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Traurige Menschen beobachten ihre Umwelt aufmerksamer.

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Psychologie: Traurige Menschen haben schärfere Sinne

Wie die Gefühlslage das Verhalten beeinflusst: Wer traurig ist, beobachtet seine Umwelt genauer. Selbst der Sinn für semantische Feinheiten in Texten ist größer.

„Ein Junggesellin ist eine Frau, der zum Glück der Mann fehlt.“ Aphorismen leben oft von ihrer Doppeldeutigkeit – gerade dann, wenn diese so versteckt daherkommt, dass sie sich erst beim zweiten Lesen offenbart. Traurige Menschen haben augenscheinlich einen besonders feinen Sinn für Sätze, die sich auf unterschiedliche Art und Weise interpretieren lassen. Das zeigt eine Studie australischer Psychologen im „Journal of Experimental Social Psychology“.

Die Wissenschaftler versetzten knapp 90 Testpersonen in eine positive oder negative Stimmung, indem sie ihnen lustige oder traurige Filmausschnitte vorführten. Danach sollten die Teilnehmer verschiedene Sätze dahingehend beurteilen, ob sie mehrdeutig waren oder nicht. Die fröhlichen Probanden lagen dabei nur in jedem vierten Fall richtig, die niedergedrückten dagegen in jedem dritten Fall. Gleichzeitig brauchten die traurigen Versuchspersonen für ihr Urteil deutlich länger und erinnerten sich später besser an die einzelnen Sätze.

Wie Menschen sprachliche Informationen verarbeiten, scheint also erheblich von der Stimmung abzuhängen. Wenn uns etwas bedrückt, achten wir auf semantische Feinheiten, die wir bei guter Laune möglicherweise überlesen würden. Dieser Effekt ist vermutlich nicht auf die Sprache beschränkt. „Negative Stimmungen haben weit reichende Auswirkungen auf unsere Wahrnehmung“, sagt der Studienleiter Joseph Forgas von der Universität New South Wales in Sydney.

Forgas erforscht seit langem den Einfluss von Gefühlen und Stimmungen auf das menschliche Verhalten und hat bereits eine Reihe von Ergebnissen veröffentlicht: Bei Regenwetter erinnern sich Passanten eher an Details aus ihrer Umgebung als bei Sonnenschein. Traurigen Personen fällt es leichter, Lügner zu entlarven. Niedergedrückte Menschen können besser argumentieren – ihnen gelingt es häufiger, ihre Zuhörer zu überzeugen.

Psychologen interpretieren solche Resultate inzwischen vor dem Hintergrund der Entwicklungsgeschichte. Demnach übernehmen Stimmungen eine (unbewusste) Signalfunktion: Wenn wir uns wohlfühlen, bedeutet das, dass aus der Umgebung keine Gefahr droht. Wir können also unser übliches Verhaltensrepertoire abspulen, ohne darauf achten zu müssen, was um uns herum genau vorgeht.

Negative Stimmungen signalisieren dagegen eventuell ein Problem, auf das wir reagieren müssen. Dazu sind wir gezwungen, genauer hinzusehen (oder hinzuhören). Man könnte auch sagen: Traurigkeit schärft die Sinne.

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