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Beschädigt. Von den mindestens 107 im Nationalsozialismus vertriebenen Mitarbeitern der Technischen Hochschule Berlin konnten nur sechs ihre Arbeit an der neu gegründeten Technischen Universität wieder aufnehmen.

© Universitätsarchiv der TU Berlin

Rehabilitierung von NS-Opfern an der TU Berlin: Schweigen als Strategie

Bei der Rehabilitierung von in der NS-Zeit vertriebenen Wissenschaftlern klafften an der TU Berlin nach 1945 Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander.

Da ein Wiedergutmachungsprozeß offensichtlich eine sich langziehende und schwierige Angelegenheit ist, und da der mir auferlegte Schaden heute durch nichts wieder gut gemacht werden kann, und ich als Siebziger keine lange Lebenszeit mehr habe, verzichte ich auf die weitere Verfolgung einer „Wiedergutmachung“. Ergebenst, Adolf Geck

Das vorangestellte Zitat stammt aus einem Brief aus dem Jahre 1969, mit dem ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der ehemaligen Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg seinen Antrag auf Zuerkennung des Professorentitels zurückzog.

Adolf Gecks Brief verweist zum einen auf die Problematik des Wiedergutmachungsbegriffs. Zum anderen illustriert er aber auch den zähen Verlauf solcher Verfahren. Den Opfern, die „aus Gründen der Rasse, Religion, Weltanschauung oder politischen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus durch nationalsozialistische Maßnahmen an Gesundheit, Freiheit, Vermögen oder wirtschaftlichem Fortkommen Schaden erlitten haben“, wie es im Berliner Gesetz über die Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus von 1951 hieß, wurde Beweislast aufgebürdet.

Letzteres hatte der damalige Kurator der TU Berlin dem Antragsteller unmissverständlich klargemacht. Der Duktus des Schreibens, in dem der Vertreter der Universität von einer Schädigung spricht, die „angeblich an der Technischen Hochschule Berlin entstanden sein soll“ und die Aufforderung zur Ausfüllung mehrerer Fragebogen, da „Ihre bisherigen Ausführungen zu einer Entscheidung nicht ausreichen“, haben offenbar wenig ermutigend gewirkt. Jedenfalls verzichtete Adolph Geck – wie viele andere prinzipiell berechtigte Kollegen auch – auf eine Durchsetzung seines Anspruchs.

Dokumentiert sind 74 Wiedergutmachungsverfahren

Es ging in seinem Fall weder um eine Rehabilitierung und Rückkehr in die früher ausgeübte Tätigkeit noch um materielle Entschädigung, wie in den meisten der 74 Wiedergutmachungsverfahren, die im Universitätsarchiv der TU Berlin dokumentiert sind. Vielmehr ging es hier um eine ideelle Wiedergutmachung für einen Menschen, dessen wissenschaftliche Karriere einen Knick erfahren hatte.

Die juristische Wiedergutmachung zielte auf die finanzielle Entschädigung. Grundlage war das im Mai 1951 verkündete Bundesgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung für die Angehörigen des öffentlichen Dienstes (BWGöD). Diese Regelungen waren für viele Emigranten und ihre Familien bitter nötig. Ihre Versorgung – und erst recht die ihrer Witwen und Kinder – war häufig kaum oder gar nicht gesichert.

Rehabilitierung ist eine deutlich weitergehende Form. Warum gelang es so selten, Hochschullehrer, die nach 1933 aus ihren Stellen gedrängt wurden, wieder zurückzugewinnen? Offenbar wurde solche „Wiedergutmachung“ auf beiden Seiten als hoch ambivalent erlebt – von den Betroffenen selbst, aber auch vom Hochschulpersonal, das zu weiten Teilen identisch war mit den während der Zeit des Nationalsozialismus dort Lehrenden. Akte der Wiedergutmachung störten die Strategien des „Beschweigens“ der Vergangenheit. Sie waren geeignet, auf der einen Seite Schuldgefühle zu mobilisieren, auf der anderen die Befürchtung erneuter Diskriminierung und Ausgrenzung zu wecken.

Viele Betroffene stießen auf Widerstand

Den Betroffenen oblag die Pflicht, das vor vielen Jahren erlittene Unrecht und die daraus erwachsenden Ansprüche „gerichtsfest“ zu beweisen. Und das trotz vieler hemmender Faktoren wie mangelnder Informationen über die in Deutschland inzwischen geschaffenen (und häufig geänderten) gesetzlichen Regelungen und Zuständigkeiten, verlorener Unterlagen oder schwer beizubringender Zeugenaussagen. Diejenigen, die ihnen Unrecht angetan hatten, waren keineswegs dazu verpflichtet, aktiv auf die Opfer zuzugehen, sie zu beraten und zu unterstützen. Im Gegenteil stießen viele Betroffene bei Kontaktaufnahmen häufig eher auf Zurückhaltung oder hinhaltenden Widerstand.

Gleichzeitig wirkten ehemalige Kollegen der Fakultäten durch Stellungnahmen als Gutachter in diesen Verfahren mit. Diese wurden damit unausweichlich mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, auch mit der Tatsache, damals kaum Widerstand gegen die Entfernung von Kollegen geleistet, möglicherweise sogar davon profitiert zu haben. Es ist leicht vorstellbar, dass eine solche Konfrontation mit eigenen Schuldgefühlen Unbehagen und Abwehr auslöst.

Die Integration von NSDAP-Mitgliedern gelang dagegen problemlos

Carina Baganz hebt in der Tagesspiegel-Beilage vom 9. April 2016 zum 70. Jubiläum der TU Berlin hervor, dass trotz der von den Alliierten nachdrücklich geforderten Entnazifizierung, die auch vom Magistrat der Stadt Berlin unterstützt wurde, mit zunehmendem Bedarf an Lehrenden die Regelungen rasch gelockert wurden. Fachliche Kompetenzen wogen den Einsatz für den Nationalsozialismus häufig auf. Während also die Integration von ehemaligen NSDAP- und selbst SS-Mitgliedern relativ problemlos gelang, traf dies auf die Opfer des Nationalsozialismus keineswegs in gleicher Weise zu.

Von den mindestens 107 Angehörigen des wissenschaftlichen Personals der Technischen Hochschule Berlin, die aus rassischen oder politischen Gründen während des Nationalsozialismus von der Hochschule vertrieben wurden, nahmen nach 1945 lediglich sechs ihre Arbeit an der Hochschule wieder auf: die drei Professoren Hans Heinrich Franck, Walther Koeniger und Gustav Leithäuser sowie drei Privatdozenten: Hermann Deite, Waldemar Koch und Erik Liebreich. Sie alle waren während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland geblieben. Von den 69 emigrierten Wissenschaftlern kehrte dagegen niemand dauerhaft an die Hochschule zurück. Aktiv bemüht hatte sich die Universität in ihrer Neu-Gründungsphase darum nicht – eine Einladung zur Rückkehr der Vertriebenen wurde nie ausgesprochen.

Rückkehrbereite Emigranten ließen sich auf einen dornigen Weg ein, wenn sie ihrerseits auf ihre ehemalige Hochschule zugingen. Soweit sie bei ihrer Vertreibung noch kein Ordinariat hatten, sondern sich in unterschiedlichen Phasen des Qualifizierungsprozesses befanden (an der Habilitation oder auf nicht beamteten Dozentenstellen arbeiteten), mussten die vertriebenen Wissenschaftler aufgrund ihrer Leistungen vor ihrem Ausscheiden und auch während der Zeit nach der Vertreibung ihre wissenschaftliche Eignung durch Forschungs- und Lehrtätigkeiten, Publikationen, Zeugnisse und Zeugenaussagen belegen. Dabei hatten sie zweifelsfrei darzulegen, dass sie ohne den Karriereeinbruch durch den Nationalsozialismus eine ordentliche Professur erhalten hätten.

Ein Professor kämpfte zwölf Jahre für Wiedergutmachung

Die eigene Qualifikation reichte dazu keineswegs aus. In Betracht zu ziehen war vielmehr auch, ob in ihrem Arbeitsbereich überhaupt hinreichend Stellen vorhanden waren und ob sie aussichtsreiche Chancen gehabt hätten, in der Konkurrenz darum zu bestehen. Eben hier griff nun das Mitspracherecht der Fakultäten, also jener Kollegen, die der Vertreibung des Antragstellers oftmals tatenlos zugesehen oder sie gar aktiv vorangetrieben hatten. Sie wurden zu gutachterlichen Stellungnahmen zu diesen Punkten aufgefordert, wobei allen Beteiligten klar war, mit welch hohen Unsicherheitsfaktoren eine solche Prognose behaftet ist. So kämpfte Ernst Erich Jacobsthal, außerordentlicher Professor der Mathematik und 1934 als Jude aus den Diensten der TH Berlin entlassen, zwölf Jahre, bis die Hochschule zur Wiedergutmachung bereit war.

Zu beobachten ist jedoch, dass die Verfahren fachlich besonders bekannter Wissenschaftler oder gar über den akademischen Kreis hinaus „Prominenter“ deutlich glatter verliefen. So findet sich für den bereits 1938 im Exil in Istanbul verstorbenen Bruno Taut ein Gutachten der Fakultät für Architektur, in dem dessen Leistungen geradezu euphorisch gewürdigt werden. Im Verlaufe der weiteren Entwicklung wäre es „zu einer festen Bindung in Form eines Ordinariats mit Sicherheit gekommen“. Das von seiner Witwe eingeleitete Wiedergutmachungsverfahren endete in Rekordzeit von zehn Monaten mit einem positiven Bescheid.

Viele Institutionen haben sich bis heute nicht klar bekannt

In seinem Schlusskommentar zu den Beiträgen der Göttinger Tagung zur Akademischen Vergangenheitspolitik im Jahr 2001 verweist Rüdiger vom Bruch darauf, wie aufmerksam vormals zur Emigration gezwungene Wissenschaftler die Entwicklung im Nachkriegsdeutschland beobachteten, das sich „nicht sehr eindrucksvoll um ihre Wiedergewinnung bemühte“. Er zitiert die enttäuschte Hoffnung des Biochemikers Franz Simon aus dessen Briefwechsel mit Karl Friedrich Bonhoeffer aus dem Jahr 1951: „Das Wenigste, was man nach all dem Unglück, das angerichtet worden ist, erwarten konnte, war dass die deutschen Wissenschaftler in ihrer Gesamtheit oder durch ihre wissenschaftlichen Gesellschaften oeffentlich und klar gesagt haetten, dass sie, was vorgefallen ist, bedauerten. Ich habe nichts von so etwas bemerkt.“ Ein solch klares Bekenntnis steht bis heute in vielen Institutionen noch aus.

Der Text ist eine stark gekürzte Fassung des Aufsatzes in dem Band: „Kriegsende und Neubeginn – von der Technischen Hochschule zur Technischen Universität Berlin.“ Hrsg. Carina Baganz. Verlag am Fluss, Berlin 2017; 208 S., 16,50 €. – Die Ausstellung „Kriegsende und Neubeginn“ ist bis Jahresende im Lichthof im Hauptgebäude der TU (Straße des 17. Juni 135) zu sehen.

Marianne Horstkemper

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