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Sie trugen das „P“. Irena Kolasinska (15) und Irena Kucba (17) 1944 als Zwangsarbeiterinnen in Kleinmachnow.

© Berliner Geschichtswerkstatt

Polen-Erlasse von 1940: Stigmatisiert und entmenschlicht

Ab März 1940 kennzeichnete das NS-Regime erstmals Menschen mit diskriminierenden Abzeichen. Betroffen waren polnische Zwangsarbeiter, sie mussten ein "P" auf der Kleidung tragen.

Sie durften keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Sie durften keine Gaststätten oder Kirchen besuchen, nicht Fahrrad fahren, fotografieren oder ihren Aufenthaltsort verlassen. Und sie mussten ein Kennzeichen tragen. Die sogenannten Polen-Erlasse des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, ergingen am 8. März 1940. Sie waren der Auftakt für die öffentlich sichtbare Stigmatisierung von Menschen im NS-Staat.

Polnische Zwangsarbeiter mussten seitdem das „Polen-Abzeichen“ sichtbar am Körper tragen: eine violett umrandete gelbe Raute mit einem violetten „P“ in der Mitte. Es markierte ihren Ausschluss aus der Volksgemeinschaft und institutionalisierte ihre rassistische Diskriminierung. Beim Verstoß gegen die Polen-Erlasse drohten die Einweisung in ein Vernichtungslager oder willkürliche Hinrichtungen. Ein Jahr später wurde der „Judenstern“ eingeführt.

Öffentliche Gedenkveranstaltung in Berlin

„Es war das erste Mal, dass Menschen im Reich solche Abzeichen tragen mussten“, sagt der Historiker Cord Pagenstecher, Mitarbeiter des Online-Archivs Zwangsarbeit am Center für Digitale Systeme der Freien Universität Berlin (FU). Die Polen-Erlasse seien aber in der öffentlichen Erinnerung kaum präsent. Gemeinsam mit dem Berliner Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften widmet die FU den Polen-Erlassen deshalb am morgigen Donnerstag eine öffentliche Gedenkveranstaltung. In einem Hörstück werden Pagenstecher und die Publizistin Ewa Czerwiakowski Erinnerungsberichte von Zwangsarbeitern präsentieren; polnische und deutsche Wissenschaftler informieren über den historischen Kontext der Erlasse und ihre juristische Praxis.

Liebesbeziehungen zu Deutschen waren unter Todesstrafe verboten

300 000 polnische Zwangsarbeiter waren im Jahr 1940 bereits nach Deutschland verschleppt worden, bis 1945 sollten es insgesamt 2,2 Millionen werden. Im annektierten „Reichsgau Warthegau“ befanden sich zudem 1,1 Millionen Polen in Gefangenschaft. Hinzu kamen mindestens 700 000 Juden in polnischen Ghettos. Für die Rekrutierung von Zwangsarbeitern in polnischen Gemeinden und Städten gab die NS-Führung Quoten aus. Mit Lkw, Zügen und Kutschen wurden sie nach Deutschland gebracht und dort auf verschiedene Einsatzorte verteilt. Die Polen-Erlasse verfügten auch, dass ihnen der Kontakt mit Deutschen und insbesondere Liebesbeziehungen unter Androhung der Todesstrafe untersagt war.

Ob das Polen-Abzeichen tatsächlich als direkte Vorlage für den ein Jahr später eingeführten „Judenstern“ diente, sei nicht gesichert, sagt Pagenstecher. Beide Abzeichen wurden jedoch von derselben Firma, der Berliner Fahnenfabrik Geitel, produziert. Dem Muster der Polen-Erlasse folgte dann jedenfalls der am 20. Februar 1942 veröffentlichte „Ostarbeiter-Erlass“. Er betraf sowjetische Kriegsgefangene, Arbeiter und Deportierte, die ebenfalls gekennzeichnet wurden. Die „Ostarbeiter“ galten als „fremdvölkische Zivilarbeiter“ und standen in der rassenideologisch motivierten „Deutschen Volksliste“ auf der zweituntersten Stufe – vor Juden, Sinti und Roma.

Gedenkveranstaltung am Zentrum für Historische Forschung der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Donnerstag, 12. März, ab 19 Uhr (Majakowskiring 47; Pankow).

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