Status behalten oder – sofern sie ihn schon verloren haben sollten – wiedergewinnen, den sie lange innehatten. Gerade Doktorarbeiten sind Grundlage und Kernstück der Forschungsleistung einer Universität. Sie garantieren die Bereitschaft und Lust zur Innovation, die erst die Voraussetzung exzellenter Forschung schafft. Die aber sollte man für sehr viel kleinere Münzen wie „Ideenrecycling“ oder „Exzerptsammlungen“ nicht preisgeben.

Der Autor ist emeritierter Professor für Ältere deutsche Literatur an der Humboldt-Universität.

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