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© picture-alliance/dpa

Religion: Das Gottesvirus

Religion ist eine Geisteskrankheit – behauptet der Biologe Richard Dawkins in seinem neuen Bestseller. Seine Mission besteht darin, den Menschen Gott auszutreiben.

„Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt in der gesamten Literatur: Er ist eifersüchtig und auch noch stolz darauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, Kinder und Völker mordender, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“

Mit diesen versöhnlichen Worten beginnt Richard Dawkins das zweite Kapitel seines soeben auf Deutsch erschienenen Buchs „Der Gotteswahn“ (Ullstein, 576 Seiten, 22,90 Euro). Die Passage gehört zu den Lieblingsstellen des Autors. Oft fängt er seine Lesungen mit diesen Sätzen an, um, wie er sagt, „bei einem neuen Publikum das Eis zu brechen“.

Es ist ein großes Thema, das den Sachbuchmarkt dieses Herbstes bestimmt: Gott höchstpersönlich (siehe auch "Die neuen Atheisten"). Und wenn es einen Mann gibt, der es sich zur Mission gemacht hat, den Menschen Gott auszutreiben, dann ist es der britische Evolutionsbiologe und Vollblut-Exorzist Richard Dawkins.

Dawkins. Unter Biologen längst eine Legende. Vor 30 Jahren landete er seinen ersten Coup: Damals hatte er – „als Stromausfälle meine Arbeiten im Labor unterbrachen“ – sein Buch „Das egoistische Gen“ geschrieben, in „fieberhafter Erregung“. Dawkins, ein junger, ehrgeiziger, frisch gebackener Zoologe, warf mit seinem Werk neues Licht auf Darwins Evolutionstheorie. Betrachtete sie von innen heraus: mit den Augen des Gens. Des egoistischen Gens.

Abhängig von den Genen

Denn die Gene, so Dawkins zentraler Gedanke, sind nur daran „interessiert“, sich selbst zu kopieren. Während wir Hampelmänner, wir „Genvehikel“, eines Tages sterben müssen, programmieren die Gene uns so, dass wir sie bis zum Tag X möglichst zahlreich vermehrt und damit ihr Überleben gesichert haben.

Im „egoistischen Gen“ prägte Dawkins auch den Begriff des „Mems“: Es gibt nicht nur Gene, sondern auch „Meme“ (von „memory“, Gedächtnis). Meme sind Ideen, Gedanken, die von Kopf zu Kopf springen, sich in unsere Gehirne nisten und dort um einen Platz kämpfen. Aus dieser Perspektive hegen nicht wir die Gedanken, sondern umgekehrt: Die Gedanken erobern uns. Manche Meme sind bei diesem neuronalen Eroberungsfeldzug besonders erfolgreich: Der Gedanke etwa, dass es nach unserem Leben noch ein zweites Leben gibt.

Schon damals war die Religion dem zornigen jungen Mann ein Dorn im Auge – und sie ist es stets geblieben. Erst nach dem 11. September 2001 jedoch stand für Dawkins fest: Gott würde das Thema seines neuen großen Werkes werden.

„Der Gotteswahn“. Weltweit haben sich bereits über eine Million Exemplare verkauft. Schon der Titel will provozieren: Im Grunde, suggeriert Dr. Dawkins, leidet ein Mensch, der an Gott glaubt, unter einer Art Psychose, von der er dringend geheilt werden sollte. Der oder die Ärmste hat sich mit ein paar besonders gefährlichen Memen infiziert.

Absolut tabulos

Der Titel nimmt den Ton des Buchs vorweg: Dawkins, Darwins Dobermann, ist aggressiv, bissig, manchmal bis zur Geschmacklosigkeit. Sexueller Missbrauch, schreibt er an einer Stelle, sei „zweifellos etwas Entsetzliches, aber der dadurch verursachte langfristige psychische Schaden sei nachweislich geringer als der, den eine katholische Erziehung anrichte“. Sätze wie diese sind keine Ausnahme. Am Anfang äußert Dawkins die Hoffnung: „Wenn dieses Buch die von mir beabsichtigte Wirkung hat, werden Leser, die es als religiöse Menschen zur Hand genommen haben, es als Atheisten wieder zuschlagen.“ Wirklich?

Nicht wirklich, nein. Nicht in diesem Ton. Wer den „Gotteswahn“ liest, bekommt nicht das Gefühl, Dawkins wolle seine „Gegner“ überzeugen – er will sie fertig- machen. Will Gott, gut 100 Jahre nach Nietzsche, noch einmal töten.

Und doch liegt hierin, in seiner Schärfe, seiner Unbescheidenheit, seiner Kompromisslosigkeit, in seinem Mut, mit offenem Visier zu attackieren, auch Dawkins ganze Stärke. Ein Beispiel ist sein Argument, Gott sei eine wissenschaftliche Hypothese wie jede andere auch. Die politisch korrekte Meinung dazu ist ja, dass Gott und Wissenschaft zwei verschiedene Welten sind, die parallel eine friedliche Koexistenz führen können. Gott lässt sich weder beweisen noch widerlegen, also hat Religion mit Wissenschaft nichts zu tun. So denken viele. Rein logisch betrachtet liegen sie damit auch richtig.

Gott ist verdammt unwahrscheinlich

Das aber kümmert Dawkins nicht. Ja, sagt er, es wird sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich sein, Gottes Nicht-Existenz zu beweisen. Nur gilt das auch für viele andere wissenschaftliche Hypothesen. Viel interessanter sei doch, wie wahrscheinlich die Hypothese Gott im Lichte der heutigen Erkenntnisse ist. Und da sei die Antwort klar: Gott ist eben verdammt unwahrscheinlich. Wer diese Welt studiert, wer etwa die Entstehung der Arten studiert, der kommt kaum um den Schluss herum: Unsere Welt ergibt viel mehr Sinn, wenn man davon ausgeht, dass es keinen Schöpfer gibt.

Zur Hochform läuft Dawkins auf, wenn er auf „die Wurzeln der Religion“ zu sprechen kommt. Der Evolutionsbiologe stellt die Frage, woher der Gottesglaube überhaupt kommt – und seine Antworten gehen über die üblichen Klischees („weil der Glaube an Unsterblichkeit angenehm ist“) weit hinaus.

So analysiert Dawkins: Für Kinder ist es von Vorteil, wenn sie ihren Eltern bedingungslos glauben, wenn sie zum Beispiel glauben, dass eine Herdplatte gefährlich ist, ohne dies mit den eigenen Fingern zu überprüfen. Ein Kinderhirn ähnelt insofern einem Computer, der auch dann noch die Instruktionen brav befolgt, wenn es sich bei dem Programm um ein schädliches Virus handelt. Für Dawkins sind viele religiöse Ideen Geistesviren, die man uns eingepflanzt hat, als wir noch absolut autoritätshörig waren. Wenn wir als Erwachsene allmählich zur Vernunft kommen, müssen wir uns mühsam von dieser Infektion befreien. Was hier nur kurz angerissen werden kann, ist im Buch so hellsichtig, so radikal und brillant argumentiert, dass einem als Leser gelegentlich das Gefühl beschleicht, ein kleines Genie zu sein.

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