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Langweilig. Jugendliche Zuschauer im Düsseldorfer Landtag lassen eine Debatte über die Ausbildungsplatzabgabe an sich vorüberziehen.

© dapd

Psychologie: Tödliche Langeweile

Wem die Zeit oft lang wird, der stirbt eher: Was Psychologen über das Gehirn im Leerlauf herausgefunden haben.

Das dauert. Im Schritttempo schiebt sich die Fahrzeugkolonne über die Autobahn, Sie mittendrin – und die Minuten dehnen sich wie zäher Teig. Nicht viel besser ergeht es Ihnen im Wartezimmer eines Arztes. Zwei Zeitschriften sind bereits durchgeblättert, die akzeptable Wartezeit längst überschritten. Oder, Gott bewahre, Sie lesen gerade noch diesen Absatz zu Ende und wollen schon weiterblättern, weil Sie sich auf der nächsten Seite eine aufregendere Geschichte erhoffen. Halt!

Offenbar traktiert uns in all diesen Fällen die Langeweile. Ein vertrautes, doch auch lästiges Gefühl, das man schnell abschütteln will. Psychologen lieben sie ebenso wenig. Verglichen mit der schier endlosen Literatur über so machtvolle Primäremotionen wie Angst oder Aggression fristet die Langeweile-Forschung ein Schattendasein in der Wissenschaft.

Doch das ist womöglich ein Fehler. „Langeweile ist ein nicht zu vernachlässigender Risikofaktor“, sagt der kanadische Psychologe John Eastwood von der York-Universität in Ontario, der kürzlich eine ausführliche Studie über dieses komplexe Gefühlsgebilde in der Fachzeitschrift „Perspectives on Psychological Science“ publizierte.

Denn Forscher haben Langeweile nicht nur mit Depression, Alkohol- und Drogenmissbrauch in Zusammenhang gebracht, auch bei Chirurgen oder Lastwagenfahrern kann sie zu lebensgefährlichen Fehlern führen. Zudem verkürzt Langeweile womöglich unsere Lebenserwartung. Im Jahr 2010 analysierten Forscher vom University College London Fragebögen von mehr als 7500 Beamten im Alter zwischen 35 bis 55 Jahren aus den späten 80ern. Diejenigen, die sich zu einem hohen Maß an Langeweile bekannten, starben eher als jene, denen die Zeit selten lang wurde. Da erscheint die Redewendung „sich zu Tode langweilen“ in neuem Licht.

Gemeinsam mit kanadischen Kollegen hat Eastwood jetzt mehr als 100 Fachartikel zu dem Thema ausgewertet – und durchaus erhellende Erkenntnisse gewonnen. Während viele Menschen glauben, das Problem der Fadheit seien nur eine öde Umwelt und eintönige Beschäftigungen, liegt ihr Ursprung offenbar in uns selbst. Genauer: Aufmerksamkeit ist der Dreh- und Angelpunkt allen Langeweilens. Wenn wir nicht in der Lage sind, uns geistig zufriedenstellend zu beschäftigen, obwohl wir es gerne würden, entstehe Langeweile – das zumindest kristallisierte sich in Eastwoods Analyse heraus.

Experimente scheinen das zu bestätigen. So untersuchte die Psychologin Cynthia Fisher von der australischen Bond-Universität, wie Menschen auf Gespräche im Hintergrund reagieren, wenn sie eine geistige Aufgabe zu erledigen hatten. Mussten sie ein interessantes Managementproblem lösen, konnten sie die Unterhaltungen einfach ausblenden. Als jedoch dröges Korrekturlesen anstand, das nichtsdestotrotz ihre psychische Präsenz verlangte, fühlten sich die Probanden von dem Geplapper in Versuchung geführt, ohne ihm nachgeben zu können. Prompt erklärten sie sich mehrheitlich für gelangweilt.

Erfordert ist die Fähigkeit, die eigenen Gedanken zu lenken

Manche Beschäftigung nimmt uns freilich so wenig in Anspruch, dass zwar Langeweile droht, sie sich aber leicht bekämpfen lässt. Das erklärt, warum Menschen beim Kochen oder im Auto gerne Radio hören. Und vielleicht auch, warum mancher Student während einer mäßig spannenden Vorlesung einen Kringel nach dem anderen auf seinen Notizblock malt – und dennoch in der Lage bleibt, dem Vortrag leidlich zu folgen.

„Wir wissen recht genau, wie Aufmerksamkeit funktioniert. Aus dieser Sicht lassen sich Situationen, die zur Langeweile führen, in Zukunft genauer erfassen“, sagt der Spezialist für Tagträume, Jonathan Smallwood vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig. Und Psychologen sind bereits dabei. So haben Forscher von der Uni Freiburg und der kanadischen Waterloo-Universität in zwei Studien eine klare Verbindung zwischen der Aufmerksamkeitsdefizitstörung ADHS und der Neigung zur Langeweile gefunden.

Wird Aufmerksamkeit dagegen erfolgreich gesteuert, kommt auch weniger Langeweile auf. An Flughäfen stört es Passagiere beispielsweise kaum, wenn sie eine längere Strecke zur Gepäckabholung gehen – hingegen sehr, wenn sie diese Zeit am Gepäckband ausharren müssen. Aber die Anfälligkeit für Langeweile kann man auch selbst beeinflussen. So werden Menschen, die während der Arbeit an ihre Freizeit denken, ihrer Beschäftigung weit schneller überdrüssig als jene, die sich ihrer Pflichten erinnern.

Das erfordert die Fähigkeit, die eigenen Gedanken bis zu einem gewissen Grade zu lenken. Doch mancher Forscher sieht gerade dieses Talent in Gefahr. So untersucht der Psychologe Timothy Wilson von der Universität von Virginia in einer aktuellen Versuchsreihe, wie sich Studenten verhalten, die 15 Minuten ohne Smartphone, Computer oder sonstige Spielzeuge in einem Raum allein gelassen werden. „Sie hassen es“, sagt er. „Man möchte meinen, sie könnten sich eine Viertelstunde selbst unterhalten. Aber es fällt ihnen wirklich schwer.“

Offensichtlich wissen die Probanden – und alle mit ihnen Fühlenden – nicht, was ihnen durch solche Zwangspausen entgeht. In Phasen, in denen das Gehirn weniger stark durch anstehenden Aufgaben gefordert ist, schweifen die Gedanken ab. Solche Tagträume sind keinesfalls verschenkte Zeit. Wer geistig häufiger wegdriftet, schneidet in Kreativitätstests überdurchschnittlich gut ab. Auch das menschliche Zusammenleben profitiert von den Ruhephasen. Die amerikanische Psychologin Mary Helen Immordino-Yang zeigte Versuchspersonen einen mitgefühlerregenden Dokumentarfilm. Diejenigen, die anschließend häufiger in Gedanken versanken und sich von der realen Umgebung abschotteten, zeigten auffallend mehr Empathie mit den Protagonisten.

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