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Prävention: Die Pflicht zur Gesundheit

Gesundheit ist auch ein Zustand, bei dem man sich selbst vergisst. Der Staat als Supernanny: Vorsorge zwischen Aufklärung und Bevormundung.

Was kann man tun, um lange gesund zu bleiben? Immer wieder kommen Forschungsergebnisse hinzu, etwa zum Thema Alkohol und Krebs bei Frauen (wir berichteten). Einiges wissen wir jedoch schon länger, und das zuverlässig. Zum Beispiel, dass Raucher im Schnitt zehn Jahre früher sterben als Nichtraucher, dass bei tödlichen Verkehrsunfällen häufig Alkohol im Spiel ist oder dass Bewegung im Alltag, Impfungen, Hygiene im Krankenhaus, Sonnenschutz und Zahnpflege messbar nützlich sind.

„Präventionsmaßnahmen haben einen wichtigen Einfluss auf die steigende Lebenserwartung", sagte die Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin Julika Loss von der Uni Bayreuth am Mittwoch bei einer Veranstaltung des Deutschen Ethikrates in Berlin. Dessen Forum Bioethik hatte sich das Thema „Gesundheitsvorsorge – Rechtliche und ethische Aspekte der Präventivmedizin“ vorgenommen.

Die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Begriffsbestimmung. Oft werden zum Beispiel die Röntgenuntersuchung der Brust, der Zellabstrich beim Frauenarzt oder das neu eingeführte Hautkrebs-Screening zur Vorsorge gerechnet. Streng genommen dienen sie jedoch der Früherkennung schon ausgebrochener Erkrankungen. Deshalb müsse man hier besonders darauf achten, dass sie mehr bewirken als nur eine Verlagerung der Sorge nach vorne, mahnte Bettina Seifert von der Uni Münster und Mitglied des Deutschen Ethikrates.

Bei einigen dieser Untersuchungen zeige sich ein deutlicher Nutzen, wenn man die gesamte Bevölkerung betrachte, der individuelle Nutzen sei jedoch gering, sagte die Gesundheitswissenschaftlerin Loss. Sie verwies auf die Berechnungen der Hamburger Medizinerin Ingrid Mühlhauser, denen zufolge von 1000 Frauen, die am Mammografie-Screening teilnehmen, drei an Brustkrebs sterben, ohne Teilnahme an der Früherkennung dagegen vier. „Eine Frau profitiert also davon, 999 haben keinen Nutzen.“ Doch jede Frau könnte diese eine sein. Und alle sollten eine auf guten Informationen beruhende Entscheidung treffen.

Dass gute Informationen nötig sind, damit die Bürger sich die vernünftigen Gesundheitsziele zu eigen machen, ist unstrittig. Loss findet es jedoch problematisch, wenn etwa Plakataktionen stark mit Emotionen arbeiten. So könne das Bild eines in die Breite gegangenen Michelangelo-David für den übergewichtigen Betrachter eine Demütigung bedeuten, und das Foto eines verunfallten Radfahrers, das zum Tragen des Helms motivieren soll, könne Kindern stattdessen Angst machen und das Fahrradfahren ganz verleiden. Ohnehin sei unser Wissen darüber, welche Informationen und Maßnahmen überhaupt ankommen, noch sehr beschränkt. „Die meisten Ansätze haben experimentellen Charakter.“

Sicher ist dagegen, dass Einkommen, Beschäftigungsstand und Bildung großen Einfluss haben. „Wir wissen, dass sehr ungleiche Gesellschaften nicht nur ungerecht, sondern auch ungesund sind“, sagte der Sozialrechtler Stefan Huster von der Uni Bochum. Er plädiert für einen übergreifenden Ansatz in der Präventionspolitik, der auch Bildung und Umweltschutz in den Blick nimmt.

Dabei müsse man auch darüber diskutieren, welche Bedeutung die viel beschworene persönliche Freiheit im Einzelfall habe. Huster bezweifelte, dass Tabakwerbung unter das Grundrecht der Meinungsfreiheit fällt, „sie nutzt schließlich Autonomie-Defizite aus“.

Im Nuffield Council on Bioethics in London, einer unabhängigen Denkfabrik, wird diskutiert, wie der Staat seiner Fürsorgepflicht für die Gesundheit der Bürger nachkommen kann, ohne zum bevormundenden „Nanny-State“ zu werden. Der deutsche Philosoph Harald Schmidt, der seit sieben Jahren dort arbeitet, plädierte für das „Stewardship-Modell“, das Pflichten des Staates wie Minimieren von Ansteckungsgefahren, Angebot von medizinischer Versorgung und Schutz von Minderheiten mit möglichst wenig Zwang verbindet. Maßnahmen wie Gurtpflicht oder Rauchverbot stehen auf der Leiter der staatlichen Eingriffe ganz oben und dürfen nur mit besonderer Begründung zum Einsatz kommen.

Schmidt glaubt, dass es ganz andere Fragen sind, die Bioethiker in Zukunft beschäftigen werden: Wie soll man sich etwa zu den im Internet angebotenen Gentests stellen, die Krankheitsrisiken vorhersagen wollen, oder zu privaten Angeboten, per Kernspin einen Ganzkörpercheck zu machen? Während heute eine große Gruppe von Menschen von Vorsorgeinformationen und -angeboten nur schwer erreicht wird, ist eine andere immer mehr darauf bedacht, möglichst gesund zu leben und Zusatzangebote wahrzunehmen. Auch darin liege jedoch eine Gefahr, mahnte die Medizinerin Loss: „Gesundheit ist auch ein Zustand der Selbstvergessenheit.“

Adelheid Müller-Lissner

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