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Das Gendersternchen, eine umstrittene Form der geschlechtergerechten Schreibweise.

© picture-alliance/dpa/Marijan Murat

Podiumsdiskussion an der FU: Wer bestimmt, was ich sagen darf?

Die Veränderung des Deutschen ist ein hochemotionales Thema. Eine Podiumsdiskussion an der FU über diskriminierende Sprache, Gendern und Political Correctness.

Die deutsche Sprache ist in Gefahr. Das lassen zumindest hochemotionale öffentliche Debatten über Gendersternchen oder die korrekte Bezeichnung von Schokoküssen und Schnitzeln vermuten. Der Linguist Peter Eisenberg schrieb in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel von einer „Misshandlung“ des Deutschen, von „Attacke“, „Jagd“ und „Krieg“ gegen das generische Maskulinum. „Wo die Normalsprecherin und der Normalsprecher nicht mehr reden und schreiben können, wie ihnen Hand, Kopf und Schnabel gewachsen sind, vergehen wir uns an ihnen und an der Sprache“, warnte der Professor.

Werden „Normalsprecher“ wirklich bevormundet von einer politisch korrekten Sprachpolizei? Unter dem Titel „„Was darf ich sagen? Und wer bestimmt das?“ diskutierten die Duden-Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum, der Linguist Anatol Stefanowitsch und die Journalistin Konstantina Vassiliou-Enz an der Freien Universität Berlin diese Fragen. Kunkel-Razum sitzt im Rat der deutschen Rechtschreibung, der am heutigen Freitag Empfehlungen über geschlechtergerechtes Schreiben gibt - oder sich als nicht zuständig erklärt. Die Redaktionsleiterin will keine Prognose abgeben, wie die Entscheidung ausfällt. Sie selbst sehe den Rat aber in der Pflicht, sich zu dem Thema zu äußern.

Tendenz in der Linguistik, sich nicht einzumischen

Der Dudenverlag hat zuletzt mit Broschüren zu Gendern und politisch korrekter Sprache für Aufsehen gesorgt. Doch Kunkel-Razums Engagement begann schon viel früher, wie sie erzählt. So ließ die promovierte Germanistin patriarchal geprägte Anwendungsbeispiele von Begriffen im Duden ändern. Etwa der Satz „Sie sah zu ihm auf wie zu einem Gott“, den die Luise Pusch schon in den 80er Jahren kritisierte. Pusch gilt als Begründerin der feministischen Linguistik in Deutschland. Kunkel-Razum startete außerdem das aufwändige Projekt, neben der männlichen auch die weibliche Form von Berufsbezeichnungen im Duden aufzuführen – und musste sich dafür von Linguisten anhören, das sei Platzverschwendung.

Anatol Stefanowitsch beobachtet in der Linguistik die Tendenz, sich nicht in politische Diskussionen einzumischen. Während des Studiums habe er sich die Texte von Luise Pusch selbst aneignen müssen, erzählt er. Das stand in keinem Lehrplan. Stefanowitsch will die Diskussion über Sprache nicht nur fachfremden Menschen überlassen. Denn wer, wenn nicht Linguistinnen und Linguisten, sollten sich in die Sprachdebatte einmischen? Stefanowitsch tut das, schreibt Artikel, nimmt an Diskussionen teil und ist auf Twitter aktiv, wo ihm 13.000 Menschen folgen.  Außerdem hat er für den Duden die Broschüre „Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ geschrieben. Als Zielgruppe für die Publikation nennt er „glücklich ignorante, mittelalte, heterosexuelle Männer“. Solche, die nicht grundsätzlich böse sind, sondern denen schlicht nicht bewusst sei, wie sie mit Sprache Menschen verletzen können. Die große Aufregung über politisch korrekte Sprache hält Stefanowitsch für ein letztes „Rückzugsgefecht“ konservativer bis rechter Kreise.

Jeder Person steht es frei, diskriminierende Sprache zu nutzen

Etwas weniger drastisch sieht Konstantina Vassiliou-Enz die Lage. Sie ist Geschäftsführerin von „Neue deutsche Medienmacher“, einem Zusammenschluss von Journalistinnen und Journalisten, der sich für eine angemessene Berichterstattung über das Thema Einwanderung einsetzt. Bereits 2011 brachten sie dazu eine Formulierungshilfe heraus. Ausgangspunkt war die Berichterstattung über die NSU-Mordserie, die von Medien als „Dönermorde“ bezeichnet wurde. Auch das Wort „Fremdenfeindlichkeit“ als Motiv tauchte immer wieder auf. Ein Wort, das Rassismus verharmlose und die Täterperspektive übernehme, indem türkeistämmige Deutsche als „Fremde“ betitelt werden. Heute gehe es vor allem um die sogenannte „Flüchtlingskrise“, sagt Vassiliou-Enz. Ein unpräziser Begriff, der impliziere, dass die Geflüchteten allein verantwortlich seien für bestehende Probleme. Niemand würde schließlich mangelnde Kita-Plätze als „Kleinkinderkrise“ bezeichnen, so die Journalistin. Trotzdem betont sie, lediglich Denkanstöße geben zu wollen. Jedem und jeder stehe es frei, diskriminierende Sprache zu nutzen. Die Person müsse dann eben mit den gesellschaftlichen Konsequenzen rechnen.

Viele trauern einer Zeit hinterher, in der es diese Konsequenzen nicht gegeben hat, glaubt Anatol Stefanowitsch. Nachfragen aus dem Publikum, ob geschlechtergerechte Sprache diese nicht „zu holprig“ machen würde, weist der Linguist ab. „Was holpriger geworden ist, ist die gesellschaftliche Realität“, sagt Stefanowitsch. Heute lassen sich Minderheiten und Frauen diskriminierende Ausdrücke oder das sprachliche Unsichtbarmachen nicht mehr einfach so gefallen. Das habe nichts mit Zwang oder Bevormundung zu tun, sondern mit gesellschaftlichem Wandel. Und der macht auch vor Sprache nicht halt.   

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