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Unter Aufsicht. Vor allem in den Geisteswissenschaften hat sich die Promotionspraxis verändert. Die Zufriedenheit von Doktoranden hängt aber nicht von standardisierter Betreuung ab, sondern von der Beziehung zum Professor.

© dpa

Promotion: Gemeinsam zum Doktortitel

Raus aus der Isolation: Graduiertenschulen stärken den Zusammenhalt junger Wissenschaftler und sollen zudem Plagiate in der Dissertation erschweren. Doch gute Betreuung garantieren auch sie nicht in jedem Fall..

E-Mail aus Durham: „Natürlich passt es mir manchmal nicht, in einem schlecht sitzenden T-Shirt Gästen den Weg vom Hörsaal zum Buffet zu weisen“, schreibt Matthias Parthey, „schon gar nicht, wenn ich eigentlich wichtige Daten auszuwerten hätte. Aber das gehört einfach dazu.“ Parthey ist Doktorand der Theoretischen Chemie und sitzt gerade im Norden Englands, um gemeinsam mit Kollegen zu untersuchen, wie Elektronen von einem Punkt zum anderen springen. In seiner Doktorarbeit soll er diesen Prozess beschreiben und damit die Forschung daheim an der Technischen Universität (TU) Berlin ein kleines Stück voranbringen.

Seit 2011 ist er Kollegiat an der internationalen Berliner Graduiertenschule für Naturwissenschaft und Ingenieurwesen, die zum Exzellenzcluster „Unicat“ gehört. Zu Partheys Aufgaben in Berlin gehört es, seine Doktorarbeit binnen drei Jahren abzuschließen, Ergebnisse regelmäßig zu präsentieren, Vorträge anderer Forscher zu hören, Industrievertreter zu treffen, Projektanträge mitzuschreiben – und eben manchmal nach einem Gastvortrag dem Publikum den Weg zu zeigen, im Unicat-T-Shirt. Der Aufwand, den das Cluster für die Außendarstellung betreibt, nervt ihn zwar manchmal. Aber der Zusammenhalt der Forscher über die Fächergrenzen hinweg wiegt das wieder auf. Das merkt er gerade jetzt in England, wo sich sein soziales Leben auf die Experimentgruppe beschränkt. Immerhin: Mit seinem Berliner Betreuer ist Parthey ständig per Mail und Skype im Kontakt.

Wie wird heute in Deutschland promoviert? Wie schnell geht es voran, und wie gut fühlen sich Doktoranden betreut? Prominente Plagiatsfälle haben die Frage nach „angemessener“ Betreuung von Doktoranden in den Blick gerückt. Eine politische Antwort wird aber schon seit den 1990er Jahren gesucht – durch „strukturierte“ Promotionsprogramme wie Partheys Graduiertenschule. Nachwuchswissenschaftler sollen dabei gemeinsam an einem Thema arbeiten, das von Seminaren flankiert wird. Enger Austausch mit den Betreuern ist erwünscht, eine kurze Promotionszeit, dazu Publikationen und Vorträge. Oft werden nebenher Kurse in Rhetorik oder Drittmittelerwerb angeboten.

Es soll ein Gegenmodell sein zum klassischen Doktoranden. Der, so die Vorstellung, arbeitet meist am Lehrstuhl des Doktorvaters oder hat ein Stipendium und hockt einsam über seiner Dissertation.

Das Problem ist, dass man über Promovierende in Deutschland zu wenig weiß. Keiner kennt ihre Gesamtzahl, erfasst werden nur abgeschlossene Promotionen, 2011 waren es knapp 27 000. Um festzustellen, ob die Betreuung in strukturierten Programmen wirklich besser ist, haben zwei kürzlich erschienene Studien heutige Promotionsbedingungen betrachtet. Die eine, eine Studie des HIS-Instituts für Hochschulforschung in Hannover hat (wie berichtet) gezeigt, dass es keine für alle ideale Form der Betreuung gibt. Die andere, das „Profile-Promovierendenpanel“ des Berliner Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung, stellte fest, dass 40 Prozent der strukturierten Programme so unstrukturiert wie herkömmliche Promotionen sind.

Gute Betreuung, sagen beide, hängt weniger von Regulierung als von persönlichen Beziehungen ab. Eine Kritik an den strukturierten Programmen lautet, dass sie zu verschult sind. Vorbild für Graduiertenschulen (die Teil der Exzellenzinitiative sind) und -kollegs (die es an jedem Fachbereich geben kann) ist das amerikanische Modell. Dort helfen Kurse und Kolloquien Doktoranden, ihr Thema selbst einzugrenzen. „Doktoranden wollen in ihrer Dissertation oft die ganze Welt erklären“, sagt Martina van de Sand, Direktorin der Dahlem Research School, dem Strategiezentrum für die Graduiertenprogramme der Freien Universität (FU). Ein ordentlich dimensioniertes Projekt und kontrollierte Betreuung bedeuten für sie gewonnene „Lebenszeit“.

Allerdings sind in Deutschland die Themen ohnehin oft vorgegeben. Es gibt Graduierte, die an Kollegs nur unter der Bedingung aufgenommen werden, dass sie ihr Exposé anpassen. Zugespitzt könnte man sagen, dass Forschungsziele verstärkt nach dem Geldgeber ausgerichtet werden. Geisteswissenschaftler empfinden diese zentrale Themensetzung oft als Überregulierung. Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch (FU) meint, dass Kollegs das produktive „Chaos wissenschaftlicher Tätigkeit“ einschränken. Eine ganze Generation von Wissenschaftlern arbeite heute an ähnlichen Fragestellungen.

Ähnlich geht es denen, die auf Projektstellen promovieren. „Weil ich meine Arbeit nicht direkt zum Projektthema geschrieben habe, bekam ich so gut wie keine Aufmerksamkeit für meine Dissertation“, sagt eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die an einem Berliner Forschungsprojekt angestellt war. „Das Projekt stand immer im Vordergrund.“ Zwischen Anträgen und Projektvorstellungen blieb ihrer Doktormutter kaum Zeit für individuelle Betreuung. Zwei Jahre lang hat sie nach keinem Kapitel gefragt. „Selbst in unserem Doktorandenkolloquium haben wir fast immer das Projekt besprochen.“

Eine andere wissenschaftliche Mitarbeiterin, die am FU-Exzellenzcluster „Languages of Emotions“ arbeitet und ihre Dissertation im Laufe des Projekts entwickelt hat, begrüßt zwar, dass sie umfassend in die Gruppe eingebunden ist und viel publizieren kann. Doch mit der im Exzellenzwettbewerb gescheiterten Verlängerung des Clusters stand ihre Stelle auf der Kippe. Zuvor hatte ihre Doktorarbeit acht Monate lang brachgelegen, weil sie am Verlängerungsantrag mitschreiben musste. Sie wird nun doch noch gefördert, bis 2014 der Cluster endgültig ausläuft. Die Gremien haben sich geeinigt, die letzten Gelder insbesondere aktuellen Promovierenden zukommen zu lassen, heißt es am Cluster.

Naturwissenschaftler sind dagegen gewöhnt, in Projektgruppen zu arbeiten – allein weil sie auf eine teure Infrastruktur angewiesen sind. Partheys Kollege Heiner Schwarz promoviert „außeruniversitär“ am Berliner Fritz-Haber-Institut. Er experimentiert mit hochspezialisierten Geräten: „Die kann ich schlecht in meinem Wohnzimmer aufbauen.“ Für Schwarz hat sich daher nie die Frage gestellt, ob sein Thema zu stark vorgegeben ist. Als er sich auf die Stelle bewarb, war die Fragestellung bereits definiert – durch den Schwerpunkt seiner Arbeitsgruppe. Mit der, sagt er, hat er es gut getroffen. Aber nicht alle in seiner Abteilung arbeiten wie er in einer Sechsergruppe, sehen ihren Gruppenleiter täglich und helfen sich so gegenseitig.

Die Fälle bestätigen die Ergebnisse der beiden Promovierenden-Studien. Graduiertenprogramme haben die Promotionspraxis in der Naturwissenschaft kaum, in der Geisteswissenschaft dafür stark verändert. Und: Nicht eine standardisierte Beaufsichtigung ist für die Zufriedenheit der Doktoranden ausschlaggebend, sondern oft das persönliche Verhältnis zum Professor. Wie viel Betreuung jemand braucht, schwankt von Fall zu Fall. Überall finden sich lonely riders, die irgendwann mit fertigen Kapiteln vor der Tür stehen, und solche, die stärker motiviert werden müssen.

Das erklärt auch, warum laut HIS-Studie „frei“ Promovierende, die mit einem Stipendium, aber ohne institutionelle Anbindung forschen, an der Spitze der Zufriedenheitsskala liegen. Ein Doktorand der Volkswirtschaftslehre, der von der Friedrich-Naumann-Stiftung gefördert wird, empfindet seine Unabhängigkeit als „Glücksfall“. Thema, Doktorvater und Wohnort konnte er sich aussuchen. Zwar glaubt er, dass er als Externer kaum Chancen auf eine akademische Karriere hat. Für sein Ziel, die zügige Dissertation am eigenen Schreibtisch, sei sein Stipendium aber das Richtige. Einmal im Semester fährt er von Berlin nach Bayern zum Kolloquium, der restliche Kontakt läuft über E-Mail. Zu wenig betreut sei er nicht.

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