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Windräder drehen sich im Abendlicht.

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Recycling alter Windkraftanlagen: Wie die Mühlen zermahlen werden

Ausgediente Windräder samt ihrer Fundamente lassen sich recyceln. Doch vor allem bei den Materialien der Rotorblätter sind Experten noch skeptisch.

Es ist noch nicht lange her, da wurden sie bestaunt, bekämpft und bejubelt. Inzwischen gehören Windräder vielerorts zum Landschaftsbild. Sie liefern gut ein Viertel des Stroms und sind so eine wesentliche Säule der Energiewende hierzulande. Doch immer mehr Anlagen sind am Ende ihrer ursprünglich geplanten Laufzeit angekommen und werden auf absehbare Zeit abgerissen. Dabei entsteht viel Abfall, der recycelt werden muss. Insbesondere die Rotorblätter erweisen sich als widerspenstig.

Rund 30.000 Windkraftanlagen stehen aktuell in Deutschland. Wie viele davon wann genau abgebaut werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Grundsätzlich erhielten Anlagen, die in den frühen 2000er-Jahren errichtet wurden, eine garantierte Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) über 20 Jahre. Diese Frist endet nun für rund 6000 Windräder.

Warum es schwierig ist, sie ohne finanzielle Unterstützung weiterzubetreiben, erklärt Frederick Keil, Sprecher des Bundesverbands Windenergie: „Theoretisch kann eine Anlage über Jahrzehnte weiterlaufen, doch sobald es einen größeren Schaden gibt, beispielsweise am Rotor, lohnt sich die Reparatur nicht mehr.“

Zwar erwirtschaften sie weiter Geld, doch auch Wartung und Service müssen bezahlt werden. Ein altes Windrad erinnert also an ein altes Auto, bei dem man im Falle eines Motorschadens auch überlegt, ob sich die Reparatur lohnt.

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Anders als beim Auto ist die Entsorgung eines Windrads je nach Bauweise und Standort erheblich teurer. Diese Summen müssen die Windmüller frühzeitig hinterlegen, damit die Anlagen in jedem Fall verschwinden, sollten sie unwirtschaftlich sein. Das könnte nun doch etwas länger dauern, denn in der EEG-Novelle vom Dezember wurde festgelegt, dass Ü-20-Windräder bis zu einem Cent pro Kilowattstunde zusätzlich zum Marktpreis erhalten, berichtet Keil. Wie viele Anlagen nun weitermachen, lasse sich noch nicht abschätzen, erklärt er.

Am besten ist ein geordneter Rückbau

Das Betriebsende sollte ohnehin nur ein vorübergehendes sein, wünscht sich der Windlobby-Verband und setzt auf „Repowering“, also die alte Anlage durch eine größere zu ersetzen. Statt ein oder zwei Megawatt, die die alten liefern, bringen die neuen vier und mehr Megawatt. Mehr Leistung auf gleichbleibender Fläche: „Das ist der Schlüssel zu Energiewende“, sagt Keil.

„Die Standorte sind in der Bevölkerung akzeptiert, Zufahrtswege und Anschlüsse ans Leitungsnetz sind ebenfalls vorhanden.“ So sinnvoll Repowering für Betreiber und Stromkunden ist, das Entsorgungsproblem besteht auch dabei: Bevor sich hier ein neues Windrad dreht, muss das alte weg.

Drei Mitarbeiter der Firma Vestas stehen am Dienstag (15.02.2005) nahe Pomellen in einem Windradmast, der gerade montiert wird.
Teilweise ausgedient haben Windräder, die in den vergangenen 20 Jahren montiert wurden.

© Patrick Pleul/lmv/lbn

Am besten ist ein geordneter Rückbau, bei dem die Teile in umgekehrter Reihenfolge zum Aufbau abgenommen werden. Sprengungen sollten nach Ansicht von Fachleuten vermieden werden, damit es nicht zu Erschütterungen kommt. Auch die Fundamente werden entfernt, wenn sie nicht für die folgende Windkraftanlage genutzt werden. Teilweise sind zudem tiefreichende Betonpfähle vorhanden. Sie bleiben meist im Untergrund, weil beim Abriss das Bodengefüge zu sehr gestört würde.

Die größte Masse eines Windrads machen Stahl und Beton mit gut 60 beziehungsweise 30 Prozent aus. Beides findet sich vor allem im Fundament sowie im Turm, auf dem die Gondel mit ihren Rotorblättern sitzt. Der Stahl wird als Sekundärrohstoff verkauft und kann nach dem Einschmelzen wieder genutzt werden, auch für Windkraftanlagen.

Besonders reiner Beton zum Recyceln

Der Beton wird zerkleinert und beispielsweise für den Straßenbau verwendet, sagt Markus Brunner vom Informationszentrum Beton. „Der alte Beton aus Windkraftanlagen ist nicht mit anderen Materialien verunreinigt und daher hervorragend für Recyclingbeton geeignet.“ Diesem werden die Bruchstücke beigemischt und so natürliche Kieslagerstätten geschont.

[Windkraftanlagen bleiben auch klimapolitisch umstritten: Mit Gegenwind aus den Bundesländern ist weiter zu rechnen]

„Das Interesse an solchen ,grünen’ Baustoffen wird größer“, sagt Brunner. Doch oft sei es wirtschaftlicher, mit dem Betonabbruch primäre Gesteinskörnung in nahe gelegenen Straßenbaustellen zu ersetzen als ihn in entfernte Betonwerke zu fahren, wo der Erlös kaum höher ist. Dass es beim Abbruch Tausender Windkraftanlagen schwierig werde, den Betonbruch loszuwerden, glaubt er nicht. „Dafür ist der Bedarf an diesem Rohstoff zu groß.“

Die üblichen Elektromaterialien, wie Kupfer, diverse Kunststoffe und Schmierstoffe, können mit bekannten Verfahren recycelt oder abgetrennt und entsorgt werden. Hierbei müssen die Arbeiter teils hohe Sicherheitsvorkehrungen einhalten, damit keine Schadstoffe in die Umwelt gelangen. Aber dies gilt auch für Wartungen und ist nach Expertenansicht kein ernsthaftes Problem.

Verbundstoffe, Kleber und Balsaholz in den Rotorblättern

Schwierig ist es indes mit den Rotorblättern. Sie bestehen maßgeblich aus glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) und kohlefaserverstärkten Materialien (CFK). Beides sind Verbundstoffe aus den genannten Fasern und einem Kleber wie Epoxidharz, hinzu kommen Stützelemente aus Balsaholz. Die Flügel werden vor Ort zersägt, um sie besser abtransportieren zu können. Dabei müssen die Arbeiter darauf achten, dass Stäube und Fasern nicht freigesetzt werden, etwa mittels Wassernebel.

Gelegentlich kursieren Bilder, auf denen Windradflügel auf einer Deponie vergraben werden. Die Botschaft: Die Reste der Anlagen werden einfach verbuddelt. Das ist in Deutschland spätestens seit 2005 verboten, wie der Bundesverband Windenergie klarstellt. Die zerkleinerten GFK-Rotorblätter werden zum Bremer Unternehmen Neocomp gebracht und dort zu rund fünf Zentimeter kleinen Stücken geschreddert.

Metallteile, wie Blitzableiter des Blattes, werden aussortiert. Die Fragmente werden verbrannt, um Wärme zu gewinnen. Die entstehende Glasasche kann als Rohsandersatz in der Zementherstellung genutzt werden. Durch 1000 Tonnen Alt-GFK können auf diese Weise bis zu rund 450 Tonnen Kohle, 200 Tonnen Kreide und 200 Tonnen Sand eingespart werden, argumentiert der Windkraftverband.

Betonbelag einer Autobahn, der in extremer Sommerhitze aufgebrochen ist.
Der recycelte Beton aus den Fundamenten der Windkraftanlagen kann im Straßenbau eingesetzt werden.

© Walter Dennstedt/mittelbayerische.de/dpa

In einer 2019 veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes warnen die Autoren, dass die Kapazitäten nicht ausreichen würden, wenn demnächst weit mehr Windräder demontiert würden. Der Bundesverband Windenergie widerspricht und verweist auch auf die neuen Einspeisesätze, die den Weiterbetrieb ermöglichen. Dadurch werde die Zahl der zurückgebauten Anlagen wahrscheinlich eher niedriger ausfallen als vom UBA angenommen.

„Die Auffassung, dass es beim Recycling der Rotorblätter zu Engpässen kommen könnte, da es bisher nur eine Anlage in Deutschland gibt, teilen wir nicht“, erklärt BWE-Geschäftsführer Wolfram Axthelm: „Die Anlage hat ausreichend hohe, genehmigte Kapazitäten, die aktuell noch ungenutzt sind. Zudem zeigen uns die Gespräche mit den Entsorgungsunternehmen, dass, sobald mehr Anlagen zurückgebaut werden müssen, es Unternehmen geben wird, die sich diesem Markt aktiv zuwenden.“

Auch kohlefaserverstärkte Materialien (CFK) können recycelt werden. Bei der Firma CarboNXT im norddeutschen Wischhafen werden sie nach dem Schreddern mittels Pyrolyse aufbereitet: Bei hoher Temperatur und unter Sauerstoffabschluss entweicht das Epoxidharz aus dem Verbund und reine Kohlenstofffasern bleiben übrig.

Skepsis gegenüber den recycelten Fasern

Der Bedarf nach solchen Hightechfasern ist groß, man denke nur an Flugzeug- oder Automobilbau. Doch in der Industrie herrscht Skepsis, ob die recycelten Fasern genauso gut sind wie frische. „Das ist richtig, diese Erfahrung machen wir seit Langem“, bestätigt CarboNXT. Es gebe jedoch ein Umdenken, seitdem Themen wie Nachhaltigkeit und Umweltschutz in den Vordergrund rücken.

„Wir sehen daher eine größere Bereitschaft gegenüber dem Einsatz von recycelten Materialien“, heißt es. Das Unternehmen, das inzwischen zu Mitsubishi Chemical Advanced Materials gehört, hofft auf weitere Impulse aus der Politik. „Hier könnte zum Beispiel die Verpflichtung zum Einsatz von Recyclaten zu einem gewissen Anteil unterstützend wirken, so wie es in anderen Ländern bereits der Fall ist.“

Die Rotorblätter enthalten zudem bis zu 15 Kubikmeter Balsaholz. Ein Spitzenwerkstoff, der sehr leicht ist und enorm druckfest in Faserrichtung. Daraus werden Stützelemente für die Windradflügel gefertigt, die zwischen den Glasfasermatten liegen.

„Aufgrund der geringen Dichte fällt das Balsaholz buchstäblich kaum ins Gewicht, der Volumenanteil ist aber beträchtlich“, sagt Peter Meinlschmidt vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung in Braunschweig. Weil das Holz mit dem GFK verklebt ist und sich schwer davon trennen lässt, wird es bisher einfach mit verbrannt.

Denkbar sind WPC-Dielen für den Terrassenbau

„Der Brennwert von Balsa ist gering, das bringt eigentlich nichts“, sagt der Forscher. Er und sein Team haben ein Verfahren entwickelt, um das Leichtholz herauszulösen und weiter zu nutzen. Sie haben Flügelteile in einen Schredder gesteckt, aus dem handtellergroße Balsastücke und etwas größere GFK-Bruchstücke flogen. Im Wasserbad lassen sich diese leicht trennen: Holz schwimmt, GFK sinkt ab. „95 Prozent des Balsaholzes haben wir so abgetrennt“, berichtet Meinlschmidt von aktuellen Tests.

Aus diesem Rohstoff lassen sich verschiedene Produkte herstellen, sagt der Forscher. Da wären einerseits Dämmstoffmatten, die ebenfalls am Braunschweiger Institut entwickelt wurden. Weiterhin kann das Holz feingemahlen und dann aufgeschäumt werden, um klebstofffreie Verpackungsmaterialien herzustellen. Oder man fertigt WPC-Dielen daraus, eine Mischung aus Holz und Polymer, die leicht und witterungsbeständig ist - etwa für Terrassen. Tests mit Industriepartnern seien vielversprechend, sagt Meinlschmidt. Er hofft, dass damit künftig mehr Balsaholz aus alten Rotorblättern genutzt werden kann.

Damit Windkraftanlagen nicht nur klima-, sondern wirklich umweltfreundlich sind, sollten sie vollständig recycelbar sein. Dieses Ziel verfolgt auch die Industrie. Der Hersteller Vestas hat Anfang 2020 angekündigt , bis zum Jahr 2040 „abfallfreie“ Windräder herzustellen. Der Verband Wind Europe unterstützt das Vorhaben . Bisher würden 85 bis 90 Prozent recycelt, das Ziel müssten aber 100 Prozent sein, auch um die EU-Bestrebungen einer echten Kreislaufwirtschaft zu erfüllen.

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