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Unter Beobachtung. Universitäten wollen künftig Doktorarbeiten, die die Höchstnote bekommen sollen, von zusätzlichen Gutachtern bewerten lassen.

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Plagiats-Affären: Nach Koch-Mehrin und Guttenberg: Strenge Regeln für den Doktor

Silvana Koch-Mehrin wehrt sich gegen den Entzug der Doktorwürde. Doch ihre Verteidigungsstrategie empört wiederum ihren Doktorvater. Derweil wollen die Unis die Qualität von Dissertationen besser sicherstellen.

Entlasten will sich Silvana Koch-Mehrin mit einer Erklärung zu ihrer Doktorarbeit. Doch ihr Hinweis, handwerkliche Schwächen und Fehler in der Arbeit seien schon seit dem Jahr 2000 bekannt, lösen erneuten Unmut aus. Koch-Mehrins ehemaliger Doktorvater Volker Sellin, emeritierter Historiker der Universität Heidelberg, betont, dass aus den von der FDP-Politikerin zitierten Passagen seines Gutachtens keineswegs entlastende Momente herausgelesen werden könnten.

Nachdem die Uni Heidelberg am Mittwoch wie berichtet bekannt gegeben hatte, dass sie Koch-Mehrin den Doktortitel wegen nachgewiesener Plagiate entziehe, hatte die Europa-Politikerin angekündigt, sie werde prüfen lassen, ob der Entzug der Doktorwürde rechtswidrig sei. In seinem Erstgutachten habe Sellin bereits vor elf Jahren festgestellt, dass die Arbeit „nicht frei von Schwächen, nicht selten ungenau, oberflächlich und manchmal geradezu fehlerhaft“ sei. Auch sei kritisiert worden, dass sie nicht deutlich gemacht habe, „auf welche Literatur ich mich jeweils stütze“. Eben deshalb habe sie mit „cum laude“ eine mittelmäßige Note bekommen.

Gegen diese Darstellung wehrt sich Volker Sellin. Koch-Mehrin lege nahe, dass er schon damals von den Plagiaten gewusst, die Arbeit aber trotzdem angenommen habe. Das sei aber nicht der Fall. „Ich habe damals selbstverständlich nicht geahnt, dass sie abgeschrieben hat und habe dies daher mit meiner Kritik an ihrer Arbeit auch nicht ausdrücken können.“ Auch Manfred Berg, Dekan der Philosophischen Fakultät und Vorsitzender des Promotionsausschusses, sagt: „Die Monita bezogen sich auf inhaltliche und formale Fehler, die überhaupt nichts mit dem Vorwurf eines Plagiats zu tun hatten.“ Tatsächlich fanden sich erst jetzt „auf rund 80 Textseiten über 120 Stellen, die nach Bewertung des Promotionsausschusses als Plagiate zu klassifizieren sind“, heißt es.

Foto: dapd
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Schon bald könnte es einen weiteren Politiker treffen, der wie Koch-Mehrin zunächst von den Plagiatsjägern von „VroniPlag“ ins Visier genommen wurde. Am Montag nimmt Jorgo Chatzimarkakis (FDP) an der Uni Bonn Stellung zu den Plagiatsvorwürfen gegen seine Doktorarbeit. Am 29. Juni soll eine Entscheidung getroffen werden, hieß es auf Anfrage.

Die prominenten Fälle haben in der Wissenschaft intensive Debatten ausgelöst, wie solche Skandale künftig zu verhindern sind. Dabei geht es auch um die Frage, wie grundsätzlich die Qualität von Doktorarbeiten gesichert und verbessert werden kann. Nicht zuletzt wird die Promotionskultur zudem durch andere Formen von Betrug bedroht: Titelmühlen aus dem Ausland etwa, Ghostwriter oder Misswirtschaft an hiesigen Unis.

So wurde jüngst öffentlich gemacht, dass die Uni Würzburg bis zu 25 Doktorarbeiten aus der Zahnmedizin überprüfen lässt. Der Verdacht steht im Raum, dass bei einem inzwischen emeritierten Medizinhistoriker kleinste Arbeiten für den Dr. med. ausgereicht haben sollen: etwa ein 40-seitiges Werk über Heilpflanzen. Ermittelt wird, ob der Professor sich die Annahme der Arbeiten mit Spenden für sein Institut bezahlen ließ. Würzburgs Präsident zeigte sich „schockiert“ – und kündigte eine strengere Promotionsordnung und ein verbessertes Promotionsverfahren für das Fach an, um solche Fälle künftig unmöglich zu machen.

An den Berliner Unis sind solche Fälle zwar bisher nicht bekannt geworden. Aber auch FU, HU und TU haben auf die Guttenberg-Affäre reagiert. So hat HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz jetzt eine neue Rahmenpromotionsordnung in die Wege geleitet, an der sich die Fakultäten – die die Promotionsverfahren durchführen – mit ihren Ordnungen künftig orientieren sollen. Vorgesehen ist etwa, dass alle Doktoranden ihre Arbeiten in elektronischer Form einreichen müssen. Dann könnten sie bei einem Plagiatsverdacht mit einer Software untersucht werden. Ihm gehe es „um die Möglichkeit einer Nachprüfung“, sagt Olbertz – keinesfalls jedoch um „die Inszenierung einer Kultur des Misstrauens“.

Was die Berliner Unis planen, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Olbertz will auch anregen, einen dritten, externen Gutachter heranzuziehen, „sobald sich ein summa cum laude abzeichnet“, also die Höchstnote. Auch das ist eine Reaktion auf den Fall Guttenberg: Anders als die mit einem schwachen „cum laude“ bewertete Koch-Mehrin hatte der ehemalige Minister ein „summa“ für sein Werk bekommen, was im Nachhinein auch die Kommission zur wissenschaftlichen Selbstkontrolle der Uni Bayreuth verwunderte. Insgesamt müsse es darum gehen, die Betreuung der Doktoranden – auch der externen – zu stärken, sagt Olbertz. Qualität zeichne sich durch eine gute Betreuungskultur aus.

Auch an der FU sollen Promovenden ihre Arbeiten künftig elektronisch einreichen, um sie gegebenenfalls per Software überprüfen zu lassen, sagt Präsident Peter-André Alt. Er setzt ebenfalls darauf, Doktoranden intensiver als bisher betreuen zu lassen. So könnten an der FU künftig alle Doktoranden ein kleines Kerncurriculum belegen, das sie fachlich weiterbildet. Als Beispiel aus seinem Fach nennt der Germanist Alt einen Kurs „Literaturtheorie für Doktoranden“. Der Präsident will sich dafür einsetzen, dass alle Promovenden eine Betreuungsvereinbarung mit ihrer Doktormutter oder ihrem Doktorvater schließen und regelmäßig berichten, welche Fortschritte sie machen. Neben dem wissenschaftlichen Betreuer sollte ein „Mentor“ die Doktoranden begleiten, der für eher psychologischen Rat bereitsteht.

Für „sinnvoll“ hält es auch Alt, bei einer Arbeit, die die Höchstnote bekommen soll, einen weiteren externen Gutachter hinzuzuziehen. Er verweist auf Großbritannien, wo Betreuer die Arbeit ihrer Schützlinge gar nicht bewerten und immer externe Gutachter die Note vergeben. Prinzipiell sei das eine gute Idee: „Die Externen sind meistens strenger.“ Im Alleingang könne die FU so eine Regelung allerdings nicht durchsetzen.

Die TU will neue Kurse anbieten, in denen Promovierende für die Richtlinien der Deutschen Foschungsgemeinschaft zur korrekten wissenschaftlichen Arbeit sensibilisiert werden sollen. Erweitert werden soll auch eine seit mehreren Jahren bestehende Kursreihe für Professoren mit dem Titel „Fremde Federn finden“. Prinzipiell seien Plagiate aber nicht so sehr das Problem der technischen Fächer, sagt Präsident Jörg Steinbach. Vielmehr müsse garantiert sein, dass die Rohdaten, auf denen eine Arbeit basiert, richtig dokumentiert werden, damit auch andere die Experimente nachvollziehen könnten. An der TU habe es da in der Vergangenheit kaum Probleme gegeben.

Müssten sich womöglich mehr Hochschullehrer mit einer Promotion beschäftigen als zwei oder drei Gutachter, um Mauscheleien oder Fehlurteilen vorzubeugen? Das regte die Bayreuther Kommission nach der Untersuchung der Guttenberg-Affäre an: Neben Gutachtern sollten auch engere Fachkollegen zu jeder an einer Fakultät eingereichten Dissertation Stellung nehmen. So geht bereits die TU München vor. Dort wird der Titel erst verliehen, wenn neben den Gutachtern auch mehrere Professoren der Annahme einer Arbeit zugestimmt haben: mindestens zehn, wenn eine Fakultät bis zu 40 Professoren hat, mindestens 20, wenn es mehr sind. Womöglich wäre so auch in Würzburg den Kollegen früher aufgefallen, welche Kleinstpromotionen der Zahnmedizin-Professor durchgehen ließ. Und vielleicht hätten in Heidelberg andere Professoren die Arbeit Koch-Mehrins gestoppt.

Aber ist dieses Prozedere auch praktikabel? Ein Sprecher der TU München gibt zu, dass es in den Natur- und Technikwissenschaften einfacher zu handhaben ist als in den Geisteswissenschaften, deren Arbeiten in der Regel umfangreicher sind. FU-Präsident Alt befürchtet ein „ziemliches Organisationschaos“. Er bezweifelt, dass sich die ohnehin mit vielen Gutachten eingedeckten Kollegen mit so vielen Arbeiten ernsthaft befassen könnten.

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