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Um einen Baum herum stehen Wahlplakate, ein Mann, der einen Rollkoffer hinter sich herzieht, geht daran vorbei.

© Christian Bruna/dpa

Rechtspopulismus: Wie sich die Allianzen verschieben

Am Wissenschaftskolleg analysiert der amerikanische Soziologe Rogers Brubaker den europäischen Populismus - und stellt auch seine eigenen Forschungsthemen infrage. Ein Colloquiumsbesuch.

Schön klingen sie wirklich nicht, die Ismus-Wörter. Rassismus, Nationalismus, Populismus. Irgendwie scheppernd und zu starr für die fluide Wirklichkeit, die sie beschreiben sollen. Rogers Brubaker hat dazu ein hübsches Bonmot parat: „Ismen sind ein fauler Ersatz für präzises Denken.“ Der selbstironische Kommentar nimmt die Spannung aus dem Raum, in dem sich rund 60 Leute eingefunden haben. Keine iPhones auf dem Tisch, nur ein paar Notizblätter, seinen Kopf hat man ja ohnehin immer dabei. Und hier, am Wissenschaftskolleg (WiKo) im Grunewald, ist der präzise nachdenkende Kopf alles, was es braucht.

Dienstags ist immer Colloquium. Schaulaufen und -denken vor den Kolleginnen und Kollegen aller Fachrichtungen. Heute also spricht Rogers Brubaker. Soziologe an der University of California, Los Angeles (UCLA); seit Herbst einer von 46 internationalen Fellows, die für ein Jahr gemeinsam am WiKo arbeiten. Das Thema – der Schwenk vom Nationalismus zum Kulturalismus im europäischen Populismus – ist, wie gesagt, voller Ismen. Sie sind eine Art Handwerkszeug, mit dem Brubaker die tektonischen Verschiebungen westlicher Gesellschaften vermisst. Er arbeitet an den Kategorien, mit denen wir die Welt sortieren: Staatsangehörigkeit, Kultur, Geschlecht, Ethnizität, Religion, Sprache.

Ein neuer Säkularismus, der sich gegen Muslime wendet

Interessant wird es an den Verfugungen der Kategorien. Etwa in der Lücke zwischen einem „wir“, das europäische Populisten derzeit emphatisch besetzen, und den „Anderen, Fremden“, die von der eigenen Nation ausgeschlossen werden sollen. Steigbügelhalter hierfür sei ein neu konzipierter Säkularismus, sagt Brubaker. Historisch gesehen begreife sich der säkulare Staat als Opposition zur kirchlichen Obrigkeit. Heute aber wende sich der Säkularismus strategisch gegen muslimische Einwanderer und die als rückständig imaginierte islamische Welt. Insbesondere in Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz werde ein Kulturkampf gegen muslimische Symbole ausgetragen, etwa das Kopftuch oder Speisegebote. Neu sei, dass dieser vermeintlich neutral operierende Säkularismus sich als christlich lanciere – ohne eigentlich religiös zu sein. Brubaker spricht daher von „Christianismus“.

Die Rechte zeigt sich aus strategischen Gründen philosemitisch

„Zentraleuropa und Nordamerika sind die säkularisiertesten Regionen der Welt“, sagt Brubaker, beharrten aber in zunehmend schärferem Ton auf den jüdisch-christlichen Wurzeln. „Dieser Christianismus hat nichts mit religiösen Praktiken zu tun, diese sind ja längst erodiert.“ Man habe das im österreichischen Wahlkampf beobachten können. Auf den Plakaten des rechtskonservativen Kandidaten Norbert Hofer stand der Satz „So wahr mir Gott helfe“. Nur sei das kein Glaubensbekenntnis gewesen, sondern Hofer habe damit ein kulturelles Terrain markiert.

Ein Porträtfoto von Rogers Brubaker.
Rogers Brubaker ist Soziologe an der University of California, Los Angeles (UCLA) und seit Herbst 2017 für ein Jahr Fellow am Berliner Wissenschaftskolleg.

© Promo

Man sehe hier, sagt Brubaker, wie sich Allianzen verschieben. Um alles Muslimische von sich zu weisen, geriere sich der pseudo-christliche Säkularismus als Verfechter liberaler Werte, berufe sich auf Frauenrechte oder, wie in den Niederlanden, auf Lesben- und Schwulenrechte. Die Rechte formiere sich neu: Ihren Antisemitismus habe sie abgeschüttelt, zeige sich aus strategischen Gründen betont „philosemitisch“: „Man vereinnahmt Jüdinnen und Juden, um sie sodann als Opfer des bösen Islam zu stilisieren.“

Antimuslimisch - ein Kleber, der Europas Populisten zusammenhält

Es ist ein eisiger Wintertag, die Colloquiumsrunde diskutiert sich warm. Müsse man, um die neuen Populisten zu verstehen, nicht stärker auf sozioökonomische Klassenmerkmale schauen statt auf Religion? Was ist mit dem erstarkenden Antisäkularismus in Polen und Ungarn? Müsse man die Umwälzungen der Gegenwart nicht vom Zusammenbruch des Sozialismus her denken? Und was sei mit Trump? Brubaker pariert und überdenkt. „Es stimmt, dass die Populisten in Europa sehr unterschiedlich agieren. Aber die antimuslimische Haltung ist der Kleber, der sie zusammenhält. Sie verschieben den politischen Diskurs auf eine kulturelle Ebene und ermöglichen so Bündnisse über Nationalstaaten hinweg.“

Brubaker untersucht die Fälle von Caitlyn Jenner und Rachel Dolezal

Vorne, neben seinem Pult, liegt Brubakers jüngstes Buch: „Trans. Gender and Race in an Age of Unsettled Identities“ (Princeton University Press). Es widmet sich anhand zweier prominenter Fälle den Entgrenzungen der Kategorien Geschlecht und ethnischer Herkunft in jüngster Zeit: Caitlyn Jenner und Rachel Dolezal. Jenner – ehemals mit Vornamen Bruce – gab 2015 bekannt, eine Transfrau zu sein. Das Coming out wurde mit viel Medienecho bedacht, heute lebt der ehemalige Zehnkämpfer als Frau. Nur wenige Wochen später: Die Bürgerrechtsaktivistin Dolezal, die sich als Afroamerikanerin ausgegeben hatte, wurde von ihren Eltern als weiß geoutet; es gebe in der Familie keine schwarzen Vorfahren. Die Debatte war entflammt. Wenn Jenner ihr Geschlecht wechseln und „transgender“ sein könne – müsse dann Dolezal nicht ebenfalls Akteurin ihrer Identität sein und sich als „transracial“ beschreiben dürfen?

Über die eigene Identität bestimmen - was geht und was nicht geht

Brubaker begreift die Debatte als Aushandlungsprozess, wie flexibel die Schablonen sind, in denen die westlich-liberale Gesellschaft heute denkt. Was Geschlechtsidentitäten angeht, habe sich der Bereich des Möglichen erheblich erweitert. Dass es nicht nur heterosexuelle Männer und Frauen gibt, sondern vieles dazwischen, stößt zunehmend auf Akzeptanz. Hier greife eine „Logik der Authentizität“: Jenner firmiere als Person, die zu ihrem wahren Selbst gefunden habe und dieses mit der körperlichen Umwandlung zur Frau auch legitimieren dürfe. Anders bei Dolezal: Ihr Schwarzsein galt als Betrug. Bei Jenner triumphierte die selbstbestimmte Identitätspolitik über die Biologie („doing trumps being“; das Tun übertrumpft das Sein), bei Dolezal sei es andersherum, die Abstammung fixiere nun einmal unveränderlich ihre Identität („being trumps doing“).

Dass mit unterschiedlichem Maß gemessen werde, erklärt Brubaker durch eine unterschiedliche Tiefenschärfe der Kategorien, um die es geht. Das Geschlecht, ob also X- oder Y-Chromosom, sei Zufall im Zeugungsprozess. Ethnische Herkunft aber sei als historische Nachkommenschaft konzipiert, die über Generationen hinweg reiche und folglich die Entscheidungsfähigkeit des Individuums, wer es sein wolle, übersteige. Man könnte auch sagen: Unser Körper gehört uns, aber die Geschichte unserer Hautfarbe nicht. Jedenfalls noch nicht. Eine Gesellschaft sei auf „konzeptuelle und linguistische Ressourcen“ angewiesen, um sich zu verständigen, welche Identitäten möglich sind, schreibt Brubaker.

Der Diskurs über ethnische Identitäten ist buchstäblich schwarz-weiß

Das Allerlei an Geschlechter- und Begehrensmöglichkeiten habe inzwischen vielfältige Ausdrucksformen und ein eigenes Vokabular gefunden (LGBTIQ*). Der Diskurs über ethnische Identitäten aber sei buchstäblich schwarz-weiß, habe keine Begriffe für die Bandbreite dessen, wofür es nicht einmal eine deutsche Vokabel gibt: „transracial“ zu sein (oder sein zu wollen).

Brubaker: Unsere Forschung spiegelt zu oft die Welt unserer Unis

Brubaker klemmt sein Buch unter den Arm. Mittagessen, Stimmengewirr. Der Name „Donald Trump“ ist wie ein schwarzer Magnet, der alles eben Diskutierte ansaugt und ineinander verkeilt. Globaler Populismus hier, gesellschaftliche Neuformierungen unserer Identitätskategorien dort. Wo geht es denn jetzt hin? „Ich bin Soziologe. Wir sind schlecht im Prognostizieren.“ Aber Brubaker findet, die Sozialwissenschaften müssten kritisch mit sich ins Gericht gehen. „Wir wissen mehr über linke Bewegungen als über die sozialen Grundlagen des Rechtskonservatismus, mehr über Identitätspolitik als über die alltäglichen Schwierigkeiten ärmerer Leute. Unsere Forschung spiegelt zu oft die Welt, in der wir an den Universitäten leben.“

Suche nach Wurzeln des transatlantischen und paneuropäischen Populismus

Er setzt damit ein Fragezeichen auch hinter seine eigene Arbeit. Sitzt die Elite in einer akademischen Echokammer, wie derzeit manche sagen? Brubaker ist da selbst unsicher. Es sei eine Zeit zum Innehalten und neuen Überlegen. Deswegen müsse er jetzt auch los, die Arbeit warte. Ein Bücherstapel. „Wir Wissenschaftler sind so beschäftigt, dauernd irgendwelche Texte zu schreiben, dass wir nie zum Lesen kommen. Mein Plan für die Zeit am Wissenschaftskolleg ist tatsächlich: mehr lesen. Und zwar über die Wurzeln dieses transatlantischen und paneuropäischen Moments des Populismus.“

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