zum Hauptinhalt

Raumfahrt: Star Dreck

Im Weltall sind erstmals zwei große Nachrichtensatelliten kollidiert. Wie gefährlich sind solche Unfälle?

Von Rainer Kayser, dpa

Am Dienstag um 17 Uhr 55 Mitteleuropäischer Zeit krachte es 790 Kilometer über Sibirien. Ein 560 Kilogramm schwerer amerikanischer Kommunikationssatellit und ein 900 Kilogramm schwerer russischer Cosmos-Satellit stießen mit hoher Geschwindigkeit zusammen. Beide wurden zerstört. Die Radaranlagen der US-Weltraumüberwachung zeigten später zwei große Trümmerwolken, die sich im All ausbreiteten.

Was waren das für Satelliten?

Der russische Militärsatellit war 1993 gestartet und schon zwei Jahre später abgeschaltet worden. Seitdem zog er im Weltall seine Kreise. Bei dem amerikanischen Raumflugkörper handelte es sich um einen Mobilfunksatelliten des Unternehmens Iridium Satellite LLC, der seit 1997 die Erde umkreist. Iridium betreibt das weltweit größte Netz für kommerzielle Satelliten mit 66 aktiven Flugkörpern. Dazu kommen sieben inaktive Satelliten, die notfalls dabei helfen, ausgefallene Flugkörper zu überbrücken. Das Unternehmen teilte daher auch mit, das Satellitennetz sei intakt geblieben. Kunden, zu denen etwa die US-Forschungsstation am Südpol zählt, müssten nur mit kurzen Ausfällen rechnen. Eine vorübergehende Reparatur sei für Freitag vorgesehen. Der beschädigte Satellit solle innerhalb von 30 Tagen ersetzt werden.


Wie oft kommt es zu Kollisionen im All?

„Es ist das erste Mal in der Geschichte der Raumfahrt, dass zwei intakte Raumfahrzeuge miteinander kollidieren“, erklärt Nicholas Johnson, der bei der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa für die Überwachung von Trümmern in der Erdumlaufbahn zuständig ist. In den vergangenen 20 Jahren wurden lediglich drei Zusammenstöße mit Trümmerteilen beobachtet. So wurde im Juli 1996 der französische Spionagesatellit Cerise von einem Trümmerstück getroffen und schwer beschädigt – ausgerechnet von einem Teil einer explodierten europäischen Ariane-Oberstufe. Allerdings weiß niemand, wie viele unerklärliche Ausfälle von Satelliten auf das Konto des Weltraumschrotts gehen.

Was schwirrt überhaupt alles um die Erde?

Seit die Sowjetunion im Jahr 1957 mit Sputnik 1 den ersten künstlichen Flugkörper in eine Erdumlaufbahn gebracht hatte, wurden weltweit rund 6000 Satelliten gestartet. Die Zahl der bekannten und aktiven Satelliten in der Erdumlaufbahn liegt bei mehr als 800. Die tatsächliche Zahl liegt allerdings wohl höher, da auch viele Spionagesatelliten unterwegs sind. Hinzu kommt außerdem noch eine unüberschaubare Menge an Weltraummüll. Insgesamt gab es in den vergangenen 50 Jahren fast 200 Explosionen in der Erdumlaufbahn, bei der Hälfte davon handelte es sich um ausgediente Raketenstufen, deren Treibstoff sich selbst entzündet hatte. Hinzu kommen steuerlos umher treibende, tote Satelliten, von Raumfahrern verlorenes Werkzeug, abblätternde Farbe und vieles mehr.

Mehr als 18 000 Trümmerstücke mit Größen von mehr als zehn Zentimetern erfassen die Überwachungsradars der Amerikaner und der Europäer im erdnahen Weltraum bis zu 2000 Kilometern Höhe. Die Kollision der beiden Satelliten hat nun 500 weitere Trümmerteile produziert. Wie groß die Zahl im Bereich zwischen einem und zehn Zentimetern ist, weiß niemand genau – mehr als 600 000 befürchten Experten.


Sind solche Trümmerstücke gefährlich für die Raumfahrt?

Weltraumschrott bleibt lange im All. Bis der gesamte nun vorhandene Müll durch die geringe Reibung der hauchdünnen Restatmosphäre abgestürzt wäre, würden Jahrtausende vergehen, schätzen Experten. Da die Trümmerstücke mit Geschwindigkeiten von bis zu mehreren tausend Stundenkilometern um die Erde rasen, können selbst kleinste Teilchen Raumfahrzeuge beschädigen oder zerstören.

Gerhard Drolshagen von der europäischen Weltraumbehörde Esa hat ein Sonnenpaddel des Weltraumteleskops Hubble untersucht, das 2002 nach acht Jahren im All ausgetauscht und zur Erde zurückgebracht wurde. „Die 0,7 Millimeter dicken Solarzellen waren an 174 Stellen komplett durchschlagen. Die Krater waren bis zu acht Millimeter groß“, sagt der Wissenschaftler.

Immer wieder gerät auch die Internationale Raumstation ISS durch umherschwirrende Trümmerstücke in Gefahr. Deshalb dreht sich die ISS nach dem Ankoppeln einer Raumfähre stets „in den Fahrtwind“, um mit ihren besser gegen Weltraumtrümmer abgeschirmten Strukturen die Fähre vor Einschlägen zu schützen. Und mehrmals im Jahr muss die ISS ihre Flughöhe ändern, weil das Frühwarnsystem auf der Erde die gefährliche Annäherung eines größeren Trümmerstücks meldet. Wie groß die Gefahr durch kleinere, vom irdischen Radar nicht erfasste Trümmer für die ISS ist, ist unklar. Eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 50 Prozent für einen Einschlag mit Druckverlust innerhalb der nächsten zehn Jahre prognostizieren einige Experten – nicht sehr beruhigend für die Raumfahrer.

Da die ISS die Erde in einer Höhe von 350 Kilometern umkreist, also deutlich unterhalb der jetzt durch die Satelliten- Kollision neu entstandene Trümmerwolke, besteht der Nasa zufolge zunächst keine unmittelbare Gefahr. Doch die Wolke breitet sich mit der Zeit aus, die Stücke nähern sich durch die Reibung an der dünnen Restatmosphäre langsam der Erde. Dadurch könnte es langfristig auch zu einer Gefährdung der ISS durch Trümmer des Zusammenstoßes kommen. Zudem stellen die Trümmer auch eine Gefahr für andere Satelliten in höheren Umlaufbahnen dar. „Es gibt viele weitere Iridium-Satelliten und jede Menge Wettersatelliten in 800 bis 850 Kilometern Höhe“, betont Johnson. Sie alle seien nun einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt.

Können uns Trümmer auf den Kopf fallen?

Kleinere Trümmerteile verglühen beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Doch Teile größerer Satelliten können die Erdoberfläche erreichen. So stürzte 1978 ein sowjetischer Spionagesatellit ab – und es regnete radioaktive Trümmer über Nordkanada. Mit 6,5 Millionen Dollar Schadenersatz für die nötigen Aufräumarbeiten kam die Sowjetunion damals noch glimpflich davon.

1979 stürzten Teile des US-Raumlabors Skylab über Australien ab. Damals sollten die Überreste der Raumstation eigentlich im Südatlantik landen. Im Februar 1991 fielen Teile der sowjetischen Raumstation Saljut 7 über Argentinien vom Himmel. Fünf Jahre später ging eine fehlgeleitete russische Marssonde in den südamerikanischen Anden nieder. Bislang ist noch kein Mensch durch herabstürzenden Weltraumschrott zu Schaden gekommen. Damit das auch so bleibt, bemühen sich die Weltraumorganisationen heute, Satelliten vor Ende ihrer Betriebsdauer kontrolliert zum gefahrlosen Absturz über unbewohnten Gegenden zu bringen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false