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Entscheidung. Viele Schachspieler träumen davon, alle denkbaren Züge eines Spiels zu überschauen und zu bewerten. Quantencomputern soll das einmal gelingen. Foto: ddp

© ddp

Quantencomputer: Die Kraft der Unordnung

Die Entwicklung von Quantencomputern kommt kaum voran. Ein bisher nur wenig verstandenes Phänomen der Quantenwelt könnte den Rechnern der Zukunft den Weg ebnen.

Man stelle sich einen Schachspieler vor, der alle denkbaren Reaktionen seines Gegners parallel in seinem Kopf durchprobiert. So einer würde ziemlich fix Weltmeister werden. Physiker arbeiten derzeit an einer neuen Generation von Computern, die ähnlich Unvorstellbares vollbringen soll: Quantencomputer. Sie testen alle möglichen Lösungswege im gleichen Moment und filtern den richtigen heraus. Mit diesem Auf-einen-Blick-Erfassen könnten riesige Datenbanken viel schneller durchsucht werden als heute. Aber noch ist das Science-Fiction. Die ersten Quantenrechner lösen nur kleine Problemchen zu Demonstrationszwecken. Und vor allem arbeiten sie nur in der extrem kontrollierten Umgebung einiger Labors.

Wer Quantenobjekte, also Atome, Ionen oder Lichtteilchen (Photonen) für logische Schaltungen eines Computers nutzen will, muss sie von Umwelteinflüssen abschirmen, etwa durch ein Vakuum. Die einzelnen Teilchen müssen in gemeinsamer Ordnung gehalten werden, wie eine Kompanie von Soldaten im Gleichschritt. Bereits die Kollision mit einem Luftteilchen kann die Ordnung zerstören.

Manche Physiker glauben indes, dass Quantencomputer selbst mit einem gehörigen Maß an Unordnung in ihren logischen Schaltkreisen herkömmliche Rechner überflügeln können. Vor drei Jahren behauptete Animesh Datta von der Universität Oxford, dies sei dank eines rätselhaften Quantenphänomens namens Discord möglich. Sollte er recht haben, könnten Quantenrechner schneller in den Alltag gelangen, als das angesichts der schleppenden Fortschritte auf dem Gebiet bislang aussieht. Diese Aussicht hat Physiker veranlasst, sich intensiv mit dem Discord zu befassen (siehe Kasten).

Der Discord ist ganz allgemein ein Maß für Fernwirkungen, die nur in der Quantenwelt existieren. In den bisherigen Quantencomputern nutzt man nur eine bestimmte Art der Fernwirkung, die Verschränkung. Verschränkte Teilchen bilden auf unheimliche Weise eine Einheit: Misst man etwa die Polarisationsrichtung eines Photons, das mit einem zweiten verschränkt ist, wird im selben Moment die Polarisationsrichtung des anderen festgelegt, selbst dann, wenn dieses Lichtjahre entfernt ist.

In einem Quantencomputer ermöglicht die Verschränkung das parallele Probieren vieler Lösungswege, denn in der Quantenwelt herrscht das Sowohl-als-auch-Prinzip: Quantenobjekte vereinen Eigenschaften in sich, die sich ansonsten gegenseitig ausschließen. Elektronen drehen sich gleichzeitig links- und rechtsherum oder Photonen sind gleichzeitig horizontal und vertikal polarisiert. Quantenobjekte repräsentieren daher die beiden logischen Werte „0“ und „1“, mit denen Computer rechnen, gleichzeitig. Ein Transistor dagegen kann nur einen Wert annehmen, je nachdem ob er ein- oder ausgeschaltet ist.

Die Verschränkung mehrerer Teilchen potenziert die Zahl der Möglichkeiten. Zwei verschränkte Teilchen nehmen schon vier Zustände parallel ein. 14 miteinander verschränkte Kalziumionen – der derzeitige Rekord im Verschränken, gehalten von Physikern der Universität Innsbruck – nehmen 16 384 Zustände synchron ein. Dank dieses Prinzips wächst die Rechenzeit für bestimmte Aufgaben nur langsam mit der Größe der Eingabe, also etwa der Zahl der Einträge in einer Datenbank. Experten sprechen daher von einem „exponentiellen Geschwindigkeitsgewinn“.

Der Haken: Die Verschränkung ist eine Mimose. Kleinste Störungen von außen zerstören die ordnungsstiftende Innigkeit zwischen den Partikeln. Das geschieht binnen Sekundenbruchteilen, weshalb selbst die geschützten Quantenrechner in Labors extrem fehleranfällig sind. Die Verschränkung halten viele Physiker jedoch für unverzichtbar und tüfteln an Verfahren, die die Fehler effizient korrigieren.

Datta bezweifelt, dass man auf Biegen und Brechen die Verschränkung erhalten muss. „Auch in einem ungeordneten Teilchensystem, das mit der Umwelt in Verbindung steht, gibt es Quantenkorrelationen“, sagt er. Der Discord – die Verbindung zwischen den Teilchen – bleibt also größer als Null, selbst wenn die Verschränkung verschwindet. Das lasse sich für Computer nutzen.

Andrew White von der Universität Queensland war von der These fasziniert und überprüfte sie. Er baute einen Quantencomputer, der mithilfe von Photonen eine Rechenaufgabe löste. Das Teilchensystem wurde kaum von der Umwelt abgeschirmt und es lag keine Verschränkung vor. „Dennoch löste der Computer das Problem exponentiell schneller als ein klassischer Rechner“, sagt White. Der Discord war größer als Null, wie White durch Messungen feststellte. Also gab es tatsächlich eine irgendwie geartete Fernwirkung zwischen den Quanten, einen unempfindlichen Bruder der Verschränkung.

„Der Discord lässt sich als Triebkraft für Quantenrechner nutzen“, ist Datta überzeugt. Forscher fragen sich allerdings, ob damit der gleiche Geschwindigkeitsgewinn erreicht wird wie mit der Verschränkung. „Der Discord ist eine schwächere Triebkraft als die Verschränkung“, gibt auch Datta zu. Ein discordbasierter Quantencomputer stelle einen Mittelweg dar, zwischen dem was wünschenswert und dem, was machbar ist. Für viele praktische Aufgaben sei ein exponentieller Geschwindigkeitsgewinn möglich, sagt er. Beispielsweise bei der Simulation von magnetischen Materialien, was die Entwicklung neuer Werkstoffe voranbringen könne.

Doch bis es so weit ist, gibt es noch viel zu tun. Derzeit versuchen Physiker herauszufinden, wie der Discord Quantenrechner antreibt. Bryan Eastin vom National Institute of Standards and Technology in Boulder zeigte, dass sich während jeder Rechnung in einem Quantencomputer Discord aufbaut. Dass er eine tragende Rolle spielt, ist damit aber nicht bewiesen, geschweige denn welche.

Es ist dringend nötig, die Mechanismen aufzuklären, die hinter dem Discord stecken. Denn erst dann kann es gelingen, Algorithmen für einen entsprechenden Computer zu programmieren.

Das könnte aber dauern, denn laut Tommaso Calarco von der Universität Ulm fehlt ein entscheidendes Forschungswerkzeug: ein Quantencomputer, der diesen Namen verdient. Die jetzigen Maschinen seien eher Spielzeuge, die sich zu einem praktisch nutzbaren Quantencomputer etwa so verhalten wie eine mechanische Additionsmaschine zu einem PC, sagt er. „Wir verstehen nur für bestimmte Fälle wie die Verschränkung Rechnungen antreibt.“ Man tue sich schwer, Neues auszuprobieren. „Wir haben keinen Rechner, den wir den Ingenieuren geben könnten, um damit kreativ zu spielen“, sagt der Physiker. Darum könne kein allgemeines Verständnis der Verschränkung entstehen. Der von Datta und White beschriebene Discord ist nach Meinung von Calarco eine „noch unverstandene Form der Verschränkung“.

Das passt zu einem Vorschlag brasilianischer Physiker. Demnach wirken verschiedene Teile eines discordbasierten Quantenrechners indirekt aufeinander ein: Jeder von ihnen baut eine Verschränkung mit der Umwelt auf, die somit zu einer Brücke zwischen den Teilen wird.

Die Debatte um den Discord zeigt vor allem eines: Die Wissenslücken sind noch zu groß, als dass in absehbarer Zeit ein praxistauglicher Quantencomputer den Kalkulationen Flügel verleihen könnte.

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