zum Hauptinhalt
Selbermachen. Der 30-Jährige liebt es, zu experimentieren und dabei neue chemische Verbindungen herzustellen.

© Ulrich Dahl/Technische Universit

Porträt: Shigeyoshi Inoue: Der Beschleuniger

Shigeyoshi Inoues Forschung ist erstklassig. Der Japaner wird am Dienstag mit Sofja-Kovalevskaja-Preis ausgezeichnet. In Berlin baut er an der TU Moleküle, die chemische Reaktionen schneller machen.

Shigeyoshi Inoue liebt Fußball. Er schaut gerne die Sportschau, zumal japanische Spieler derzeit in der Bundesliga Furore machen. Ab und zu geht Inoue auch ins Olympiastadion, um Hertha anzufeuern. In dieser Saison sei er aber noch nicht dort gewesen, sagt der 30-jährige Chemiker aus Japan, der an der Technischen Universität (TU) Berlin forscht. Nicht weil Hertha abgestiegen ist, sondern weil er im Labor alle Hände voll zu tun hat. Seine wissenschaftliche Arbeit ist jedenfalls erfolgreicher als die sportliche der jetzt zweitklassigen Herthaner.

Inoues Forschung ist wirklich erstklassig, nimmt man den Sofja-Kovalevskaja-Preis als Maßstab. Der wird dem Japaner heute verliehen. Damit verbunden ist ein Preisgeld von 1,65 Millionen Euro, mit dem er seine Forschung finanzieren kann. Eine Arbeitsgruppe mit zwei Doktoranden und einem Postdoc will der Nachwuchsforscher aufbauen. Thema des Teams soll die Chemie des Siliziums sein, dem nach Sauerstoff zweithäufigsten Element in der Erdkruste.

Wer große Apparate oder brodelnde Reaktionskessel erwartet, wird beim Besuch in Inoues Labor enttäuscht. Hinter einer schützenden Plexiglasscheibe dreht sich ein Reaktionskolben, in dem eine gelbe Flüssigkeit schwappt. Einige weiße Krümel haben sich am Boden des Gefäßes abgesetzt: die Reaktionsprodukte, die später spektroskopisch untersuchen werden. Daneben hängt eine kleine Stahlflasche mit Azetylen, einem explosionsfreudigen Gas aus Kohlenstoffmolekülen. Inoue zeigt auf eine Pipette. Damit habe er die geringe Gasmenge abgemessen, die zur Reaktion nötig war.

Worum geht es bei diesem Experiment? Der Forscher mit der wilden Mähne und dem dünnen Bart zeichnet chemische Symbole aufs Papier. „Mich interessieren Silylinkomplexe“, sagt er. Das sind kompliziert gebaute Moleküle, die eine Dreifachbindung zwischen Silizium und einem Übergangsmetall wie Nickel, Molybdän oder Kobalt haben. Solche Komplexe können katalytisch wirken, also Reaktionen beschleunigen oder überhaupt in Gang setzen, ohne dabei verbraucht zu werden.

„Bei etwa 80 Prozent aller chemischer Reaktionen sind Katalysatoren im Spiel“, sagt Matthias Drieß, TU-Chemiker und Sprecher des Forschungsclusters „Unifying Concepts in Catalysis“ (UniCat). Das Projekt wird im Rahmen der Exzellenzinitiative mit jährlich bis zu sieben Millionen Euro gefördert. Beteiligt sind mehr als 250 Wissenschaftler aller Berliner Hochschulen, der Uni Potsdam und von zwei Max-Planck-Instituten.

Shigeyoshi Inoue gehört zur etwa 25-köpfigen Arbeitsgruppe des TU-Professors. Der japanische Chemiker sucht Wege, um die kompliziert gebauten Siliziummoleküle herzustellen. Zudem will er herausbekommen, wie gut sie reagieren und wie man ihre Reaktivität beeinflussen kann. Etwa indem man die räumliche Struktur oder die chemische Zusammensetzung ändert.

Katalysatoren, die mehrfach gebundenes Silizium und Metallatome enthalten, sind noch weitgehend Neuland. Gründlich erforscht sind dagegen vergleichbare Komplexe mit Kohlenstoff. Viele haben sich als effektive Katalysatoren erwiesen und werden etwa zur Herstellung von Medikamenten verwendet. Doch der Bedarf in der Industrie ist enorm. Zudem wird in der Chemie immer häufiger ökologisch gedacht. Man sucht Reaktionswege, die weniger Substanzen verbrauchen und weniger Energie benötigen. Katalysatoren helfen dabei. Doch sie wirken oft selektiv, so dass für fast jede Reaktion ein anderer Beschleuniger gefunden werden muss.

„Silizium bietet neue Perspektiven“, sagt Drieß. Das Element reagiert träger als Kohlenstoff und weist schon teilweise metallische Eigenschaften auf. Mehrfachbindungen sind zwischen Siliziumatomen viel schwerer herzustellen als zwischen Kohlenstoffatomen.

Weltweit führend in der Erforschung solcher Siliziummoleküle ist eine Arbeitsgruppe an der Universität Tsakura, berichtet Drieß. Bei dem Leiter des Teams, Akira Sekiguchi, hat Inoue promoviert. Dort konnte er seiner wissenschaftlichen Leidenschaft nachgehen, dem Experimentieren. Der Gedanke, Arzneimittel oder Lebensmittel selbst herstellen zu können, habe ihn früh fasziniert, erzählt Inoue. So studierte er Chemie. Nach der Promotion wollte er eigentlich in die Industrie gehen. Doch sein Lehrer Sekiguchi hatte ihn bereits mit dem „Forschervirus“ infiziert.

Der junge Chemiker traf noch eine andere schwerwiegende Entscheidung. Er wollte in Europa arbeiten, am liebsten in Deutschland. „Ich liebe die deutsche Kultur“, sagt er. Zudem werde hierzulande viel Geld in Grundlagenforschung investiert, die auch Inoue betreibt. Da fügte es sich gut, dass Matthias Drieß seit Jahren mit Akira Sekiguchi kooperiert. Inoue hörte von der Berliner Siliziumforschung und fragte nach Arbeitsmöglichkeiten. Drieß war von dem engagierten jungen Wissenschaftler angetan. Auch für Chika Inoue, Shigeyoshis Frau und ebenfalls Chemikerin, fand sich ein Arbeitsplatz im Drieß-Team.

Inoue hat schnell Deutsch gelernt. Zunächst hatte er geglaubt, mit Englisch durchzukommen. Das ist schließlich die Sprache, in der sich Wissenschaftler weltweit verständigen. „An der Hochschule war das okay, doch im Supermarkt war es schwierig.“ So absolvierte er einen Abendkurs am Goethe-Institut.

Mittlerweile hat das japanische Forscherpaar einige europäische Städte bereist. Berlin gefalle ihnen trotzdem am besten, sagt Inoue. Hier wollen sie erst mal bleiben.

Paul Janositz

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false