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Raumfahrt: Überraschender Nachbar

Die Apolloflüge lieferten fundamentale Erkenntnisse über den Mond – und über das Sonnensystem.

Von Rainer Kayser, dpa

Im Vergleich zu allen anderen Planeten des Sonnensystems besitzt die Erde einen ungewöhnlich großen Mond. Vor 40 Jahren war die Entstehung dieses seltsamen Paares den Wissenschaftlern noch ein Rätsel. Erst die von den Apollo-Astronauten zur Erde gebrachten Gesteinsproben lieferten den Astronomen einen Einblick in die Entstehungsgeschichte des Erdtrabanten – und damit zugleich auch in die Frühgeschichte des Sonnensystems.

Insgesamt 382 Kilogramm Mondgestein brachten die sechs erfolgreichen Mondlandungen der Amerikaner zur Erde, drei unbemannte sowjetische Sonden lieferten im Vergleich nur 300 Gramm. Die aus ganz unterschiedlichen Regionen stammenden Bodenproben sind ein wissenschaftlicher Schatz, der bis heute immer wieder neuen Analysen unterzogen wird. In 97 000 katalogisierte Proben unterteilt, lagert das Mondgestein unter sterilen Bedingungen in einem extra dafür errichteten Gebäude des Johnson Space Centers der Nasa in Houston. Noch sind rund 80 Prozent des Materials unberührt. Pro Jahr verpacken und verschicken Nasa-Mitarbeiter rund eintausend winzige Proben von dem wertvollen Material an Universitäten und Institute in aller Welt.

Die chemische Zusammensetzung des Mondgesteins zeigte, dass beide Standardthesen der Vor-Apollo-Zeit zur Entstehung des Mondes falsch waren. Er war weder völlig unabhängig von der Erde entstanden noch hatte er sich in der Entstehungsphase einfach von ihr abgespalten. Stattdessen muss es vor 4,5 Milliarden Jahren zu einer gewaltigen kosmischen Katastrophe gekommen sein: Die junge Erde stieß mit einem weiteren, etwa marsgroßen Planeten zusammen. Teile der Erde wurden ins All hinausgeschleudert, vermischten sich mit den Trümmern des kleineren Himmelskörpers und formten schließlich den Mond.

Eine weitere Überraschung für die Forscher war das Alter der großen Mondkrater: Nahezu alle sind vor 3,8 bis 4 Milliarden Jahren entstanden. Vor den ApolloFlügen waren die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass das Sonnensystem in seiner Frühzeit von einer Vielzahl kosmischer Kleinkörper erfüllt war, die auf die Planeten und Monde herabstürzten. Die Zahl der Einschläge hätte demnach ihren Höhepunkt unmittelbar nach der Entstehung der Planeten vor 4,5 Milliarden Jahren haben und dann kontinuierlich abnehmen sollen. Stattdessen zeigten die Apollo-Gesteinsproben, dass es eine halbe Milliarde Jahre später ein heftiges Bombardement aus dem All gegeben hat.

Heute glauben die Astronomen, dass sich damals die Umlaufbahnen der äußeren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun dramatisch veränderten. Dadurch wurden viele kleine Himmelskörper, die zuvor ungestört in den Außenbezirken des Sonnensystems ihre Bahnen gezogen hatten, nach innen gelenkt – und ein viele Millionen Jahre währendes Bombardement der inneren Planeten begann.

„Nach den Apollo-Missionen mussten wir unsere Vorstellungen über die Entstehung des Sonnensystems komplett überarbeiten“, erinnert sich Paul Spudis vom Lunar and Planetary Institute in Houston. Hatten die Astronomen bis dahin geglaubt, die Planeten seien in einem geordnet abgelaufenen Prozess entstanden, so zeigte sich jetzt, dass das junge Sonnensystem eine chaotische Umgebung war, in der es immer wieder zu Katastrophen kam.

Das größte und zugleich älteste Einschlagbecken auf dem Mond ist das Aitken-Bassin in der Nähe des lunaren Südpols. Es hat einen Durchmesser von 2600 Kilometern und ist damit zugleich der größte Einschlagkrater im ganzen Sonnensystem. Bislang wissen die Mondforscher nur durch den Vergleich der Abfolge von Lavaflüssen, dass das Aitken-Bassin älter ist als alle anderen Einschlagbecken – aber wie alt es genau ist, wissen sie nicht, dazu bräuchten die Wissenschaftler Gesteinsproben. Solche Proben aus dem Aitken-Bassin zur Erde zu holen, ist jedoch nicht ganz einfach – denn das Einschlagbecken liegt auf der erdabgewandten Seite des Mondes. Von dort aus gäbe es also keinen direkten Funkkontakt zur Erde.

Wann die Forscher Proben von der Mondrückseite untersuchen können, steht noch in den Sternen. Zwar plant die Nasa offiziell für das Ende des nächsten Jahrzehnts wieder bemannte Missionen zu unserem Nachbarn im All, doch die Finanzierung dieses anspruchsvollen Vorhabens ist alles andere als gesichert. Den Mondforschern bleibt vorerst also nur die Untersuchung des vorhandenen Materials mit stetig verbesserten Methoden.

So zeigen jüngste Untersuchungen von Forschern aus der Schweiz, dass der Mond 20 bis 30 Millionen Jahre später entstanden ist als aus älteren Analysen errechnet. Und ein australischer Wissenschaftler fand heraus, dass die letzten Magma-Ozeane auf der Mondoberfläche vor genau 4,417 Milliarden Jahre erkalteten. Neue Messmethoden erlauben es, immer kleinere Mengen Mondgestein immer genauer zu untersuchen – auch künftig dürfte es dabei immer wieder Überraschungen geben.

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